Wie kann es passieren, dass Herzkranke im Praxisalltag für sie gefährliche Medikamente auf Rezept bekommen?
Prof. Dr. Klingenheben: „Das sollte natürlich nicht passieren; andererseits aber ist ein Medikament wie Ibuprofen so gut wirksam bei bestimmten – zum Beispiel orthopädisch verursachten – Schmerzsyndromen, dass manche Patienten trotz Aufklärung über ein möglicherweise erhöhtes Infarktrisiko die Schmerzfreiheit als subjektiv höherwertiges Therapieziel ansehen und trotz Risikoaufklärung dann wünschen, dennoch mit dieser Substanz behandelt zu werden. In diesen individuellen Fällen habe ich als Arzt durchaus dafür Verständnis. Hingegen sollte eine Verschreibung aus etwaiger Unkenntnis von Wechselwirkungen wirklich vermieden werden.“
Welche Wechselwirkungen von Ibuprofen gibt es, die Herzkranke besonders im Blick haben sollten?
Prof. Klingenheben: „Wie schon oben angegeben, Ibuprofen kann, wie auch andere sogenannte nicht-steroidale Schmerzmittel, zu einer Beschleunigung der Arteriosklerose und einem höheren Risiko für ein arteriosklerotisches Ereignis, wie zum Beispiel, einem Herzinfarkt, führen. Hauptursächlich ist eine Blutdruckerhöhung durch eine Erhöhung des Gefäßwiderstands. Ebenso weisen einige der nichtsteroidalen Schmerzmittel auch eine höhere Blutungsneigung auf, zum Beispiel auch in Kombination mit ASS. Diese Kombination, aber auch die mit Blutdruckmitteln, sollte vermieden werden.“
Inwieweit hängen Neben- und Wechselwirkung bei Herzpatienten mit der Schmerzmitteldosis zusammen? Sind kurzzeitige minimale Dosen im Notfall in Ordnung? Wenn ja, für wen und welche?
„Dazu gibt es keine guten wissenschaftlichen Daten. Tatsächlich benutzen aber nicht wenige Herz-Kreislauf-Patienten die Analgetika nur kurzzeitig, um einer unkontrollierten anhaltenden Wechselwirkung zu entgehen.“
Gibt es für Herzkranke Alternativen zu Ibuprofen (und Paracetamol)? Welche?
„Es gibt etliche Alternativen, deren Auswahl allerdings hochindividuell erfolgen sollte, beginnend mit dem häufig verordneten Novaminsulfon bis hin zu Opioid-Analgetika. Alle Schmerzmittel haben potenzielle Nebenwirkungen, was bei der Auswahl der Substanz berücksichtigt werden muss.“
Worauf ist bei einer Schmerzbehandlung bei Risikopatienten zu achten?
„Grundsätzlich sollte eine Schmerzbehandlung möglichst sehr effektiv sein, denn ein anhaltendes Schmerzsyndrom trotz Therapie bedeutet Stress für den Körper, hierdurch schlimmstenfalls Schmerz induzierter Bluthochdruck und möglicherweise ebenfalls ein erhöhtes Risiko.“
Inwieweit kann Digitalisierung beziehungsweise digitale Unterstützung bei einer Schmerztherapie für Herzkranke hilfreich sein?
„Im Rahmen der elektronischen Pat-Akte (EPA) wird in Zukunft das Risiko von Medikamenten-Wechselwirkungen ganz grundsätzlich deutlich reduziert werden – nicht nur im Bereich der Schnittschnelle Kardiovaskuläre Erkrankungen/Schmerztherapie –, da eine möglicherweise versehentliche Verordnung nicht kompatibler Medikamente erheblich zuverlässiger vermieden werden wird.“