ESC 2023: Neue Leitlinie infektiöse Endokarditis

 

Die infektiöse Endokarditis (IE) ist mit einer jährlichen Inzidenz von 13,8 Fällen pro 100.000 Personen zwar relativ selten, aber mit einer hohen Mortalität verbunden. Im Jahr 2019 war die IE weltweit für 66.300 Todesfälle verantwortlich.1 Auf dem ESC-Kongress 2023 stellten die beiden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Prof. Victoria Delgado (Barcelona) und Prof. Michael A. Borger (Leipzig), die neue Leitlinie zum Management der IE vor, die zeitgleich veröffentlicht wurde.2

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Senior Editor:

PD Dr. Stefan Perings

Herausgeber von Herzmedizin.de
 

04.10.2023

Die Aktualisierung der Vorgängerversion aus dem Jahr 2015 war aufgrund zahlreicher Neuentwicklungen nötig und betrifft insgesamt 34 neue Empfehlungen, ein Update der Antibiotika-Prophylaxe-Indikationen, modifizierte Diagnose-Kriterien, Empfehlungen zur ambulanten parenteralen Antibiotikatherapie und zur Behandlung der partiellen Endokarditis sowie neue Definitionen zum Timing und zu Indikationen von Operationen.

Antibiotika-Prophylaxe bei dentalmedizinischen Interventionen

 

Bei Hochrisiko-Patient:innen wird zur Prävention der IE eine Antibiotika-Prophylaxe bei zahnärztlichen Eingriffen empfohlen. Zu der Hochrisiko-Gruppe zählen Patient:innen nach überstandener Endokarditis sowie Patient:innen mit Klappenprothesen, bestimmten Vitien, linksventrikulären Unterstützungssystemen oder angeborenen Herzkrankheiten. Die neue Leitlinie beinhaltet ein Antibiotika-Dosierungsschema für Patient:innen mit und ohne Penicillin- oder Ampicillin-Allergie. Neu ist auch die Empfehlung einer systemischen Antibiotika-Prophylaxe bei Hochrisiko-Patient:innen mit invasiven Eingriffen, die die Atemwege, den Gastrointestinaltrakt, den Urogenitaltrakt oder den Bewegungsapparat betreffen.

Piercings und Tattoos vermeiden


Wie Delgardo betonte, sollen Hochrisiko-Patient:innen aufgeklärt und dazu angehalten werden, eine gute Zahn- und Hauthygiene einzuhalten, Piercings und Tattoos zu vermeiden, auf Anzeichen einer Infektion zu achten und den Arzt aufzusuchen, falls Fieber mit unbekannter Ursache auftritt. Die neue Leitlinie enthält ein Schaubild, das nicht nur zur Patientenaufklärung dient, sondern auch bei Arztbesuchen vorgelegt werden soll, um den Arzt zu informieren bevor chirurgische Interventionen erfolgen.

Neue Bildgebungstechniken für die Diagnose

 

Eine definitive Diagnose der IE kann gestellt werden, wenn zwei Hauptkriterien oder ein Haupt- und drei Nebenkriterien oder fünf Nebenkriterien erfüllt sind. Die beiden Hauptkriterien sind positive Blutkulturen und eine positive Bildgebung, wobei einige neue Techniken ergänzt wurden, wie kardiale Computertomographie (CT), 18F-Fluordesoxyglucose-Positronen-Emissions-Tomographie und Einzelphotonen-Emissions-Tomographie/CT.


Als fünf Nebenkriterien wurden folgende Faktoren definiert: prädisponierende Faktoren, Fieber > 38°C, embolische vaskuläre Veränderungen, immunologische Erkrankungen und mikrobiologische Hinweise, die nicht den Hauptkriterien entsprechen. Die neuen Leitlinien beinhalten Algorithmen für den Einsatz der Bildgebung bei nativen und prothetischen Klappen sowie kardial implantierbare Devices (CIED).

Kürzere Krankenhausaufenthalte durch orale Antibiotika-Gabe

 

Für die Antibiotika-Behandlung gibt es unterschiedliche Phasen. In der frühen kritischen Phase wird die intravenöse Gabe von Antibiotika empfohlen. Zeitgleich soll die OP erfolgen, falls indiziert. Der nachfolgenden oralen, ambulanten Behandlung wird neuerdings eine größere Bedeutung beigemessen. Stabile Patient:innen sollen ab Tag 10 nach Behandlungsbeginn bzw. ab Tag 7 nach OP eine ambulante orale Antibiotika-Therapie erhalten, die über 4-6 Wochen fortgesetzt wird. Die orale Antibiotika-Gabe erhöht den Patientenkomfort und verkürzt die Krankenhausaufenthalte. Ausgenommen sind Patient:innen mit Komplikationen, bei denen die intravenöse Antibiotika-Gabe fortgeführt werden soll.

Operationen nicht lange aufschieben

 

Borger stellte eine Klassifikation von Operationen nach der Dringlichkeit vor. Chirurgische Eingriffe werden wie folgt definiert:

 

  • Notoperationen sind chirurgische Eingriffe, die innerhalb von 24 Stunden erfolgen müssen, unabhängig von der präoperativen Dauer der Antibiotikabehandlung.
  • Dringende Operationen sollen innerhalb von 3 bis 5 Tagen durchgeführt werden. Dabei sollen unnötige Verzögerungen vermieden werden, sobald die Indikation für eine dringende Operation gestellt wurde.
  • Nicht dringende Operationen sind Eingriffe, die länger als 5 Tage warten können, aber innerhalb desselben Krankenhausaufenthalts durchgeführt werden sollen.

Grundsätzlich sollen Operationen nicht lange aufgeschoben werden, um die Überlebenschancen zu verbessern. Auch ein ischämischer Schlaganfall ist kein Grund, um eine Operation zu verzögern. Selbst Patienten mit hämorrhagischen Schlaganfällen können bei günstigem Verlauf zeitnah operiert werden. Borger wies abschließend auf das Konzept der patientenzentrierten Versorgung hin, das nicht nur für die Therapie einer akuten IE gilt, sondern auch für die langfristige Betreuung der Patient:innen nach der Krankenhausentlassung.


Alle aktuellen ESC-Guidelines sowie interaktive Tools, ESC-Präsentationen und weiteres Material stehen in der ESC Pocket Guideline App zur Nutzung bereit.


Referenzen

  1. Momtazmanesh S, Saeedi Moghaddam S, Malakan Rad E, Azadnajafabad S, Ebrahimi N, Mohammadi E, et al. Global, regional, and national burden and quality of care index of endocarditis: the global burden of disease study 1990–2019. Eur J Prev Cardiol 2022;29:1287–1297. https://doi.org/10.1093/eurjpc/zwab211
  2. Delgado V, Ajmone Marsan N, de Waha S, Bonaros N, Brida M, Burri H, Caselli S, Doenst T, Ederhy S, Erba PA, Foldager D, Fosbøl EL, Kovac J, Mestres CA, Miller OI, Miro JM, Pazdernik M, Pizzi MN, Quintana E, Rasmussen TB, Ristić AD, Rodés-Cabau J, Sionis A, Zühlke LJ, Borger MA; ESC Scientific Document Group. 2023 ESC Guidelines for the management of endocarditis. Eur Heart J. 2023 Aug 25:ehad193.

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