Wie kann künstliche Intelligenz in der Herzmedizin helfen?

Künstliche Intelligenz ist derzeit eine der meist diskutierten neuen Technologien. Aber was verbirgt sich hinter dem Begriff? Wie kann die künstliche Intelligenz in der Medizin und insbesondere in der Kardiologie eingesetzt werden? Welche Vor- und Nachteile bringt sie mit sich? Und wie weit verbreitet ist künstliche Intelligenz bereits? Ein Überblick. 

Von Sven Stein

 

02.11.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock/ipopba

Eine neue Technologie dürfte die Medizin in den kommenden Jahren revolutionieren: die künstliche Intelligenz (KI). Mit ihrer Hilfe können Aufgaben schneller und im besten Fall auch präziser erledigt werden, als es ein Mensch könnte. „Ich bin mir sicher, dass KI die Welt und auch die Medizin verändern wird“, sagt Prof. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der Medizinischen Hochschule Hannover.

 

Was ist eine künstliche Intelligenz?

Eine KI ist ein Computerprogramm, das Aufgaben ausführt, für die normalerweise menschliche Intelligenz nötig ist. Die zugrundeliegende Software wird auch Algorithmus genannt. Wer ein Smartphone benutzt oder die Suchmaschine Google, kann KI bei der Arbeit erleben: Wer in die Bildersuche das Stichwort „Katze“ eintippt, bekommt Fotos mit Katzen angezeigt. Um diese Aufgabe zu erledigen, musste ein Computerprogramm zunächst lernen, wie eine Katze aussieht. Dazu wurden dem Programm sehr viele Bilder von Katzen gezeigt. Es wurde für diese Aufgabe trainiert, sodass es jetzt mit extrem hoher Genauigkeit Fotos mit Katzen erkennen kann. Andere Computerprogramme wurden beispielsweise darauf trainiert, Schrift zu lesen oder gesprochene Worte zu verstehen. Die Grundlage für das Training ist immer eine gewaltige Menge an Daten, mit der die Software ihre Aufgabe lernt. Manche der Computerprogramme mit künstlicher Intelligenz entwickeln ihre Fähigkeiten weiter, während sie Aufgaben erledigen. Das wird maschinelles Lernen genannt. Je mehr Daten sie erhalten, umso detaillierter werden ihre Entscheidungen und Vorhersagen.

 

Welche Vorteile bringt der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin?

„Der Einsatz von KI ist eine große Chance“, sagt Prof. Duncker. „Sie kann Ärztinnen und Ärzten viele Routinetätigkeiten abnehmen.“ Bei der Untersuchung von Patientinnen und Patienten fällt eine große Menge an Daten an, etwa durch Blutdruckmessungen, Ultraschall, Computertomographie, EKG oder Magnetresonanztomographie. Bislang müssen diese Informationen von Menschen analysiert und interpretiert werden. Eine KI ist in der Lage, innerhalb kürzester Zeit auch größte Datenmengen aus Untersuchungen zu sichten und miteinander in Verbindung zu setzen. Dabei kann sie wiederkehrende Muster erkennen oder mögliche Abweichungen aufspüren. Sie kann auch Bilder analysieren und darin mögliche Unregelmäßigkeiten entdecken, die ein Mensch womöglich nicht entdeckt hätte. Schließlich könnte die KI der Ärztin oder dem Arzt nur jene Ergebnisse anzeigen, die für die weitere Diagnose und Behandlung wichtig sind.

 

Wie weit ist künstliche Intelligenz bereits in der Medizin verbreitet?

In der Medizin wird KI derzeit noch in geringem Umfang eingesetzt. „Bislang wird KI noch oft in Studien und Testläufen erprobt“, sagt Prof. Duncker. „Wir sehen das Potenzial von KI in verschiedenen Bereichen. Aber Produkte und Geräte mit KI müssen natürlich wissenschaftlich geprüft werden, und das braucht Zeit.“ Wie ein neues Medikament muss auch ein neues Medizinprodukt mit KI zunächst in Studien beweisen, dass es nützlich ist und keinen Schaden anrichtet. „Mit manchen Produkten oder Geräten ist KI aber schon in der Praxis angekommen“, so Prof. Duncker.

 

Welche Aufgaben kann eine künstliche Intelligenz in der Kardiologie erledigen?

Ein wichtiger Einsatzbereich für KI sind die sogenannten bildgebenden Verfahren, also Untersuchungen, bei denen der Körper zum Beispiel per Ultraschall oder Magnetresonanztomographie aufgenommen wird. „Es wird daran gearbeitet, dass KI die Bilder automatisch auf Anzeichen für bestimmte Erkrankungen analysiert, um dann eine Diagnose stellen zu können“, sagt Prof. Duncker. Eine Studie konnte bereits nachweisen, dass Bilder und Daten aus Herz-Ultraschalluntersuchungen von einer KI präziser analysiert werden, als es Kardiologinnen und Kardiologen beim Betrachten der Aufnahmen leisten können. Außerdem konnte eine KI in einer Studie innerhalb von Sekunden die Bilder einer Herz-Ultraschalluntersuchung auswerten und so Ärztinnen und Ärzten viel Zeit sparen.

 

Auch bei der Untersuchung des Herzrhythmus kann KI unterstützen, indem sie die Kurven analysiert, die bei einer EKG-Untersuchung aufgezeichnet werden. „Die modernen EKG-Geräte mit KI schlagen verbesserte Vordiagnosen vor und können aus den Informationen weit mehr extrahieren, als es ein Mensch leisten könnte“, sagt Prof. Duncker. Wie überlegen eine KI dem Menschen sein kann, zeigte eine Studie, in der EKG-Aufzeichnungen interpretiert wurden. Die KI konnte besser als ein Facharzt oder eine Fachärztin aus dem EKG herauslesen, ob ein Mensch in den vergangenen drei Monaten einen Herzinfarkt erlitten hatte.

 

„Neu ist auch der Einsatz von KI in Medizinprodukten für ein kontinuierliches Rhythmusmonitoring in der Telemedizin“, berichtet Prof. Duncker. Diese sogenannten Loop-Rekorder werden Patientinnen und Patienten implantiert und senden Daten, wenn sie einen auffälligen Herzrhythmus erkennen. Dabei können auch falsche Alarme ausgelöst werden, etwa durch starke Bewegungen oder Erschütterungen. „Bislang musste ein Arzt oder eine Ärztin alle diese Episoden ansehen und entscheiden, ob es sich um einen echten Alarm handelt“, erklärt Prof. Duncker. „Jetzt ist eine KI dazwischengeschaltet, die alle Fehlalarme aussortiert und gar nicht mehr präsentiert. Das ist sehr nützlich, weil es den Arbeitsaufwand erheblich reduziert.“ 

Prof. David Duncker Prof. David Duncker, Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums und Leitender Oberarzt Rhythmologie an der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Bildquelle: MHH-Kardiologie

Gibt es Nachteile beim Einsatz von künstlicher Intelligenz?

Eine KI kann nur so gut sein wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde. Fehlen in den Daten zum Beispiel Informationen von Patientinnen und Patienten einer bestimmten Altersgruppe, dann weiß die KI nicht, dass es Menschen mit den Eigenschaften dieser Altersgruppe gibt. „Deshalb müssen die Trainingsdaten sehr genau geprüft werden, um sicher zu sein, dass die KI nicht voreingenommen ist“, sagt Prof. Duncker. „Wenn in den Trainingsdaten Informationen fehlen, trifft die KI unter Umständen eine falsche Entscheidung.“

 

Welche Herausforderungen bringt künstliche Intelligenz mit sich?

„Die Herausforderung ist, jede neue KI-Funktion zu prüfen und gleichzeitig die dafür nötigen Prozesse zu beschleunigen. Wenn das nicht gelingt, dauern die Studien für jeden einzelnen Algorithmus viel zu lange“, sagt Prof. Duncker. Hinzu kommen Probleme, wenn eine KI in der Lage ist, sich durch maschinelles Lernen weiterzuentwickeln. „Wenn eine KI einmal geprüft ist und dann weiter trainiert wird, weiß man nicht, ob der Algorithmus noch die hohen Qualitätsstandards erfüllt oder sich in die falsche Richtung entwickelt.“ Daher erarbeiten Expertinnen und Experten derzeit Regeln, wie die Qualitätsstandards in der Medizin beibehalten und gleichzeitig an die Möglichkeiten der KI angepasst werden können.

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