Kann Lärm eine Herz-Kreislauf-Erkrankung auslösen?
Wenn ein Flugzeug startet, wird es laut. Lauter, als ein Staubsauger saugt oder eine Kreissäge kreischt. Es ist bekannt, dass Menschen, die in der Einflugschneise eines Flughafens leben, ein deutlich erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkt und die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit (KHK) haben. Woran liegt das?
Lärm kann den Körper direkt schädigen – zum Beispiel das Hörorgan. Beim Herz dagegen schadet Lärm indirekt. „Das beginnt schon bei Werten um die 55 Dezibel, was der normalen Gesprächslautstärke entspricht“, erklärt Prof. Thomas Münzel, einer der weltweit führenden Lärmwirkungsforscher. „Die reichen aus, um zum Beispiel den Schlaf zu stören – und das bedeutet Stress für den Körper. Dann steigt der Katecholaminspiegel, das heißt, es werden die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortison ausgeschüttet, was zu einer Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz führt.“ Sind Menschen diesem Geräuschpegel und der damit verbundenen körperlichen Stressreaktion über mehrere Jahre ausgesetzt, können sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln: Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und koronare Herzkrankheit. Auch das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte steigt.
Was genau passiert bei Lärm mit dem Herz?
Durch Lärm werden gleich mehrere herzschädigende Prozesse in Gang gesetzt. „Untersuchungen zeigen, dass durch die Stressreaktion des Körpers die Entstehung von Entzündungen in den Gefäßen getriggert wird. Dann wandern Entzündungszellen, Makrophagen oder Monozyten, in die Gefäße ein“, erklärt Prof. Münzel. „Gleichzeitig wird durch den Lärm das Enzym hochreguliert, das Stickstoffmonoxid (NO) produziert. Es wird aber funktionell umgeschaltet: von einem NO-produzierenden und damit gefäßschützenden Enzym zu einem radikalbildenden Enzym. Das führt zu Störungen in den Gefäßen.“
Ist Lärm in der Nacht für das Herz besonders gefährlich?
„Die Steifheit der Gefäße und auch Bluthochdruck sind bei Nachtfluglärm tatsächlich stärker ausgeprägt als am Tag“, sagt Prof. Münzel. Für eine Studie haben der Kardiologe und sein Team Mäusen Fluglärm vom Flughafen Köln-Bonn vorgespielt. Dabei haben die Forscherinnen und Forscher festgestellt: Nicht nur die Stresshormonwerte und der Blutdruck stiegen an – es zeigten sich auch Funktionsstörungen in den Gefäßen. Am Tag, wenn die Tiere abgelenkt waren, war dieser Effekt geringer. „Es sieht so aus, als wäre es schädlicher für das Herz, wenn man nachts durch Lärm gestört wird“, sagt Prof. Münzel.
Bei ihren Versuchen mit Mäusen waren die Forscherinnen und Forscher überrascht: Schon eine einzige durch Lärm gestörte Nacht reicht offenbar aus, um eine Fehlfunktion der Gefäße auszulösen. „Daran sieht man, wie stark die Stressreaktion des Körpers auf den Lärm ausfällt“, sagt Prof. Münzel. „Zum Vergleich: Wenn wir herausfinden wollen, wie erhöhte Cholesterinwerte auf die Gefäße wirken, müssen wir die Tiere vier Wochen lang mit einer hohen Cholesterindiät füttern, um eine negative Gefäßreaktion auszulösen. Bei Fluglärm mit Spitzenpegeln von 75 Dezibel reicht eine einzige Nacht.“
Zu den negativen Effekten des Lärms auf die Gefäße kommt in der Nacht belastend hinzu: Auch Schlafstörungen sind ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass ein häufig unterbrochener oder insgesamt zu kurzer Schlaf (mit einer Dauer von weniger als sechs Stunden) dazu führt, dass der Blutdruck ansteigt. „Wenn man dann an eine Stadt wie Leipzig denkt, wo es kein Nachtflugverbot gibt, und die DHL mit riesigen Maschinen, zum Teil mit Antonov-Transportmaschinen, die ganze Nacht hindurch fliegen darf, kann man sich vorstellen, was das für die Menschen dort bedeutet“, sagt Prof. Münzel. Eine Schweizer Studie konnte zum Beispiel zeigen: Zwei Stunden nach einem akuten Fluglärmereignis (über 55 Dezibel) gibt es einen deutlichen Anstieg von Herzinfarkten und plötzlichen Todesfällen.