Timing der Behandlung von Nicht-Infarkt-Läsionen bei Patienten und Patientinnen mit STEMI

Bei Patient:innen mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung ist eine sofortige Behandlung der Läsionen in Nicht-Infarktgefäßen (direkt im Anschluss an die Eröffnung des Infarktgefäßes) einer zweizeitigen nicht unterlegen. Die Studie wurde am 27. August auf dem ESC-Kongress 2023 in Amsterdam vorgestellt.  

Von:
Prof. Barbara E. Stähli

 

05.09.2023

Bisheriger Stand der Forschung 

Patient:innen mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) weisen in etwa der Hälfte der Fälle eine koronare Mehrgefäßerkrankung auf.1, 2, 3, 4  Diese Personen haben ein erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Ereignisse.1, 2, 3, 4 Die COMPLETE (Complete versus Culprit-Only Revascularization Strategies to Treat Multivessel Disease after Early PCI for STEMI) Studie zeigte, dass bei Patient:innen mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung eine komplette Revaskularisation der Nicht-Infarktgefäß-Läsionen einer alleinigen Revaskularisation des Infarktgefäßes in Bezug auf kardiovaskulärer Tod und nicht-tödlicher Herzinfarkt sowie in Bezug auf kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt und Ischämie-bedingte Revaskularisation überlegen ist.5  In der COMPLETE-Studie wurde die Behandlung der Nicht-Infarktgefäß-Läsionen bei allen Patient:innen im Rahmen eines zweiten Eingriffes untersucht, eine sofortige Revaskularisation der Nicht-Infarktgefäß-Läsionen war keine Vergleichsgruppe.5

Studienziel

Die im August 2023 beim ESC-Kongress vorgestellte MULTivessel Immediate versus STAged RevaScularization in Acute Myocardial Infarction (MULTISTARS AMI) Studie hat nun bei hämodynamisch stabilen Patient:innen mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung untersucht, ob eine sofortige Revaskularisation der Nicht-Infarktgefäß-Läsionen (während der Index-Prozedur direkt im Anschluss an die Eröffnung des Infarktgefäßes) einer zweizeitigen (welche zwischen 19 und 45 Tagen nach der Behandlung des Infarktgefäßes durchgeführt wurde) nicht unterlegen ist. 

Methodik

Die MULTISTARS AMI Studie wurde in 37 Zentren in Europa durchgeführt und schloss 840 Patient:innen mit akutem STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung nach erfolgreicher Behandlung des Infarktgefäßes und mit stabiler Hämodynamik ein.6 Eine koronare Mehrgefäßerkrankung wurde basierend auf der Koronarangiographie definiert als das Vorliegen von mindestens einer Koronarläsion mit ≥ 70 % Diameter-Stenose in einer Koronararterie von ≥ 2,25 mm bis ≤ 5,75 mm Durchmesser. Der primäre Endpunkt war ein kombinierter Endpunkt, welcher Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall, ungeplante Ischämie-geführte Revaskularisation oder Hospitalisation aufgrund einer Herzinsuffizienz nach 1 Jahr nach Randomisierung umfasste.

Keine Unterlegenheit der sofortigen Revaskularisation

MULTISTARS AMI konnte zeigen, dass eine sofortige Revaskularisation von Läsionen bei Nicht-Infarktgefäßen einer zweizeitigen nicht unterlegen war.7 Nach einem Jahr wurde der primäre Endpunkt bei 35 Patient:innen (8,5 %) in der sofortigen Revaskularisation-Gruppe und bei 68 Patient:innen (16,3 %) in der zweizeitigen Revaskularisation-Gruppe beobachtet (Risk Ratio 0,52; 95 % Konfidenzintervall 0,38 bis 0,72; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit; p < 0,001 für Überlegenheit).7 Die Strategie einer sofortigen Revaskularisation der Nicht-Infarktgefäß-Läsionen war mit einer niedrigeren Rate an Myokardinfarkten (2,0 % im Vergleich zu 5,3 %, Hazard Ratio 0,36, 95 % Konfidenzintervall 0,16 bis 0,80) und ungeplanten Ischämie-bedingten Revaskularisationen (4,1 % im Vergleich zu 9,3 %, Hazard Ratio 0,42, 95 % Konfidenzintervall 0,24 bis 0,74) vergesellschaftet.7 Das Risiko von Tod, Schlaganfall und Hospitalisierungen aufgrund einer Herzinsuffizienz unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen.7 Patient:innen der sofortigen Revaskularisation-Gruppe wiesen zudem eine kürzere Gesamteingriffsdauer sowie eine kürzere Gesamthospitalisierungsdauer auf.

Limitationen

Es muss berücksichtigt werden, dass die Studie während der COVID-19-Pandemie durchgeführt wurde, was die Dauer der Rekrutierungsphase beeinflusst und bei einigen Patient:innen zu einer Verzögerung der zweiten Prozedur geführt haben könnte. Ähnlich zu anderen kardiovaskulären Studien war der Anteil an weiblichen Patientinnen eher gering. Die Resultate können zudem nicht auf Patient:innen mit kardiogenem Schock, Hauptstammstenose, chronischen Koronarverschlüssen oder stattgefundenen aortokoronaren Bypassoperationen übertragen werden, da dies Ausschlusskriterien darstellten. Das Erkennen eines periprozeduralen Myokardinfarktes ist im Rahmen eines akuten STEMIs herausfordernd, wenn kardiale Biomarker aufgrund des Akutereignisses erhöht sind, was in der Interpretation der Befunde berücksichtigt werden muss. 

Fazit

MULTISTARS AMI konnte zeigen, dass bei Patienten mit STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung eine sofortige Revaskularisation von Läsionen in Nicht-Infarktgefäßen einer zweizeitigen nicht unterlegen und mit einer niedrigeren Rate an Reinfarkten und Reinterventionen vergesellschaftet ist.

Gibt es ein Fazit für die Praxis?

Basierend auf den Resultaten von MULTISTARS AMI kann individuell gemeinsam mit Patienten und Patientinnen der optimale Zeitpunkt der Behandlung der Nicht-Infarktgefäße gewählt werden, entweder unmittelbar im Anschluss an die Behandlung des Infarktgefäßes oder in einer zweiten Prozedur. 


Referenz

  1. Sorajja P, Gersh BJ, Cox DA, McLaughlin MG, Zimetbaum P, Costantini C, et al. Impact of multivessel disease on reperfusion success and clinical outcomes in patients undergoing primary percutaneous coronary intervention for acute myocardial infarction. Eur Heart J. 2007;28(14):1709-16.
  2. Jensen LO, Terkelsen CJ, Horvath-Puho E, Tilsted HH, Maeng M, Junker A, et al. Influence of multivessel disease with or without additional revascularization on mortality in patients with ST-segment elevation myocardial infarction. Am Heart J. 2015;170(1):70-8.
  3. Kober L, Engstrom T. A More COMPLETE Picture of Revascularization in STEMI. N Engl J Med. 2019;381(15):1472-4.
  4. Janardhanan R, Kenchaiah S, Velazquez EJ, Park Y, McMurray JJ, Weaver WD, et al. Extent of coronary artery disease as a predictor of outcomes in acute myocardial infarction complicated by heart failure, left ventricular dysfunction, or both. Am Heart J. 2006;152(1):183-9.
  5. Mehta SR, Wood DA, Storey RF, Mehran R, Bainey KR, Nguyen H, et al. Complete Revascularization with Multivessel PCI for Myocardial Infarction. N Engl J Med. 2019;381(15):1411-21.
  6. Stahli BE, Varbella F, Schwarz B, Nordbeck P, Felix SB, Lang IM, et al. Rationale and design of the MULTISTARS AMI Trial: A randomized comparison of immediate versus staged complete revascularization in patients with ST-segment elevation myocardial infarction and multivessel disease. Am Heart J. 2020;228:98-108.
  7. Stahli BE, Varbella F, Linke A, Schwarz B, Felix SB, Seiffert M, et al. Timing of Complete Revascularization with Multivessel PCI for Myocardial Infarction. N Engl J Med. 2023.

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