Antikoagulation bei Device-detektiertem Vorhofflimmern und hoher Komorbiditätslast?

 

ARTESiA-Subanalyse: Die beiden Studien ARTESiA und NOAH AFNET 6 hatten für die Antikoagulation bei subklinischem Vorhofflimmern nur eine schwache Senkung der Schlaganfallsrate, aber dafür eine erhöhte Blutungsrate ergeben. In der Subgruppenanalyse der ARTESiA-Studie wurde untersucht, ob Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten (CHA2DS2VASc 5–9) von der Antikoagulation profitieren könnten.

Von:

Dr. Tobias Tönnis & Prof. Paulus Kirchhof

Universitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg und

DZHK Standort Nord

 

02.07.2024


Bildquelle (Bild oben): Explode / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Antikoagulanzien verhindern die Mehrzahl der Schlaganfälle bei Vorhofflimmern. Aufgrund des hohen Schlaganfallrisikos werden Antikoagulanzien, heutzutage zumeist direkte Inhibitoren von Faktor II oder Faktor X (direkte orale Antikoagulanzien, DOACs), aber auch Vitamin-K-Antagonisten, bei Vorhofflimmern und erhöhtem Schlaganfallsrisiko empfohlen. Wenn kein Vorhofflimmern vorliegt, verursachen Antikoagulanzien vor allem Blutungsereignisse ohne wesentlichen Effekt auf Schlaganfälle.

 

Device-detektiertes Vorhofflimmern (DDAF) findet sich bei 20–30 % der Patientinnen und Patienten mit implantierten Schrittmachern, Defibrillatoren, oder Ereignisrekordern.1 Die EAST-AFNET-4-Studie hat gezeigt, dass eine systematische, früh initiierte rhythmuserhaltende Behandlung Schlaganfälle verhindern kann2, mutmaßlich über eine Reduktion der Vorhofflimmerlast.3 Dies wirft die Frage auf, ob eine Antikoagulation bei Patientinnen und Patienten mit Device-detektiertem Vorhofflimmern wirksam und sicher ist.

 

2 große randomisierte placebo-kontrollierte Studien haben die Wirksamkeit und Sicherheit von DOACs bei Patientinnen und Patienten mit DDAF geprüft: NOAH-AFNET 64 und ARTESIA5. NOAH-AFNET 6 wurde vorzeitig wegen Sicherheitsbedenken und einem Trend zur fehlenden Wirksamkeit beendet.4 Beide Studien fanden eine unerwartet niedrige Schlaganfallsrate ohne Antikoagulation und nur eine schwache weitere Senkung der Schlaganfallrate durch Antikoagulation.6 Diese schwache Wirksamkeit steht deutlich erhöhten Blutungsereignissen gegenüber. Basierend auf diesen Ergebnissen stellt sich die Frage, ob eine Antikoagulation bei Patientinnen und Patienten mit DDAF und einem hohen Schlaganfallrisiko sinnvoll ist, und ob es Subgruppen gibt, bei denen eine Antikoagulation sinnvoll ist.

Studiendesign

 

Die ARTESiA-Studiengruppe hat nun eine Subanalyse publiziert, die die Wirksamkeit von Apixaban in Abhängigkeit vom klinischen Schlaganfallrisiko untersucht hat.7 In einer präspezifizierten Analyse wurde die Wirksamkeit von Apixaban in den Subgruppen mit einem hohen CHA2DS2VASc-Score (5–9, n = 1.085), einem mittleren CHA2DS2VASc-Score (4, n = 1.349) und einem niedrigen CHA2DS2VASc-Score (2-3, n = 1.578) untersucht. Die Kontrollgruppe erhielt Aspirin 81 mg/Tag. Die analysierten Ereignisse waren die gleichen wie in der Hauptstudie, nämlich Schlaganfall oder systemische Embolie (Effektivität) und schwere Blutung nach ISTH (Sicherheit).

Interpretation

 

Die Daten legen nahe, dass eine Antikoagulation im Vergleich zu einer Behandlung mit Aspirin bei Patientinnen und Patienten mit Device-detektiertem Vorhofflimmern und multiplen Schlaganfallrisikofaktoren erwogen werden kann. Allerdings ist in diesem Kontext zu beachten, dass die analoge Subanalyse der NOAH-AFNET-6-Studie eine deutlich erhöhte Gefahr für schwere Blutungen oder Todesfälle bei DDAF und multiplen Schlaganfallrisikofaktoren (CHA2DS2VASc 5–9) aufgedeckt hat.8 Beide Analysen sind gut gemacht und müssen, wie alle Subanalysen, als hypothesengenerierend aufgrund der relativ kleinen Zahl an Patientinnen/Patienten und Ereignissen angesehen werden.

 

Ob die Therapie in der Vergleichsgruppe (Aspirin für alle in ARTESiA, Aspirin nur bei Aspirin-Indikation in NOAH-AFNET 6) zu der Heterogenität der Ergebnisse beigetragen hat, bedarf weiterer Analysen. Die Ergebnisse beider Subanalysen identifizieren eine Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Device-detektiertem Vorhofflimmern, die wahrscheinlich keine Antikoagulation benötigt (CHA2DS2VASc 2–4). Bei Patientinnen und Patienten mit Device-detektiertem Vorhofflimmern und multiplen Schlaganfallrisikofaktoren können die Ergebnisse der beiden Subanalysen die Beratung der Betroffenen mit Daten unterfüttern, bei allerdings auch erhöhtem Blutungsrisiko. Bessere Methoden zur Schlaganfallrisikoabschätzung bei Patientinnen und Patienten mit DDAF wären sehr hilfreich. Weitere Analysen der Datensätze von NOAH-AFNET 6 und ARTESiA können hier vielleicht weiterhelfen.

Referenzen

 

  1. Toennis T, Bertaglia E, Brandes A, Dichtl W, Fluschnik N, de Groot JR, et al. The influence of atrial high-rate episodes on stroke and cardiovascular death: an update. Europace 2023;25(7).
  2. Kirchhof P, Camm AJ, Goette A, Brandes A, Eckardt L, Elvan A, et al. Early Rhythm-Control Therapy in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2020;383(14):1305-1316.
  3. Becher N, Metzner A, Toennis T, Kirchhof P, Schnabel R. Atrial fibrillation burden: a new outcome predictor and therapeutic target. European Heart Journal 2024;in press, DOI 10.1093/eurheartj/ehae373.
  4. Kirchhof P, Toennis T, Goette A, Camm AJ, Diener HC, Becher N, et al. Anticoagulation with Edoxaban in Patients with Atrial High-Rate Episodes. N Engl J Med 2023;389(13):1167-1179.
  5. Healey JS, Lopes RD, Granger CB, Alings M, Rivard L, McIntyre WF, et al. Apixaban for Stroke Prevention in Subclinical Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2024;390(2):107-117.
  6. McIntyre WF, Benz AP, Becher N, Healey JS, Granger CB, Rivard L, et al. Direct Oral Anticoagulants for Stroke Prevention in Patients With Device-Detected Atrial Fibrillation: A Study-Level Meta-Analysis of the NOAH-AFNET 6 and ARTESiA Trials. Circulation 2024;149(13):981-988.
  7. Lopes R, Granger C, Wojdyla D, McIntyre WF, Alings M, Mani T, et al. Apixaban versus aspirin according CHDA2DS2VASc in subclinical atrial fibrillation: Insights from ARTESIA. J Am Coll Cardiol 2024;published online.
  8. Lip GYH, Nikorowitsch J, Sehner S, Becher N, Bertaglia E, Blomstrom-Lundqvist C, et al. Oral anticoagulation in device-detected atrial fibrillation: effects of age, sex, cardiovascular comorbidities, and kidney function on outcomes in the NOAH-AFNET 6 trial. Eur Heart J 2024;45(19):1733-1737.

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