Jo-Jo-Effekt: Das epigenetische Gedächtnis der Fettzellen

 

Nach einer Diät ist der Frust groß, wenn die verlorenen Pfunde schnell wieder zurück sind. Doch welche molekularen Mechanismen stecken hinter dem bekannten Jo-Jo-Effekt? Das wurde jetzt in einer internationalen Studie mit Beteiligung der Universität Leipzig untersucht.1 Laut den Forschenden ist das epigenetische Gedächtnis der Adipozyten dafür verantwortlich, dass der Körper auf eine erneute energiereiche Ernährung vorbereitet ist.

 

Der Co-Autor der Studie, Prof. Matthias Blüher (Universitätsklinikum Leipzig) kommentiert.

Von:

Dr. Heidi Schörken

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

Expertenkommentar

Prof. Matthias Blüher 

Universitätsklinikum Leipzig

 

18.02.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Kateryna Kon / Shutterstock.com

Hintergrund und Zielsetzung

 

In Deutschland sind über die Hälfte aller Erwachsenen von Übergewicht (BMI ≥ 25 kg/m2) und etwa ein Viertel von Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) betroffen, was einer Anzahl von rund 15 Millionen Menschen entspricht.2 Die langfristige Gewichtsreduktion steht im Mittelpunkt der Behandlung der klinischen Adipositas, ist aber kaum allein durch Lebensstiländerungen erreichbar. Denn selbst wenn das Abnehmen durch eine Diät gelingt, ist die Freude meist nur kurz, da das Ausgangsgewicht schnell wieder erlangt oder sogar überschritten wird, wie Studien der letzten Jahren zeigten.3 Dieses wiederkehrende Muster, das als Jo-Jo-Effekt bekannt ist, wird auf ein metabolisches Gedächtnis zurückgeführt, das nach einer Gewichtsabnahme bestehen bleibt. So wurden bei Mäusen anhaltende phänotypische Veränderungen durch den vorhergehenden metabolischen Status beschrieben.

 

Aus Studien ist auch bereits bekannt, dass epigenetische Mechanismen entscheidend zum zellulären Gedächtnis bei Adipositas beitragen. In Humanstudien wurden veränderte DNA-Methylierungen im Gesamtgewebe und Vollblut nachgewiesen, allerdings blieb bisher unklar, ob auch einzelne Zellen ein metabolisches Gedächtnis besitzen und wie dieses vermittelt wird. In dieser Studie wurden einerseits Änderungen der Transkription einzelner Zellen mittels Einzelzell-RNA-Sequenzierung von Menschen vor und nach signifikantem Gewichtsverlust sowie von Mäusen untersucht und zusätzlich das Epigenom von Maus-Adipozyten charakterisiert.1,2

Änderungen der Transkription von humanen Adipozyten

 

Von insgesamt 26 Personen mit Übergewicht wurden Fettgewebe-Proben kurz vor und 2 Jahre nach einer bariatrischen OP sowie Proben von 22 normalgewichtigen Personen aus 3 Studien (MTSS, LTSS and NEFA) untersucht. In den Proben fanden sich zahlreiche unterschiedliche Zellcluster, einschließlich Adipozyten (AT), Adipozyten-Progenitor-Zellen (APC), Mesothelzellen, Immunzellen und Endothelzellen.

 

Eine Zelltyp-spezifische Expressionsanalyse ergab zahlreiche Unterschiede von differentiell exprimierten Genen (DEG) vor und 2 Jahre nach der Gewichtsabnahme bei Übergewichtigen gegenüber den Kontrollpersonen. Die stärksten Änderungen wurden in AT, APC und Endothelzellen gefunden. Relevante Stoffwechsel-Gene blieben nach der Gewichtsabnahme herunterreguliert. Laut GSEA-Analyse (Gene Set Enrichment Analysis) wurden vor allem Gene der Adipozyten-Funktion unterdrückt, während Gene, die mit Fibrose und Apoptose verbunden waren, aktiviert wurden. 

Pathophysiologie nach Gewichtsverlust bei Mäusen

 

Die molekularen Mechanismen des metabolischen Gedächtnisses wurden tierexperimentell untersucht: Dazu wurden 4 Gruppen von jeweils 20 Mäusen mit einer fettarmen Diät (C) oder fettreichen Diät über 12 Wochen (H) oder 25 Wochen (HH) gefüttert. Anschließend wurden die Tiere über 8 Wochen auf eine Standard-Ernährung umgestellt, was zur Gewichtsnormalisierung führte (HC- und HHC-Gruppe).


Die Glukosetoleranz war nach 12 Wochen fettreicher Diät beeinträchtigt (H-Gruppe), aber nicht nach 25 Wochen (HH-Gruppe), während sich die Insulinsensitivität umgekehrt verhielt. Weiterhin waren Nüchternglukose- und Leptinspiegel in beiden Gruppen mit fettreicher Nahrung erhöht und normalisierten sich nach Gewichtsabnahme. Die Hyperinsulinämie normalisierte sich auch, aber nur bei den HC-Mäusen vollständig, und wurde dagegen bei den HHC-Mäusen nur vermindert.


Übergewichtige Mäuse wiesen größere Fettdepots auf als die Kontrollen, die sich nach der Gewichtsabnahme normalisierten. Die Adipozyten waren ebenfalls vergrößert und normalisierten sich bei den H-Mäusen nach der Gewichtsabnahme, jedoch nicht bei den HH-Mäusen. Das Fettgewebe der übergewichtigen Mäuse (H- und HH-Gruppe) wies infiltrierte Immunzellen und apikale Fibrose auf.

Änderungen der Transkription bei Maus-Adipozyten

 

Die zellulären Änderungen in einem speziellen Fettgewebe (epiAT) von übergewichtigen Mäusen wurden mittels snRNA-seq untersucht. Die Anzahl der infiltrierten Makrophagen im Fettgewebe war bei Übergewicht erhöht und normalisierte sich auch nach Gewichtsabnahme nicht. Aktivierte Gene waren mit Lysosomen-Aktivität, Apoptose und Inflammation verbunden, was auf eine Beteiligung des endoplasmatischen Retikulums und zellulären Stress hinwies. Dauerhaft inaktivierte Gene waren dagegen mit dem Fett-Metabolismus verbunden, wie Fettsäure-Oxidation, Fettsäure-Biosynthese oder Adipogenese, was auf eine Adipozyten-Dysfunktion hinwies. Diese Befunde stimmten insgesamt mit den Beobachtungen in menschlichem Fettgewebe überein. 

Das epigenetische Gedächtnis von Maus-Adipozyten

 

Für die nachfolgenden Experimente wurden Mäuse mit Biotin- und GFP-markierten Zellkernen und Ribosomen von Adipozyten eingesetzt. Die Epigenom-Analysen umfassten neben ATAC-seq auch die Untersuchung der Histon-Modifikationen (hPTM): H3K27me3, H3K4me3, H3K4me1 und H3K27ac. hPTM-Signaturen bezeichnen charakteristische Muster posttranslationaler Modifikationen an Histonproteinen mit regulatorischen Funktionen. Während H3K4me3, H3K4me1 und/oder H3K27ac aktivierend auf Promotoren wirken, führt H3K27me3 zu deren Inaktivierung.


Zahlreiche Promotoren von übergewichtigen Mäusen hatten einen geänderten Aktivitätsstatus, der auch nach Gewichtsabnahme gegenüber den Kontrollen erhalten blieb. Inaktiviert wurden vor allem Gene der normalen Adipozyten-Funktion (H3K27me3↑ und H3K4me3↓) und aktiviert degegen Gene, die an Remodeling und Inflammation beteiligt waren (H3K4me3↑ und H3K27me3↓). Insgesamt waren diese Veränderungen charakteristisch für eine Adipozyten-Dysfunktion.


Epigenetische Modifikationen befinden sich sehr häufig an Enhancer-DNA-Sequenzen, die ein Schlüsselelement für die Regulation von zellulären Prozessen sind. Aktivierte Enhancer wurden vor allem für Gene gefunden, die mit Inflammation, Lysosom-Aktivität und Remodeling verbunden waren und den Übergang in einen inflammatorischen Status kennzeichnen.


Schließlich wurde untersucht, ob die epigenetischen Änderungen für die anhaltenden Translationsunterschiede nach Gewichtsabnahme verantwortlich sind. 57–62 % der herunter- und 68–75 % der heraufregulierten DEG waren durch die beschriebenen Epigenom-Änderungen erklärbar. Insgesamt ließen diese Ergebnisse auf ein stabiles epigenetisches Gedächtnis der Maus-Adipozyten schließen.

Weche Funktion hat das epigenetische Gedächtnis?

 

Um die Effekte des epigenetischen Gedächtnisses zu untersuchen, wurden Adipozyten von Mäusen nach Gewichtsabnahme sowie von Kontroll-Mäusen über 48 Stunden kultiviert und funktionell untersucht. Nach Gewichtsabnahme war die Glukose- und Palmitat-Aufnahme gegenüber den Kontrollen erhöht, was auf phänotypische Veränderungen hinwies, die durch das epigenetische Gedächtnis der Adipozyten ex-vivo vermittelt wurden.


Im nächsten Experiment wurden Mäuse nach Gewichtsverlust sowie Kontrollmäuse erneut mit energiereicher Diät über 4 Wochen gefüttert (HCH- und CCH-Mäuse). HCH-Mäuse legten schneller an Gewicht zu. Nüchtern-Glukosespiegel und Insulinspiegel waren erhöht, aber weder die Glukosetoleranz noch die Insulinsensitivität war beeinträchtigt. Die Leptinspiegel von HCH-Mäuse und H-Mäusen waren erhöht, aber nicht von CCH-Mäusen. HCH-Mäuse wiesen vergrößerte Adipozyten und Fettdepots auf sowie eine erhöhte Triglyzerid-Akkumulation und Lebersteatose auf gegenüber CCH-Mäusen.


Weitere Analyse zeigten, dass die epigenetischen Signaturen bei HCH-Mäusen für 31 % der hochregulierten DEG verantwortlich waren, die mit Inflammation verbunden waren, sowie für 60 % der herunterregulierten DEG, die vor allem mit einer normalen Adipozyten-Funktion assoziiert waren. 

Diskussion und Fazit

 

Diese umfangreichen Daten weisen übereinstimmend daraufhin, dass ein dauerhaftes epigenetisches Gedächtnis zu einer veränderten Transkription von Adipozyten im Jo-Jo-Diät-Modus beiträgt und die Zellen auf eine erneute energiereiche Nahrung vorbereitet. Das epigenetische Gedächtnis spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Pathophysiologie der Rebound-Adipositas.


Die bariatrische OP verändert neben dem Körpergewicht auch das Darmmikrobiom, die Mikronährstoffaufnahme, den Gallensäurestoffwechsel und den Inkretinsignalweg. Nichtsdestotrotz blieben die Transkriptionsunterschiede von Adipozyten erhalten auch nach dem signifikanten Gewichtsverlust. Aus methodischen Gründen konnten zwar keine humanen epigenetischen Analysen durchgeführt werden, jedoch gibt es keinen Grund zum Zweifel an der Annahme, dass das epigenetische Gedächtnis auch beim Menschen zur Pathophysiologie der Adipositas maßgeblich beiträgt.


Der Kausalzusammenhang zwischen dem epigenetischem Gedächtnis von Adipozyten und Jo-Jo-Effekt konnte hier zwar nicht bewiesen werden. Es wurde aber in einer anderen Arbeit bereits berichtet, dass transplantiertes Fettgewebe von übergewichtigen Mäusen bei Kontrollmäusen die Makuladegeneration und Angiogenese förderte.4


Die Inkretinrezeptor-Agonisten Semaglutid und Tirzepatid sind wirksame und nicht-invasive Strategien zur Gewichtsabnahme, allerdings sind die physiologischen Veränderungen beim Menschen bisher kaum untersucht. Aus Studien ist bekannt, dass es nach dem Absetzen dieser Medikamente zu einer erheblichen Gewichtszunahme kommt, was auf ein adipogenes Gedächtnis hinweist. Ob andere Inkretinrezeptor-Agonisten möglichweise das adipogene Gedächtnis löschen oder reduzieren können, bleibt abzuwarten. Im Hinblick auf die jüngsten Fortschritte von Epigenom-Editing-Techniken könnte das epigenetische Gedächtnis ein vielversprechendes neues therapeutisches Target darstellen für die Behandlung von Adipositas oder anderen chronischen Krankheiten. 

Expertenkommentar

 

Adipositas ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung, bei der verschiedene Mechanismen nach erfolgreicher Gewichtsreduktion zu einer schnellen Wiederzunahme des Gewichts führen. Diese Gewichtsschwankungen werden häufig als Jo-Jo-Effekt bezeichnet und sind Ausdruck dafür, dass der menschliche Körper das maximal erreichte Gewicht sehr gut verteidigt.


Bisher wurden die wesentlichen Mechanismen für dieses „Weight Cycling“ im zentralen Nervensystem gesehen. Mit der aktuellen Arbeit wurde nun gezeigt, dass auch Zellen des Fettgewebes ein „metabolisches Gedächtnis“ des Adipositas-Zustandes behalten. Dieses Gedächtnis scheint wesentlich durch epigenetische Veränderungen geprägt zu sein, die durch eine Lebensweise mit hochkalorischer Ernährung und Bewegungsmangel verursacht wird.
Unser Verhalten bestimmt nach dieser Hypothese die epigenetischen Markierungen im Zellkern. Bisher ist nicht bekannt, ob zum Beispiel mit Medikamenten das epigenetische Gedächtnis verändert oder gelöscht werden kann. Deshalb ist es umso wichtiger, ein ungünstiges epigenetisches Gedächtnis zu verhindern, als nach der Entstehung von Adipositas dieses wieder rückgängig zu machen.


In der aktuellen Publikation wurde gezeigt, dass Fettzellen ein epigenetisches Gedächtnis für Adipositas besitzen. Wahrscheinlich sind aber Fettzellen nicht die einzigen Zellen mit einem solchen Erinnerungsvermögen. Es wäre denkbar, dass sich auch Zellen im Gehirn, in den Blutgefäßen oder weiteren Organen an Fettleibigkeit erinnern. Da Fettzellen ungefähr 10 Jahre leben, ist es wahrscheinlich, dass es mindestens diese Zeit braucht, um die epigenetischen Veränderungen, die zur Gewichtswiederzunahme führen, rückgängig zu machen.

Zur Person

Prof. Matthias Blüher

Prof. Matthias Blüher leitet die Adipositas-Ambulanz am Universitätsklinikum Leipzig und ist Direktor des Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung. Seine Forschung konzentriert sich auf die molekularen Mechanismen der Adipositas, einschließlich genetischer Faktoren, die zur Funktionsstörung des Fettgewebes führen und damit Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und weitere Erkrankungen begünstigen.


Referenzen

 

  1. Hinte LC et al. Adipose tissue retains an epigenetic memory of obesity after weight loss. Nature. 2024 Dec;636(8042):457-465. doi: 10.1038/s41586-024-08165-7. Epub 2024 Nov 18. PMID: 39558077; PMCID: PMC11634781.
  2. Mensink G et al. Übergewicht und Adipositas in Deutschland. Bundesgesundheitsbl 2013 56:786–794
  3. Nordmo M et al. The challenge of keeping it off, a descriptive systematic review of high-quality, follow-up studies of obesity treatments. Obes Rev. 2020 Jan;21(1):e12949.
  4. Hata M. et al. Past history of obesity triggers persistent epigenetic changes in innate immunity and exacerbates neuroinflammation. Science 379, 45–62 (2023).

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