Quick Dive: Geschlechterspezifische Kardiologie

 

In unserer Reihe "Quick Dive" stellen die Autorinnen und Autoren von DGK-Publikationen prägnant die wichtigsten Hintergründe und Inhalte der jeweiligen Veröffentlichung vor. Dieses Mal wird eingetaucht in:

 

Positionspapier zu "Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen"

26.06.2024 | Verfasst von: Andrea Bäßler, Pascal Bauer, Michael Becker, Susanne Berrisch-Rahmel, Britta Goldmann, Ekkehard Grünig, Catharina Hamm, Benjamin Meder, Peter Ong, Ingrid Kindermann, Ute Seeland, Burkhard Sievers, Christina Strack, Maura M. Zylla, Jana Boer


Von:

Melissa Wilke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

05.07.2024

 

Bildquelle (Bild oben): vovan / Shutterstock.com

5 Fragen an die Erstautorin

Prof. Andrea Bäßler, Universitätsklinikum Regensburg

 

Was sind Anlass und Ziel der Publikation?

 

Es handelt sich um die erste offizielle Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) im Bereich der Gendermedizin (auch geschlechtersensible Medizin) mit Fokus auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Noch immer finden geschlechterspezifische und soziokulturelle Faktoren in Gesundheits- und Krankheitsforschung unzureichende Berücksichtigung. Dies wurde erkannt und die Gendermedizin gewinnt seitdem als Fachdisziplin in der Gesundheits- und Krankheitsforschung zunehmend an Bedeutung. Dieses Positionspapier dient dazu, den aktuellen Stand der Forschung zu den biologischen Geschlechterunterschieden in der Kardiologie widerzuspiegeln und Ärzten, Ärztinnen sowie ihren Patienten und Patientinnen mit kardiovaskulären Erkrankungen bei der Entscheidungsfindung zu einer optimierten personalisierten Versorgung mit Berücksichtigung geschlechterspezifischer Aspekte Hilfestellung zu bieten.

 

Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?

 

  1. Unterrepräsentation von Frauen in der Forschung: Trotz fortschreitender Erkenntnisse über geschlechterspezifische Unterschiede sind Frauen in wissenschaftlichen Untersuchungen zu kardiovaskulären Erkrankungen aufgrund vielschichtiger Faktoren häufig noch unterrepräsentiert und geschlechterspezifische Analysen werden nicht konsequent durchgeführt.
  2. Alters- und Komorbiditätsunterschiede bei Diagnosestellung: Frauen sind bei der Diagnosestellung von kardiovaskulären Erkrankungen in der Regel älter und haben mehr Komorbiditäten als Männer, was zu höheren Komplikationsraten und höherer Krankenhaussterblichkeit führt.
  3. Relevanz geschlechterspezifischer Risikofaktoren: Neben den klassischen atherogenen Risikofaktoren existieren geschlechterspezifische Risikofaktoren, die bei Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebensphasen von besonderer Bedeutung sind und das kardiovaskuläre Risiko erhöhen (siehe Abbildung 1). Eine entscheidende Rolle spielt hier auch das Klimakterium mit seinen peri- und postmenopausalen Hormonumstellungen. Es ist essenziell, diese Faktoren im kardiologischen Alltag, z. B. durch Erheben einer geschlechtersensiblen Anamnese, zu berücksichtigen und entsprechend durch Screening-, Präventions- und Therapiemaßnahmen zu adressieren.
  4. Pharmakotherapie: Geschlechterspezifische Unterschiede in Pharmakokinetik und Dynamik können zu unterschiedlichen Wirkungen, Wechselwirkungen, Unverträglichkeiten und Therapieadhärenzen bei Männern und Frauen führen.

 

Eine zentrale Abbildung aus der DGK-Publikation:

Abbildung 1: Verlauf der Hormonspiegel in verschiedenen Lebensphasen bei Frauen und Männern und geschlechterspezifische kardiovaskuläre Risikokonstellationen, den Lebensphasen entsprechend farblich markiert.  - Positionspapier Geschlechterspezifische Kardiologie

Abb.: Verlauf der Hormonspiegel in verschiedenen Lebensphasen bei Frauen und Männern und geschlechterspezifische kardiovaskuläre Risikokonstellationen, den Lebensphasen entsprechend farblich markiert.  Bildquelle: Baessler A., Bauer P., Becker M., et al. Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen; Kardiologie (2024); https://doi.org/10.1007/s12181-024-00694-9

Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?

 

Es ist von zentraler Bedeutung, das Bewusstsein für geschlechterspezifische Unterschiede in Diagnostik, Therapie sowie in der Forschung und Planung klinischer Studien zu schärfen. Studien sollten darauf abzielen, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erreichen, festgemacht an geeigneten Kennzahlen (z. B. dem Partizipations-Prävalenz-Quotienten, PPR). Dabei sollte berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Gesundheitswahrnehmungen, soziokulturelle Faktoren, familiäre Verpflichtungen und Bedenken hinsichtlich potenzieller Risiken die Entscheidung für oder gegen eine Studienteilnahme beeinflussen können. Für den klinischen Alltag können geschlechterspezifische Betrachtungen in Praxisleitlinien einerseits und gezielte Weiterbildungen andererseits eine Optimierung der Versorgungsstruktur bewirken.

 

Welche Punkte sind offengeblieben?

 

Die umfassende Diskussion aller geschlechterspezifischen Aspekte der Kardiologie kann in einem einzelnen Positionspapier nicht vollständig abgedeckt werden. Es besteht ein anhaltender Bedarf an vertiefter Forschung, umfangreicher Datenerhebung und gründlicher Analyse, um eine solide Evidenzbasis für geschlechterspezifische Aspekte zu schaffen. Eine verbesserte Datenlage, insbesondere für Frauen, würde die Grundlage dafür bieten, gewonnene Erkenntnisse, wo angebracht, als geschlechterspezifische Empfehlungen zu formulieren und in Leitlinien zu integrieren.

 

Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?

 

Im Sinne einer individualisierten Versorgung wird die Bedeutung einer geschlechtersensiblen Medizin auch in der Kardiologie weiter zunehmen. Eine wachsende Sensibilisierung für geschlechterspezifische Unterschiede in allen Bereichen der Medizin, von der Lehre über die Wissenschaft bis hin zur Klinik, ist sowohl bei Studierenden, dem medizinischen Fachpersonal als auch in Forschungsprojekten erkennbar. Diese Entwicklungen aktiv voranzutreiben, ist entscheidend, um die Datenlage nachhaltig zu verbessern und allen Patientinnen und Patienten die bestmögliche medizinische Versorgung zu bieten. Neue Bereiche wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz könnten hierbei eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

Weiter zur vorgestellten Publikation:

Positionspapier Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen – Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)

Literaturnachweis: Baessler A., Bauer P., Becker M., et al. Geschlechterspezifische Aspekte kardiovaskulärer Erkrankungen; Kardiologie (2024); https://doi.org/10.1007/s12181-024-00694-9

Zur Person

Prof. Andrea Bäßler

Prof. Andrea Bäßler ist Oberärztin am Universitären Herzzentrum des Universitätsklinikums Regensburg und leitet die kardiologische Ambulanz. Sie besitzt Zusatzqualifikationen als Gendermedizinerin (DGesGM) und Lipidologin (DGFF). Sie ist Gleichstellungsbeauftragte für Wissenschaft und Kunst sowie Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät. Prof. Bäßler ist außerdem Sprecherin der AG28 Gendermedizin in der Kardiologie bei der DGK. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u. a. Metabolisches Syndrom, Lipidstoffwechselstörungen, Versorgungsforschung und kardiovaskuläre Prävention.  

Bildquelle: Privat

Kurzinfo: Die Formate der DGK-Publikationen

Leitlinien sind für Ärztinnen und Ärzte eine wichtige Stütze im klinischen Alltag, um ihre Patientinnen und Patienten nach neuestem Stand der Wissenschaft bestmöglich zu behandeln. Dabei dienen die Leitlinien als verlässliche Handlungsempfehlungen in spezifischen Situationen.

Pocket-Leitlinien sind Leitlinien in kompakter, praxisorientierter Form. Bei Übersetzungen von Pocket-Leitlinien der ESC werden alle Empfehlungsklassen und Evidenzgrade der Langfassung übernommen.

Master Pocket-Leitlinien stellen eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Leitlinienempfehlungen in Form von grafischen Diagnose- und Therapiealgorithmen dar. Als Quelle der Empfehlungen dienen dabei vorwiegend die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erstellten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) sowie deren deutsche Übersetzung durch die DGK.

CardioCards behandeln im Wesentlichen Themen der Diagnostik und Akuttherapie für den ambulanten Bereich. Hier werden die essenziellen Informationen von Leitlinien komprimiert und übersichtlich zusammengefasst.

Kommentare beinhalten Hinweise, wie sich die neuen von den alten Leitlinien unterscheiden, Hinweise auf wesentliche Neuerungen, die seit dem Erscheinen der ESC-Leitlinien bekannt geworden sind, Diskussion kontroverser Empfehlungen in den ESC-Leitlinien sowie Möglichkeiten und Grenzen der Leitlinienumsetzung im Bereich des deutschen Gesundheitswesens.

Ein Positionspapier behandelt eine Fragestellung von großem allgemeinen Interesse, für die keine aktuelle Leitlinie vorliegt.

Bei einem Konsensuspapier handelt es sich um ein von mehreren Fachgesellschaften getragenes Statement.

Diese Veröffentlichungen enthalten Empfehlungen einer DGK-Arbeitsgruppe zu einer speziellen Frage von großem Interesse.

Stellungnahmen der DGK beziehen sich auf gesundheitspolitische Fragestellungen und erfolgen durch den Vorstand, gemeinsam mit Kommissionen und Projektgruppen. Sofern möglich und sinnvoll, werden auch Fachgesellschaft-übergreifende Stellungnahmen ausgearbeitet.

Ein Manual ist eine praktisch orientierte Expertenempfehlung für wesentliche kardiovaskuläre Prozeduren.

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