Was Angehörige über eine Organspende wissen sollten

Im Jahr 2022 spendeten bundesweit 869 Menschen ihre Organe. Viele von ihnen hatten vorher in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung ihre Zustimmung dokumentiert. Hat eine Person ihre Entscheidung nicht geäußert, müssen die Angehörigen darüber entscheiden. Was Angehörige über das Thema Organspende wissen sollten und wie eine Spende abläuft. 

Von Jana Kolbe

 

06.12.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock/vgajic

Wann müssen Angehörige über die Organspende entscheiden?

Vielen Menschen fällt es schwer, sich zu Lebzeiten mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Dabei ist das gerade in Deutschland sehr wichtig, da hierzulande die sogenannte Entscheidungslösung gilt. Das heißt: Organe und Gewebe dürfen nach dem Tod nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person eingewilligt hat. Wenn keine Entscheidung vorliegt, werden die nächsten Angehörigen (zum Beispiel Ehepartner, Eltern, Geschwister, volljährige Kinder oder Großeltern) um eine Entscheidung gebeten. „Das kann für die Angehörigen in der schweren Zeit eine zusätzliche Belastung sein. Deshalb ist es wichtig, sich im Laufe des Lebens mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen, um den Angehörigen diese zusätzliche Last zu ersparen“, sagt Dr. Roland Schneckenpointner, Funktionsoberarzt und Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin an der Uniklinik Regensburg.

 

Wurde der Wille der verstorbenen Person nicht dokumentiert, sind die Angehörigen dazu angehalten, im Sinne der oder des Verstorbenen zu handeln. Das bedeutet: Auch wenn sie persönlich eine andere Einstellung zur Organspende haben, sollten sie dem Wunsch der verstorbenen Person nachkommen, soweit dieser Wunsch bekannt ist. Nur wenn der Wille unbekannt ist, sollten die Angehörigen die Entscheidung nach ihrem Ermessen und ihren Wertvorstellungen treffen.

 

Unter welchen Bedingungen kann ein Mensch Organspender werden?

Voraussetzung für eine Organspende ist, dass die gesamten Hirnfunktionen unumkehrbar ausgefallen sind. Dieser Zustand wird umgangssprachlich Hirntod und in der Fachsprache irreversibler Hirnfunktionsausfall (IHA) genannt.

 

„Der irreversible Hirnfunktionsausfall ist die Folge einer schweren Hirnschädigung, die zum Beispiel durch eine Hirnblutung, ein Schädel-Hirn-Trauma oder einen schweren Sauerstoffmangel im Rahmen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes auftreten kann. In einem kleinen Zeitfenster ist es möglich, das Herz-Kreislauf-System mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen künstlich aufrechtzuerhalten, damit die Organe weiterhin durchblutet und transplantiert werden können“, erklärt Dr. Schneckenpointner.

 

Durch eine künstliche Beatmung werden die Organe der verstorbenen Person weiter mit Sauerstoff versorgt. Dadurch bleibt deren Funktionsfähigkeit erhalten und die Organe kommen für eine Spende infrage.

 

Wie wird der Hirntod einer Person festgestellt?

Per Gesetz ist genau festgelegt, dass vor einer Organspende der Hirntod des potenziellen Spenders oder der potenziellen Spenderin festgestellt werden muss. In diesem Fall ist die Funktionsfähigkeit des gesamten Gehirns unumkehrbar ausgefallen. „Das Herz-Kreislauf-System wird nur mithilfe intensivmedizinischer Maßnahmen künstlich aufrechterhalten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ohne künstliche Beatmung würde auf den Hirntod zeitnah der Herz-Kreislauf-Stillstand folgen“, betont Dr. Roland Schneckenpointner.

 

Es gibt eine klare Richtlinie, die das genaue Vorgehen der Hirntoddiagnostik festhält. Der Tod muss von zwei, in der Intensivmedizin erfahrenen Fachärztinnen beziehungsweise Fachärzten – darunter ein Neurologe oder eine Neurologin beziehungsweise ein Neurochirurg oder eine Neurochirurgin – unabhängig voneinander festgestellt werden. „Anhand eines Protokolls werden, nach Ausschluss aller anderen Ursachen für ein Koma, zum Beispiel Medikamente oder Gifte, durch beide Fachärzte klinische Symptome eines Hirnfunktionsausfalls untersucht. Unter anderem werden systematisch verschiedene Reflexe getestet, zum Beispiel der Schluckreflex oder der Lichtreflex der Pupillen. Treffen alle Kriterien zu, die für einen Hirnfunktionsausfall sprechen, wird, zum Nachweis der Irreversibilität, die Untersuchung, je nach der zugrundeliegenden Hirnschädigung entweder nach zwölf oder 72 Stunden noch einmal wiederholt. Alternativ kann beispielsweise mit einem EEG untersucht werden, ob noch Hirnströme vorliegen oder man weist mittels Kontrastmittel-CT nach, dass das Gehirn nicht mehr durchblutet wird“, sagt Dr. Schneckenpointner. Erst wenn alle Tests eindeutig einen irreversiblen Hirnfunktionsausfall belegen, wird der Hirntod und damit auch der Tod des Menschen festgestellt.

 

Können herzkranke Menschen Organe spenden?

Es gibt nur wenige medizinische Gründe, die gegen eine Organspende sprechen, wie zum Beispiel bestimmte Infektionen oder akute Krebserkrankungen. „Für den Erfolg einer Organtransplantation ist es wichtig, dass die transplantierten Organe gesund und funktionstüchtig sind. Häufig haben Menschen mit einer chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankung auch andere Gefäßschädigungen, weshalb immer im Einzelfall untersucht wird, ob die Organe für eine Transplantation infrage kommen“, erklärt Dr. Schneckenpointner. Je nach Erkrankung kann dann zum Beispiel eine Transplantation des Herzens oder anderer Organe ausgeschlossen werden.

Dr. Roland Schneckenpointner Dr. Roland Schneckenpointner ist Funktionsoberarzt und Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin an der Uniklinik Regensburg. Bildquelle: UKR

Wie läuft eine Organspende ab?

Wird der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt und es liegt eine Zustimmung zur Organspende vor, entscheiden Mediziner und Medizinerinnen, ob eine Spende medizinisch infrage kommt. Die Organentnahme bei einem hirntoten Patienten oder einer hirntoten Patientin erfolgt erst nach einer ärztlichen Untersuchung, um sicherzustellen, dass die Organe für den Empfänger oder die Empfängerin unbedenklich sind. Sobald ein Spenderorgan entnommen wurde, muss es schnell gehen, da das Organ dann von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten ist.

 

Können Angehörige den Spender nach der Organentnahme sehen?

Nach der Organentnahme verschließen die Mediziner und Medizinerinnen die OP-Wunde wieder und versorgen sie mit der gleichen Sorgfalt wie bei einem lebenden Menschen. „Die Angehörigen erhalten den Leichnam in einem würdigen Zustand zur Beisetzung und können sich im gewünschten Rahmen von der verstorbenen Person verabschieden. Für einige Angehörige ist es wichtig, den Patienten oder die Patientin nach der Organentnahme noch einmal zu sehen, um Abschied zu nehmen. Das wird in den Kliniken möglich gemacht“, erklärt Dr. Schneckenpointner.

 

Erfahren Angehörige, wer die gespendeten Organe bekommen hat?

Angehörige können den oder die Namen der Organempfänger nicht erfahren, weil eine Organspende immer anonym abläuft. „Auf Wunsch kann über die Deutsche Stiftung Organtransplantation in der Regel sechs Wochen nach der Spende mitgeteilt werden, ob die Transplantation erfolgreich verlaufen ist und ob der Empfänger männlich oder weiblich ist“, erklärt Dr. Schneckenpointner.

 

Wie kann Angehörigen die Entscheidung über die Organspende erleichtert werden?

Die in Deutschland geltende Entscheidungslösung hat zur Grundlage, dass Organ- und Gewebespenden zur Entscheidungsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen gehören. Niemand ist zu Lebzeiten dazu gezwungen eine Entscheidung zu treffen. Dennoch raten Experten und Expertinnen dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um den Angehörigen diese schwere Entscheidung in einer Situation, in der sie um die verstorbene Person trauern, abzunehmen.

 

Die einfachste Möglichkeit, die eigene Entscheidung zu dokumentieren, ist ein Organspendeausweis, eine Patientenverfügung oder das Organspenderegister. Es besteht auch die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zu benennen, die im Ernstfall über eine Spende entscheidet. Der Organspendeausweis kann kostenlos bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), in Apotheken, Arztpraxen, Krankenhäusern oder bei Krankenkassen und Einwohnermeldeämtern angefordert werden.

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