Quick Dive: Kommentar zu kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes

 

In unserer Reihe "Quick Dive" stellen die Autorinnen und Autoren von DGK-Publikationen prägnant die wichtigsten Hintergründe und Inhalte der jeweiligen Veröffentlichung vor. Dieses Mal wird eingetaucht in:

 

Kommentar zu den Leitlinien (2023) der ESC zum Management von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes

16.05.2024 | Verfasst von: Nikolaus Marx, Massimo Federici, Katharina Schütt, Dirk Müller-Wieland, Ramzi A Ajjan, Manuel J Antunes, Ruxandra M Christodorescu, Carolyn Crawford, Emanuele Di Angelantonio, Björn Eliasson, Christine Espinola-Klein, Laurent Fauchier, Martin Halle, William G Herrington, Alexandra Kautzky-Willer, Ekaterini Lambrinou, Maciej Lesiak, Maddalena Lettino, Darren K McGuire, Wilfried Mullens, Bianca Rocca, Naveed Sattar, ESC Scientific Document Group.


Von:

Melissa Wilke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

16.05.2024

 

Bildquelle (Bild oben): vovan / Shutterstock.com

5 Fragen an den Erstautor

Prof. Nikolaus Marx, Universitätsklinikum RWTH Aachen

 

Was sind Anlass und Ziel der Publikation?

 

Im August 2023 wurde die neue ESC-Leitlinie zum „Management von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes“ veröffentlicht.


Was sind die wichtigsten Take-Home Messages?

 

  1. Angesichts der hohen Prävalenz von unentdecktem Diabetes wird empfohlen, dass alle Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf das Vorhandensein eines Diabetes durch Messung der Nüchternblutglukose und des HbA1c-Spiegels untersucht werden.
  2. Alle Personen mit Diabetes sollten auf das Vorhandensein von Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht werden, indem ihre Krankengeschichte und das Vorhandensein von Symptomen, die auf eine atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung (ASCVD) hinweisen, beurteilt werden.
  3. Es wird empfohlen, bei jedem klinischen Kontakt bei allen Patientinnen und Patienten mit Diabetes systematisch nach Symptomen von Herzinsuffizienz und/oder Anzeichen von Herzinsuffizienz zu suchen.
  4. Patientinnen und Patienten mit Diabetes sollten regelmäßig auf das Vorhandensein einer chronischen Nierenerkrankung untersucht werden, indem die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) nach CKD-EPI und das Verhältnis von Urinalbumin zu Kreatinin (UACR) bewertet werden.
  5. Es wird empfohlen, das kardiovaskuläre Risiko bei Betroffenen mit Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) auf Grundlage des Vorhandenseins von ASCVD oder schweren Schädigungen der Zielorgane zu kategorisieren, oder – bei Personen ohne ASCVD oder schweren Schädigungen der Zielorgane – auf  Grundlage der Ergebnisse des speziellen T2DM CVD-Risikoscores, SCORE2-Diabetes.
  6. Die Verwendung von blutglukosesenkenden Medikamenten mit nachgewiesenem Nutzen sollte priorisiert werden, gefolgt von Substanzen mit nachgewiesener kardiovaskulärer Sicherheit gegenüber Substanzen ohne nachgewiesenen kardiovaskulären Nutzen oder nachgewiesener kardiovaskulärer Sicherheit.
  7. Es wird empfohlen von blutglukosesenkenden Medikamenten ohne nachgewiesenen Nutzen oder nachgewiesener Sicherheit auf Medikamente mit nachgewiesenem Nutzen umzustellen.
  8. Um das kardiovaskuläre Risiko bei Patientinnen und Patienten mit T2DM und ASCVD zu reduzieren, wird empfohlen, mit einem GLP-1RA-Rezeptoragonisten und einem SGLT2-Inhibitor mit nachgewiesenem Nutzen zu behandeln, zusätzlich zur Standardtherapie und unabhängig von der Glukosekontrolle oder dem Ziel-HbA1c.
  9. Bei Personen mit Herzinsuffizienz - unabhängig von der Auswurffraktion - wird empfohlen, dass Patientinnen und Patienten mit T2DM zusätzlich zur Standardversorgung mit einem SGLT2-Inhibitor behandelt werden, um herzinsuffizienzbezogene Endpunkte wie Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulären Tod zu reduzieren.
  10. Personen mit T2DM und einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) sollten mit einem SGLT2-Inhibitor und dem nichtsteroidalen Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten Finerenon behandelt werden, um sowohl das kardiovaskuläre Risiko als auch das Risiko für ein Nierenversagen zu reduzieren. Darüber hinaus sollten diese Patienten eine auf Statinen basierende Therapie, eine Behandlung mit ACE-Hemmern oder ARBs sowie eine angemessene Blutdruckkontrolle (≤130/80 mmHg) erhalten.

 

Eine zentrale Abbildung aus der DGK-Publikation:

Management von Herzkreislauferkrankungen / Nierenerkrankungen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus - ESC-Leitlinien 2023

Abb.: Management von Herz-Kreislauf-/Nierenerkrankungen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus: klinischer Ansatz und wichtigste Empfehlungen. Bildquelle: © ESC 2023. Marx et al (2023) Eur Heart J 44:4043–4140. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad192.

 

ASCVD = atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung; CKD = chronische Nierenerkrankung; CVD = kardiovaskuläre Erkrankung; GLP-1RA = GLP-1-Rezeptoragonisten; HF = Herzinsuffizienz;

 

HFmrEF = Herzinsuffizienz mit mäßiggradig eingeschränkter Ejektionsfraktion; HFpEF = Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion; HFrEF = Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion; s.c. = subkutan; SGLT2 = Natrium-abhängiger Glucose-Co-Transporter-2; T2DM = Typ-2-Diabetes mellitus.

 

a GLP-1RA mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Nutzen: Liraglutid, Semaglutid s.c., Dulaglutid, Efpeglenatid.

b SGLT2-Hemmer mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Nutzen: Empagliflozin, Canagliflozin, Dapagliflozin, Sotagliflozin.

c Empagliflozin, Dapagliflozin, Sotaglifozin bei HFrEF; Empagliflozin, Dapagliflozin bei HFpEF und HFmrEF.

d Canagliflozin, Empagliflozin, Dapagliflozin

Was sind Herausforderungen bei der Umsetzung und mögliche Lösungen?

 

Einer der entscheidenden Herausforderungen aus Sicht der Kardiologie ist die stringente Implementierung des Screenings auf Diabetes im klinischen Alltag. Hier sollten z. B. in der Routineblutabnahme die Messung der Nüchternplasmaglukose und des HbA1c-Wertes aufgenommen werden. Ferner ist für es Kardiologinnen und Kardiologen nötig, sich mit der Medikation z. B. von GLP-1 Rezeptoragonisten vertraut zu machen, da diese Substanzen bislang vor allem von Kolleginnen und Kollegen aus der Endokrinologie / Diabetologie oder im Hausärztlichen Bereich eingesetzt wurden. Zusätzlich ist es nötig, multidisziplinäre Strukturen zu etablieren, die das Wissen und die Fähigkeiten der verschiedener Behandelnden in der Versorgung dieser Hochrisikopatienten kombinieren.

 

Welche Punkte sind offengeblieben?

 

Die Leitlinie hat ein dezidiertes Kapitel zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patientinnen und Patienten mit Typ 1 Diabetes eingefügt, doch hier besteht die klare Notwendigkeit mehr Evidenz für diese Gruppe von Patienten zu generieren, da die Datenlage hier sehr rudimentär ist.

 

Ausblick: Welche Entwicklungen zum Thema zeichnen sich ab?

 

Die wachsende Zahl von Betroffenen mit kardiovaskulären Erkrankungen und Komorbiditäten wie Adipositas, Diabetes oder chronischer Niereninsuffizienz sowie die eingeschränkte Prognose dieser Personen unterstreichen die Notwendigkeit, interdisziplinär zu arbeiten und Strukturen zu etablieren, die eine umfassende Versorgung möglich machen, um die Prognose und Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Weiter zur vorgestellten Publikation:

Kommentar zu den Leitlinien (2023) der ESC zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes – Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)

Literaturnachweis: Marx N., Müller-Wieland D. Espinola-Klein C., et al.
Kommentar zu den Leitlinien (2023) der ESC zum Management kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit Diabetes
Kardiologie (2024). https://doi.org/10.1007/s12181-024-00689-6

 

Zur Person

Prof. Nikolaus Marx

Prof. Nikolaus Marx ist als Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Aachen tätig. Seine fachlichen Zusatzqualifikationen erwarb er in den Bereichen Interventionelle Kardiologie, Herzinsuffizienz sowie Kardiovaskuläre Intensiv- und Notfallmedizin. 

Bildquelle: Jörg Eicker

Kurzinfo: Die Formate der DGK-Publikationen

Leitlinien sind für Ärztinnen und Ärzte eine wichtige Stütze im klinischen Alltag, um ihre Patientinnen und Patienten nach neuestem Stand der Wissenschaft bestmöglich zu behandeln. Dabei dienen die Leitlinien als verlässliche Handlungsempfehlungen in spezifischen Situationen.

Pocket-Leitlinien sind Leitlinien in kompakter, praxisorientierter Form. Bei Übersetzungen von Pocket-Leitlinien der ESC werden alle Empfehlungsklassen und Evidenzgrade der Langfassung übernommen.

Master Pocket-Leitlinien stellen eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Leitlinienempfehlungen in Form von grafischen Diagnose- und Therapiealgorithmen dar. Als Quelle der Empfehlungen dienen dabei vorwiegend die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erstellten Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) sowie deren deutsche Übersetzung durch die DGK.

CardioCards behandeln im Wesentlichen Themen der Diagnostik und Akuttherapie für den ambulanten Bereich. Hier werden die essenziellen Informationen von Leitlinien komprimiert und übersichtlich zusammengefasst.

Kommentare beinhalten Hinweise, wie sich die neuen von den alten Leitlinien unterscheiden, Hinweise auf wesentliche Neuerungen, die seit dem Erscheinen der ESC-Leitlinien bekannt geworden sind, Diskussion kontroverser Empfehlungen in den ESC-Leitlinien sowie Möglichkeiten und Grenzen der Leitlinienumsetzung im Bereich des deutschen Gesundheitswesens.

Ein Positionspapier behandelt eine Fragestellung von großem allgemeinen Interesse, für die keine aktuelle Leitlinie vorliegt.

Bei einem Konsensuspapier handelt es sich um ein von mehreren Fachgesellschaften getragenes Statement.

Diese Veröffentlichungen enthalten Empfehlungen einer DGK-Arbeitsgruppe zu einer speziellen Frage von großem Interesse.

Stellungnahmen der DGK beziehen sich auf gesundheitspolitische Fragestellungen und erfolgen durch den Vorstand, gemeinsam mit Kommissionen und Projektgruppen. Sofern möglich und sinnvoll, werden auch Fachgesellschaft-übergreifende Stellungnahmen ausgearbeitet.

Ein Manual ist eine praktisch orientierte Expertenempfehlung für wesentliche kardiovaskuläre Prozeduren.

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