Trotz Transformation: Der Patient steht im Mittelpunkt der Herzmedizin

 

DGTHG-Jahrestagung 2025 | Vom 15. bis 17. Februar fand in Hamburg die 54. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) statt. Im Vorfeld des Kongresses sprach der DGTHG-Tagungspräsident Prof. Jochen Börgermann im Interview über den Themenfokus der Veranstaltung, die Bedeutung des diesjährigen Kongressmottos „Tradition und Transformation“ sowie das Thema Robotics im europäischen Kontext. Darüber hinaus geht es um interdisziplinäre Themen in der Herzmedizin, den Stand der Versorgung bei Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) und die Nachwuchsförderung in der Herzchirurgie.

Von:

Romy Martínez & Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

20.02.2025

 

 

Bildquelle (Bild oben): Owlie Productions / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Herr Prof. Börgermann, heute startet die 54. Jahrestagung der DGTHG. Welche Themen stehen dieses Jahr im Fokus?
 
Börgermann: In den drei Tagen des Kongresses möchten wir die gesamte Bandbreite der Herzmedizin abdecken. Die diesjährige Tagung bietet zahlreiche Highlights – vier davon stehen besonders im Fokus:

 

  • Multiprofessionalität: Wir veranstalten insgesamt 23 Joint Sessions mit unseren Partner-Fachgesellschaften – darunter Kardiologie, Kinderkardiologie, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Kardiotechnik, Geriatrie und Rehabilitation. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit spielt eine zentrale, bei der zunehmend individualisierten Versorgung unserer gemeinsamen Patientinnen und Patienten.
  • Evidenzbasierte Medizin: Wie jedes Jahr legen wir großen Wert auf wissenschaftliche Evidenz. Daher binden wir gezielt Koautorinnen und Koautoren neuer Leitlinien in den Kongress ein, um direkte Einblicke in die Entstehung der Guidelines zu geben und Fragen zur Entscheidungsfindung zu beantworten.
  • Gesundheitspolitische Veränderungen: Der Gesundheitssektor steht vor großen Umbrüchen, etwa durch die Krankenhausstrukturreform inklusive Leistungsgruppen und zunehmender Leistungsfokussierung. Auch Themen wie die Entbürokratisierung, die Transparenzoffensive und die Digitalisierung werden mit Blick auf die Herausforderungen und möglichen Lösungen in verschiedenen Sitzungen diskutiert.
  • Technologische Innovationen: Die Revolution durch Robotik und künstliche Intelligenz (KI) erfasst zunehmend auch (wieder) die Herzchirurgie. Wir beleuchten den aktuellen Stand und zukünftige Entwicklungen dieser spannenden Technologien.

 

Erstmals wird es zudem eine Sitzung zum Komplikationsmanagement geben – ein Format, in dem wir anhand von Beispielen mit Komplikationen voneinander lernen können.

Tradition und Robotik von heute

 

HERZMEDIZIN: Wofür steht das Kongressmotto „Tradition und Transformation“?

 

Börgermann: Meines Erachtens gibt es in unseren herzmedizinischen Fächern viele Traditionen. Um zwei technische Traditionen herauszustellen: Das wäre zum Beispiel für die Intervention die Seldinger-Technik. Ohne Seldinger-Technik würde es heute kein Stenting geben und auch keine Katheterklappe platziert werden können. Für die Chirurgie sind das die konventionellen Nahttechniken, die einfach gute Tradition sind und worauf viel aufgebaut ist. Doch die wichtigste Tradition bleibt, dass die Patientinnen und Patienten – trotz aller Umbrüche im Gesundheitswesen – stets im Mittelpunkt der Herzmedizin stehen. Philosophisch lässt sich auch sagen, dass jedes Patientenleben Tradition und Transformation verbindet, im besten Sinne. 

 

HERZMEDIZIN: Bei einer europäisch besetzten Sitzung am Sonntag dreht sich alles um das Thema Robotics. Was macht das Thema so spannend und wo stehen wir hier aktuell? 

 

Börgermann: Was wir weltweit in der Herzmedizin und allgemein in der Medizin sehen, ist eine dynamische Entwicklung in zwei Bereichen: Das ist die Anwendung von robotischen Systemen und KI. Bis jetzt sind bereits 14 Millionen Patientinnen und Patienten mit dem robotischen chirurgischen System des Marktführers operiert worden.

Wir werden in dieser Sitzung diskutieren, was Robotik heute kann und wo die Vorteile liegen. Dazu gehört beispielsweise eine bessere Visualisierung des OP-Gebietes mit 10-facher Vergrößerung in 3D, höhere Präzision und bessere Ergonomie für die Chirurgin oder den Chirurg. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet es weniger Schmerzen und eine schnellere Rekonvaleszenz. Kürzere Liegezeiten im Krankenhaus sparen Ressourcen und Kosten im Gesundheitswesen. Wir wollen zudem darstellen, welche Programmschritte erforderlich sind: Wie starten Sie als Klinik ein Robotik-Programm? Welche regulatorischen Schritte sind zu meistern? In Europa gibt es das Thema MDR, die Medical Device Regulation, die uns ein paar Hindernisse in den Weg legt, die aber überwindbar sind. Letztendlich soll diese Sitzung einen Gesamtüberblick geben.

Weiterentwicklung der Multiprofessionalität

 

HERZMEDIZIN: Was sind gemäß Ihrer Einschätzung derzeit die wichtigsten interdisziplinären Themen in der Herzmedizin?

 

Börgermann: Die Multiprofessionalität leben wir in der Herzmedizin schon seit langer Zeit. Denken Sie allein an die Zusammenarbeit der Kinderkardiologie und Kinderherzchirurgie oder an die Schnittstellen mit der Intensivmedizin oder mit der Kardiotechnik. Ich denke, dass wir uns vor dem Hintergrund der Krankenhausstrukturreform und des steigenden Kosten- und Personaldrucks noch weiter in Richtung fachübergreifende Zusammenarbeit entwickeln müssen. Die Ambulantisierung wirft in diesem Zusammenhang eine wichtige Frage auf: Welche Behandlungen können bei welchen Patientinnen und Patienten ohne erhöhtes Risiko auch ambulant durchgeführt werden? Wir müssen die Klinikgrenzen aufheben und individualisierte Therapien anbieten, um unsere Patientinnen und Patienten indikationsgerecht und komplikationsarm zu behandeln, denn nur das schont Ressourcen, Kosten und Personal.

 

HERZMEDIZIN: Für den Bereich EMAH sind mehrere Sitzungen geplant. Erhalten Erwachsene mit angeborenem Herzfehler mittlerweile ausreichend Aufmerksamkeit, oder bleibt die Versorgung dieser Patientinnen und Patienten weiterhin eine Herausforderung?


Börgermann: Die Struktur ist meines Erachtens inzwischen gut entwickelt. Es gibt 23 überregionale DGK-zertifizierte EMAH-Zentren, 7 EMAH-Schwerpunkt-Kliniken und 11 EMAH-Schwerpunktpraxen. Auch hier bleibt die Herausforderung, die sektorenübergreifende Behandlung dieser Patientinnen und Patienten zu organisieren. Das wird ein Thema sein, das wir auf dem Kongress ausführlich diskutieren werden.

Zur Person

Prof. Jochen Börgermann

Prof. Jochen Börgermann ist Spezialist für Kardiochirurgie und Chefarzt der Klinik für Herzchirurgie und Kinderherzchirurgie am Herzzentrum Duisburg des Evangelischen Klinikums Niederrhein.

 

Bildquelle: DGTHG

Wege in die Herzchirurgie

 

HERZMEDIZIN: Es stehen auch Sitzungen für junge oder angehende Herzchirurginnen und Herzchirurgen auf dem Programm. Wie begeistern Sie junge Medizinstudierende, sich für die Herzchirurgie zu entscheiden und was raten Sie ihnen?

 

Börgermann: Die Herzchirurgie ist für mich eine faszinierende Synthese aus sozialer, manueller, wissenschaftlicher und theoretischer Arbeit. Ich glaube, dass man die Studierenden früh einbinden sollte – bereits im Studium durch Famulaturen, das Praktisches Jahr und die Einbindung in den Klinikalltag. Sie können im OP assistieren, an Organeentnahmediensten teilnehmen oder ihre Doktorarbeit im Labor machen. Das sind meines Erachtens wichtige Punkte, um den Studierenden zu vermitteln, warum sich der Weg in die Herzchirurgie lohnt. Denn es ist ein anspruchsvolles Fach – zeitaufwendig, herausfordernd und komplex. Das muss man offen ansprechen. Umso wichtiger ist es, Freude an der Arbeit zu haben.

 

Jährlich bieten wir mit unserer Fachgesellschaft eine Kursserie an, vom Erlernen grundlegender Fähigkeiten für den ersten Dienst bis hin zum Arbeiten unter Druck im OP – gemeinsam mit der GSG 9, ein sehr spannendes Format.

 

HERZMEDIZIN: Abschließend die Frage: Welche Erfahrungen haben Sie bisher als Tagungspräsident gemacht und was nehmen Sie sich für den Kongress in dieser Rolle vor? 

 

Börgermann: Die Vorbereitung war schon arbeitsreich und intensiv, aber die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Kolleginnen und Kollegen hat es ermöglicht, ein großartiges Programm auf die Beine zu stellen. Jetzt ist alles vorbereitet, sozusagen „in der Tasche“. Ich freue mich darauf, meine Tagungspräsidentschaft zu genießen und vor allem viele Freunde aus der herzmedizinischen Fachwelt wiederzutreffen – und vielleicht auch gemeinsam ein Bier zu trinken.


HERZMEDIZIN: Wir wünschen einen schönen Kongress und bedanken uns für das Interview.


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