Zu welcher Tageszeit treten Infarkte am häufigsten auf?

Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist in den frühen Morgenstunden erhöht. Das belegen mehrere Studien. Zusätzlich sind die Heilungschancen bei morgendlichen und nächtlichen Herzinfarkten schlechter und die Sterblichkeit höher. Welches die Ursachen sind, was die innere Uhr damit zu tun hat und wie wichtig erholsamer Schlaf ist.

Von Silja Klassen

 

11.04.2023

Bildquelle (Bild oben): iStock / Dean Mitchell

Herzinfarkte treten am häufigsten zwischen 6 Uhr morgens und 12 Uhr mittags auf. Neuere Forschungsergebnisse legen nahe, dass morgendliche Herzinfarkte auch die schwersten sind, mit teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen oder dauerhafter Herzschwäche. Auch andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen folgen einem Tagesrhythmus – und ereignen sich ebenfalls gehäuft am frühen Morgen oder Vormittag.

Warum treten Herzinfarkte häufig zu einer frühen Tageszeit auf?

Zwischen 1 und 5 Uhr nachts schlägt das Herz am gleichmäßigsten. Gegen 10 Uhr morgens hingegen schwankt die Herzfrequenz am stärksten. Zudem sind die Blutgefäße morgens weniger elastisch als im späteren Verlauf des Tages.

 

„Es gibt verschiedene Studien, die nachweisen, dass das Herz bei bestimmten Patientinnen und Patienten in den frühen Morgenstunden, oft noch während des Schlafs, am empfindlichsten ist“, sagt Prof. Dominik Linz von der Maastricht University in den Niederlanden. „Oft hängt ein Herzinfarkt zur frühen Tageszeit mit schlafbezogenen Atmungsstörungen und anderen Störungen des sogenannten zirkadianen Rhythmus, dem Schlaf-Wach-Rhythmus, zusammen. Alle Organe besitzen praktisch eine innere Uhr. Sie beeinflussen viele der Prozesse und Funktionen des Körpers, etwa die Zellteilung oder den Schlaf.“ Und damit all diese Uhren dieselbe Zeit anzeigen, werden sie ständig untereinander synchronisiert. Sie ermöglichen Lebewesen die Anpassung auf den 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus der Erdumdrehung.

 

In den frühen Morgenstunden, noch vor dem eigentlichen Wachwerden, steigt der Blutdruck und der Stresshormonspiegel während bestimmter Schlafphasen an. „Die innere Uhr verstärkt zu bestimmten Tageszeiten die Stressreaktionen – und für Menschen mit Bluthochdruck oder bereits angegriffenen Gefäßen beispielsweise kann das dann am Morgen riskant sein – und einen Herzinfarkt zur Folge haben“, sagt Prof. Linz. Die Immunzellen lösen vermutlich kurz nach dem Aufstehen eine stärkere Entzündung aus als in der Schlafphase oder später am Tag.

Welche Menschen sind besonders gefährdet, zu früher Tageszeit einen Herzinfarkt zu erleiden?

Einige Studien zeigen, dass zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten, die während der frühen Morgenstunden einen Herzinfarkt erleiden, häufiger eine Schlafapnoe festgestellt werden kann. „Schichtarbeit ist ein Risikofaktor, denn die Störungen der inneren Uhr durch wechselnde Schlaf- und Wachphasen erhöhen das Risiko auf Herzinfarkt und Schlaganfall“, sagt Prof. Linz. „Außerdem wissen wir durch die Studien von Prof. Thomas Münzel aus Mainz, dass nächtlicher Fluglärm Bluthochdruck, Herzinfarkte und auch Schlaganfälle auslösen kann.“ Auch Vielflieger, die immer wieder über verschiedene Zeitzonen hinweg reisen, sind gefährdeter als Menschen, die nach der inneren Uhr leben.

Wechselnde Schichten erhöhen das Herzinfarkt-Risiko. Menschen, die in wechselnden Schichten arbeiten oder über viele Zeitzonen reisen, haben ein höheres Herzinfarkt-Risiko. Bildquelle: iStock / milanvirijevic

Warum ist erholsamer Schlaf so wichtig für das Herz?

„Während des Schlafes werden viele Mechanismen des Körpers heruntergefahren“, sagt Prof. Linz. „Das sehen wir zum Beispiel daran, dass während der Nacht die Herzfrequenz geringer, der Blutdruck niedriger und die Atemfrequenz reduziert ist. Auch unabhängig vom Herzen sind viele andere Organe weniger aktiv.“ Diese Entlastung der Organe benötigt der Körper, um sich zu erholen. Studien zeigen, dass eine zu kurze Schlafdauer (weniger als sechs Stunden) oder schlechte Schlafqualität mit hohem Blutdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel und Atherosklerose in Verbindung gebracht werden. Wenig Schlaf erhöht das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse. Weitere Folgen nächtlicher Störungen sind neben einem Infarkt etwa Brustschmerzen (pektanginöse Schmerzen) und ein erhöhter Herzschlag.

Warum kann Schlafapnoe zu einem Herzinfarkt führen?

Wer an Schlafapnoe leidet – einer sehr häufig vorkommenden Begleiterscheinung bei Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen – hat nicht nur eine mangelhafte Schlafqualität und Unterbrechung des zirkadianen Rhythmus, sondern gefährdet auch das Herz. „Wir nennen das eine Unterbrechung des Mikroschlafes, denn der Schlafrhythmus wird unterbrochen. Das führt nicht immer dazu, dass die Person komplett wach wird, aber zumindest wird eine Stressreaktion während des Schlafs aktiviert.“ Diese Reaktion, ein sogenanntes Arousal, macht den Schlaf weniger effektiv.

 

„Während einer Apnoe-Phase hört der Körper auf zu atmen und die Sauerstoffkonzentration im Blut sinkt. Dadurch muss das Herz stärker arbeiten, um den Bedarf an Sauerstoff im Körper zu decken“, erklärt Prof. Linz. Auf lange Sicht kann diese Art von Belastung des Herzens dazu führen, dass es Schaden nimmt und somit Infarkte und Schlaganfälle begünstigt werden. Eine unbehandelte apnoebedingte Störung des Schlafes führt häufig zu erhöhtem Blutdruck, begünstigt Diabetes und andere Gesundheitsprobleme, die wiederum das Risiko eines Herzinfarkts vergrößern.

Warum steigt das Risiko für einen Herzinfarkt, wenn wir nicht gut schlafen?

Schon zwei Nächte mit zu wenig Schlaf können der Gesundheit schaden. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, denn der oxidative Stress nimmt zu, die Gefäße werden weniger elastisch und dadurch ist die blutdruckausgleichende Funktion der Blutgefäße beeinträchtigt.

Prof. Dominik Linz Prof. Dr. Dominik Linz, Head of Clinical Electrophysiology, Maastricht University Medical Center, The Netherlands; Professor of Lifestyle Factors in Cardiac Arrhythmia, University of Copenhagen, Denmark; Adjunct Associate Professor, University of Adelaide, Australia. Bildquelle: privat

Was zeigt zuverlässig, ob ein Mensch gut schläft?

Es gibt objektive Methoden, um die Schlafqualität zu messen. Das ist zum Beispiel eine Polysomnographie (PSG), die zur Diagnose von Schlafstörungen eingesetzt wird. „Das ist praktisch ein Schlaflabor, in dem Patienten über Nacht im Krankenhaus schlafen können. Dort messen Sensoren zum einen die Atmung, die Sauerstoffsättigung und insbesondere die Schlafphasen durch die Hirnströme“, so Prof. Linz.

 

„Zusätzlich zu den objektiven Schlaflabor-Methoden gibt es heute Schlaftracker für verschiedene Smartwatches. Die messen den Schlaf über die Pulswellen am Handgelenk. Darin kann man eine gewisse Beurteilung des Schlafes sehen, etwa, ob der Schlaf wirklich erholsam ist oder nicht.“ Das sei nicht nur abhängig davon, wie lange der Schlaf dauert oder ob er unterbrochen wird, sondern auch, ob die Tiefschlafphasen erreicht werden können.

 

„Natürlich ist die Untersuchung im Schlaflabor der Goldstandard. Da kommen die Smartwatches als Lifestyle-Produkte nicht heran, weil die Messmethode nicht akkurat genug ist“, schränkt Prof. Linz ein. Aber bei jeder Person, die einen Schlaftracker nutzt, könne das natürlich schon helfen, um den eigenen Schlaf zu verfolgen und zu sehen, ob er verbessert werden sollte. „Eine Smartwatch kann gut ein erstes Feedback geben, ob unter Umständen ein Problem besteht oder eben nicht.“

Welche Symptome deuten auf Schlafstörungen hin?

„Verschiedene Symptome können auf eine Schlafstörung hinweisen. Dazu gehören zum Beispiel nächtliche Herzschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder wenn Patientinnen und Patienten häufiger während der Nacht auf Toilette müssen“, sagt Prof. Linz. „Das sind alles sogenannte red flags, also Warnzeichen, dass der Körper während der Nacht einer Stressreaktion, zum Beispiel durch Schlafapnoe, ausgesetzt ist.“ Auch Tagesmüdigkeit ist ein Hinweis dafür, dass Betroffene an ihrer Schlafhygiene arbeiten sollten. „Sonst kann ich nur Bekanntes wiederholen: Achten Sie auf einen gesunden Lebensstil: nicht rauchen, ausreichend bewegen, Schnarchen behandeln lassen und Übergewicht vermeiden.“

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