Darmgesundheit wird zur Herzensangelegenheit. Forschungen erlauben den Schluss: Eine gesunde Darmflora wirkt sich positiv auf die Herzgesundheit aus. Umgekehrt begünstigt ein gestörtes Darmmikrobiom Herzerkrankungen wie zum Beispiel Vorhofflimmern.
Darmgesundheit wird zur Herzensangelegenheit. Forschungen erlauben den Schluss: Eine gesunde Darmflora wirkt sich positiv auf die Herzgesundheit aus. Umgekehrt begünstigt ein gestörtes Darmmikrobiom Herzerkrankungen wie zum Beispiel Vorhofflimmern.
Von Volker Zapf
Bildquelle (Bild oben): iStock/iLexx
Im menschlichen Körper arbeiten verschiedene Organsysteme zusammen. Dieses Zusammenspiel sorgt dafür, dass unser Körper seine Aufgaben erfüllen kann: vom Atmen bis zum Nachdenken. Viele Zusammenhänge im menschlichen Organismus sind schon lange bekannt. Andere werden erst allmählich erforscht – zum Beispiel der Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und der Herzgesundheit.
In unserem Körper wirken Milliarden Mikroorganismen wie Bakterien, andere Einzeller (Archaeen und Protozoen), Viren und Pilze. Viele von ihnen unterstützen unseren Organismus und schützen ihn vor schädlichen Einflüssen. Wir Menschen bilden mit unsren „Untermietern“ eine symbiotische Gemeinschaft und können ohne sie nicht leben. Zum Beispiel sind Darmbakterien für unsere Verdauung unverzichtbar. Unsere winzigen Helfer besiedeln aber nicht nur den Darm, sondern auch die Haut und andere Körperregionen. Die Gesamtheit aller Mikroorganismen im und am Körper bezeichnen Fachleute als Mikrobiom.
Die individuelle Zusammensetzung des menschlichen Mikrobioms ist bei jedem Menschen anders. Unter anderem wird sie durch die Ernährung beeinflusst. Klar ist: Das Mikrobiom leistet einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheit, doch über seine Zusammensetzung und Funktionsweise gibt es noch viel zu erforschen.
In Ruhe schlägt unser Herz normalerweise 60- bis 80-mal pro Minute. Dieser Herzrhythmus wird vom so genannten Sinusknoten im rechten Herzvorhof vorgegeben. Beim Vorhofflimmern kommt es zu einer ungeordneten elektrischen Erregung im Vorhof mit einer Frequenz von mehr als 300 Schlägen pro Minute. Die Impulse werden unregelmäßig den linken Vorhof und die Herzkammern weitergeleitet. Die Folge sind ein unregelmäßiger und meist zu schneller Puls und das subjektive Empfinden, das Herz würde rasen oder stolpern. Schwächegefühl, Schwindel, Unruhe und Atemnot stellen mögliche Begleitsymptome dar. Vorhofflimmern ist in den allermeisten Fällen nicht akut lebensbedrohlich. Langfristig begünstigt es jedoch gesundheitliche Folgen wie Schlaganfall und Herzinsuffizienz.
Heute ist bekannt, dass Menschen mit bestimmten Krankheiten eine andere Zusammensetzung des Mikrobioms aufweisen als gesunde Menschen. In den letzten Jahren haben sich die Hinweise verdichtet, dass auch Vorhofflimmern mit Veränderungen des Mikrobioms des Darms in Verbindung gebracht werden kann.
Eine groß angelegte internationale Studie hat nun gezeigt, dass bestimmte Darmbakterien bei Vorhofflimmern vermehrt vorkommen. Dieses Studienergebnis macht einen Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und Vorhofflimmern sehr wahrscheinlich. In einem nächsten Forschungsschritt soll die genaue Art und Weise untersucht werden, in der Darmbakterien auf das Herz einwirken.
Eine günstige Zusammensetzung des Mikrobioms ist wichtig für unsere Gesundheit und das reibungslose Funktionieren unseres Körpers. Wenn zum Beispiel nützliche Bewohner die Darmwand besiedeln, gibt es keinen Platz mehr für Krankheitserreger. So schützt das Mikrobiom vor Infektionen.
Außerdem produzieren unsere Mitbewohner viele nützliche, aber auch schädliche Substanzen und Botenstoffe. Mit ihnen beeinflussen sie unseren Stoffwechsel und unsere Organe. Darum sind Auswirkungen des Mikrobioms auf die Aufrechterhaltung unserer Gesundheit anzunehmen – und andersherum auf die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten. So wird ein gestörtes Mikrobiom beispielsweise für Allergien, Übergewicht, Diabetes, Depressionen oder Demenz verantwortlich gemacht. Dabei ist nicht immer klar, ob Veränderungen im Mikrobiom eine Erkrankung auslösen oder umgekehrt eine Folge davon sind.
Es gibt aber auch erforschte Zusammenhänge:
Verschiedene Studien belegen die Bedeutung eines veränderten Mikrobioms und der bakteriellen Stoffwechselprodukte für die Herz-Kreislauf-Gesundheit. Die Erkenntnis, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern mit einer veränderten Zusammensetzung der Darmbakterien zusammenhängen, ist jedoch nur der erste Schritt. Entscheidend ist, wie diese Abweichungen tatsächlich auf die Entstehung oder das Fortschreiten der Erkrankung wirken und was das konkret für neue Behandlungsansätze bedeutet. Aktuelle Forschungsprojekte setzen an solchen Fragen an.
Auch beim Vorhofflimmern ist noch nicht vollständig geklärt, wie das Darmmikrobion konkret auf die Erkrankung wirkt. „Es werden verschiedene Mechanismen diskutiert, wie das Mikrobiom oder einzelne Bestandteile mit der Entstehung von Vorhofflimmern zusammenhängen könnten. Vom Darmmikrobiom verstoffwechselte Gallensäuren, kurzkettige Fettsäuren aber auch Bestandteile der Bakterien wie sogenannte Lipopolysaccharide verändern Signalwege im Darm. Wenn bei einem Ungleichgewicht der Darmflora die Darmwand geschädigt ist, gelangen dies Bestandteile sogar in den Blutstrom und können im Gewebe nachgewiesen werden“, erklärt Prof. Renate Schnabel von der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Prof. Schnabel beschäftigt sich mit ihrer Arbeitsgruppe seit Jahren mit den Ursachen von Vorhofflimmern und ist an einer internationalen Forschungskooperation zum Thema maßgeblich beteiligt.
Die Forschung macht Fortschritte: „In Tiermodellen können bakterielle Produkte des Stoffwechsels im Vorhofgewebe zur Arrhythmienneigung und sogar Vorhofflimmern führen.“ Der Nachweis beim Menschen steht laut Schnabel noch aus: „Diese direkte Beziehung konnte beim Menschen bisher noch nicht nachgewiesen werden. Unsere Vermutung ist, dass in der Bevölkerung das Mikrobiom langjährig Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie zum Beispiel Bluthochdruck begünstigt. Dieser erhöht dann wieder das Risiko, im Verlauf Vorhofflimmern zu entwickeln. Auch eine Herzschwäche wird zum Teil einer veränderten Darmflora zugesprochen. Diese wiederum ist ein starker Risikofaktor für die Entwicklung von Vorhofflimmern.“
Die Mechanismen sind nicht vollends verstanden, eins aber ist klar: Etwas verändert sich im Darmmikrobiom, wodurch sich das Risiko für Vorhofflimmern verändert. Die Frage ist: Was genau verändert sich. Das weiß auch die Forschungsgruppe um Prof. Schnabel noch nicht genau: „Da das Mikrobiom so vielfältig ist und von ganz unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird, ist es schwer, spezifische Veränderungen aufzuzeigen. Das macht die Forschung hierzu, gerade beim Menschen, zu einer Herausforderung.“
Der Stoffwechsel scheint der wichtigste Kanal zu sein, über den ein verändertes Darmmikrobiom Vorhofflimmern verursachen oder verstärken kann. Bestimmte Stoffwechselzwischenprodukte, die Metaboliten, spielen dürften dabei eine wichtige Rolle, „beispielsweise Stoffwechselbestandteile mit den wissenschaftlichen Namen Trimethylamin-N-Oxid (TMAO) oder Lipopolysaccharide (LPS). Diese können im Blut und im Vorhofgewebe nachgewiesen werden“, so Schnabel. „Am Vorhofgewebe können TMAO und LPS über chronisch entzündliche Prozesse Schädigungen wie eine Vermehrung von Bindegewebe hervorrufen, die in Vorhofflimmern münden.“
In der jüngsten Forschung sind unter Schnabels Beteiligung bestimmte Bakterienarten identifiziert worden, die sich bei Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern vermehrt nachweisen ließen. „Als häufige – und im Übermaß schädliche – Mikroorganismen wurden Bacteroidaceae und Bifidobacteriaceae am erkrankten Vorhof beschrieben. Diese führen zu einem oft auch schon altersbedingten Ungleichgewicht des Mikrobioms mit vermehrter Darmwanddurchlässigkeit. Diese wurde mit dem Auftreten altersbedingter Erkrankungen wie Vorhofflimmern in Zusammenhang gebracht.“
Wie Prof. Schnabel erklärt, liefert das neue Wissen über bakterielle Aspekte beim Vorhofflimmern viele mögliche neue Ansatzpunkte für die Prophylaxe: „Neben der Zusammensetzung der täglichen Nahrungsaufnahme kann theoretisch die Aufnahme von Probiotika, zum Beispiel Milchsäurebakterien oder Hefen die Barrierefunktion des Darms verbessern. Diese Mikroorganismen produzieren antimikrobielle Substanzen, die das Wachstum schädlicher Bakterien und die Produktion von mikrobiellen Giftstoffen unterdrücken. Probiotika scheinen auch einen positiven Einfluss auf Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck und Herzschwäche zu haben. Erhöhter Salzkonsum reduziert das Wachstum von Milchsäurebakterien und führt zu höherem Blutdruck als Risikofaktor für Vorhofflimmern.“
Als neue, experimentelle Behandlungsform bietet sich eine Stuhltransplantation an. Dabei wird die Stuhlprobe einer Spenderin oder eines Spenders mit einem gesunden Mikrobiom in den Dickdarm einer Patientin oder eines Patienten eingebracht. „Bei einer Stuhltransplantation von gesunden Versuchstieren konnte bei Ratten mit Bluthochdruck den Blutdruck senken. Diese Maßnahmen sind theoretisch verfügbar, aber nicht bei Vorhofflimmern getestet“, führt Schnabel aus.
Die persönlichen Lebensumstände und Darmmikrobiom stehen in engem Zusammenhang. „Das Darmmikrobiom unterliegt vielfältigen Einflüssen“, erläutert Schnabel. „Es wird wesentlich von der Nahrungsaufnahme, Trinkverhalten, körperlicher Aktivität, Übergewicht und Rauchen beeinflusst. Aber auch Schlafstörungen, Depressionen und das Leben in der Stadt konnten mit der Variation des Mikrobioms zwischen verschiedenen Individuen und der Diversität innerhalb eines Individuums in Verbindung gebracht werden.“
Auch wenn ein direkter Zusammenhang von Veränderungen des Darmmikrobioms beim Menschen und dem Auftreten oder Wiederauftreten von Vorhofflimmern noch nicht eindeutig nachgewiesen worden sei, lassen sich laut Schnabel aus der Forschung direkte Empfehlungen ableiten: „Es gibt gute Daten zur Reduktion von Vorhofflimmerepisoden und dem Wiederauftreten von Vorhofflimmern bei Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern durch Lebensstiländerungen wie die Einschränkung des Alkoholkonsums, Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität.“
Mit einer solchen Lebensstiländerung pflegen wir außerdem unser Darmmikrobiom. „Aktuell gibt es keine Leitlinienempfehlungen hierzu, da die Datengrundlage noch zu spärlich ist“, führt Schnabel aus. „Allgemein wissen wir jedoch, dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung wie beispielsweise eine mediterrane Diät, gesunde körperliche Aktivität sowie ein normales Gewicht und der Verzicht auf Rauchen einen positiven Effekt auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms hat. Wir wissen auch, dass diese Maßnahmen zu einer Verringerung der Last an Herz-Kreislauf-Risikofaktoren und weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Somit haben wir hier wirksame Ansatzpunkte.“ Aber: auch hier gibt es noch vieles, dass wir nicht wissen. Prof. Schnabel schränkt deshalb ein: „Welche Mechanismen, die das Mikrobiom betreffen, hierbei genau eine Rolle spielen, müssen wir im Weiteren herausfinden. Wir stehen hier noch ganz am Anfang.“
Es ist mittlerweile gut dokumentiert, dass Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen Veränderungen im Darmmikrobiom aufweisen. Für den Fall von Vorhofflimmern konnten sogar konkrete Bakterienstämme identifiziert werden. Therapieansätze bei Vorhofflimmern, welche die Darmflora berücksichtigen, klingen deshalb vielversprechend. Wenn die weiterführende Forschung die Wirkmechanismen der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Darmikrobiom und Herzgesundheit nachvollziehen kann, könnte dies nicht nur neue Türen für die Behandlung von Vorhofflimmern öffnen, sondern auch wertvolle Möglichkeiten zur Vorbeugung dieser Herzrhythmusstörung bieten.