AHA-Kongress 2023 | Die Heart-1-Studie setzt erstmals den Verve-101-Wirkstoff zur PCSK9-Gentherapie durch CRISPR base-editing zur Senkung von Cholesterin bei Menschen ein.
AHA-Kongress 2023 | Die Heart-1-Studie setzt erstmals den Verve-101-Wirkstoff zur PCSK9-Gentherapie durch CRISPR base-editing zur Senkung von Cholesterin bei Menschen ein.
Von:
Prof. Ulrich Laufs
Herausgeber der Rubrik Prävention
15.11.2023
Bildquelle (Bild oben): AevanStock / Shutterstock.com
Die Hemmung von PCSK9 auf Protein-Ebene und die Hemmung der PCSK9-mRNA sind wirkungsvolle, sichere und klinisch breit erprobte Strategien zur Senkung des LDL-Cholesterins. Auf dem AHA-Kongress 2023 wurde im Rahmen der Heart-1-Studie für den Wirkstoff Verve-101 erstmals berichtet, dass eine Gentherapie für PCSK9 bei Menschen zur Senkung von PCSK9-Serumkonzentrationen und zur anhaltenden Senkung des LDL-Cholesterins geführt hat.1 Konzeptionell bedeutet dies eine einmalige Modifikation des Erbgutes mit dem Potenzial hierdurch eine Hypercholesterinämie dauerhaft zu heilen. Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwicklung ist die Untersuchung der Sicherheit der Gentherapie.
Der medizinische Direktor der Firma Verve Therapeutics, Andrew M. Bellinger, stellte auf dem AHA Kongress in Philadelphia am 12.11.2023 die Heart-1 Studie mit dem Wirkstoff Verve-101 vor. Verve-101 war bereits erfolgreich in Macaca-Affen getestet worden. Verve-101 verändert die DNA. Es handelt sich um eine Gen-Editing-Technologie, welche CRISPR-Cas9-System nutzt. Mit Hilfe der CRISPR/Cas-Methode (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats / CRISPR-assoziiertes Protein) können einzelne Basen der DNA spezifisch modifiziert werden. Verve-101 besteht aus einer kurzen synthetischen Führungs-RNA (guide RNA, gRNA), welche an eine spezifische Stelle der PCSK9 DNA bindet. Die gRNA wird in Lipid-Nanopartikel verpackt in einer einmaligen Infusion appliziert. Die Lipid-Nanopartikel werden präferentiell von Hepatozyten aufgenommen. Durch die Bindung entsteht ein DNA–gRNA Komplex. Dieser rekrutiert die Nuclease Cas9. Dieses Enzym induziert eine chemische Modifikation im PCSK9-Gen durch Entfernung einer Aminogruppe aus einem einzelnen spezifischen Adenin Nukleotid der DNA. Hierdurch wird Adenosin zu Inosin modifiziert. Durch diesen gezielt induzierten punktuellen „Fehler“ kommt es nach einer DNA-Reparatur oder Replikation zur Installation von Guanin. Hierdurch wird aus einer A-T-Paarung eine G-C-Paarung, d. h. eine einzelne Base der DNA wird modifiziert.
Es entstehen dabei kein Doppelstrangbruch oder andere Veränderungen der DNA. Dies ist von potentieller Bedeutung, da theoretisch vorstellbar ist, dass Veränderungen dieser Art durch eine weitere CRISPR-Cas-Intervention reversibel sein könnten. Die durch Verve-101 veränderte Base sitzt vor einer Spleißstelle. Die Punkt-Modifikation verhindert das physiologische Spleißen und führt zum Verbleiben eines Introns in der PCSK9-mRNA, welches normalerweise herausgeschnitten wird. Durch die fehlende Entfernung des Introns wird die PCSK9-mRNA dysfunktional und kann nicht mehr für ein PCSK9-Eiweiß kodieren, d. h. die PCSK9-Konzentrationen sinken. Die gRNA wird in Lipid-Nanopartikel verpackt in einer einmaligen Infusion appliziert. Die Lipid-Nanopartikel werden präferentiell von Hepatozyten aufgenommen. Für weitere Erklärungen und Abbildungen siehe z. B. Gene Therapy Targeting PCSK9 – PMC (nih.gov) (Katzmann et al., Metabolites. 2022; 12(1): 70. doi: 10.3390/metabo12010070).
Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (heFH) sind häufig (Prävalenzrate ~1:250) und durch eine vorzeitige und komplikative Atherosklerose gekennzeichnet. Auf dem AHA-Kongress wurden die 6-Monats-Ergebnisse von 10 Patienten dieser Phase-1-Studie („first in man“) mit schwerer heFH mit fortgeschrittenen atherosklerotischen Manifestationen berichtet. Es wurden vier Dosierungen zwischen 0,1 mg/kg bis 0,6 mg/kg getestet. Das Ausgangs LDL-C in war im Mittel 193 mg/dL. Die beiden niedrigen Verve-101-Dosierungen waren bezüglich PCSK9 und LDL-C nicht sehr effektiv. Die einmalige Infusion von 0,45 und 0,6 mg/kg führten zu Reduktionen von PCSK9 im Serum um 47 % bis 84 %. Da etwa 85 % des PCSK9 in der Leber produziert wird, konnte mit der 0,6-mg/kg-Dosis eine weitgehende Hemmung der hepatischen Produktion erreicht werden. Die 0,45-mg/kg-Dosierung führte zu einer Senkung der LDL-C-Serumkonzentration von 39 % bis 48 %. Der Patient mit der 0,6-mg/kg-Dosis zeigte eine 55%ige LDL-C-Reduktion. Die LDL-C-Senkung blieb nach der einmaligen Applikation über die Beobachtungsdauer von 180 Tagen stabil.
Aktuell liegt die größte Herausforderung in der Sicherstellung der Sicherheit der PCSK-Gentherapie. Bellinger berichtete unter anderem, dass Sequenzierungstudien in kultivierten Hepatozyten und in Tieren keinen Hinweis auf sog. Off-target-Effekte gezeigt hätten. Bei vier Patienten der Studie kam es zu einer Infusions-assoziierten Reaktion. Drei Patienten hatten eine Infektion der oberen Atemwege/COVID-19. Der Patient mit der 0,6-mg/kg-Dosis zeigte einen transienten Anstieg der Transaminasen. Ein Patient erlitt einen tödlichen Herzstillstand etwa 5 Wochen nach der Infusion der niedrigen 0,3-mg/kg-Dosis. Ein zweiter Patient (0,45-mg/kg-Dosis) erlitt einen Myokardinfarkt und eine nicht anhaltende ventrikuläre Tachykardie am Tag nach der Infusion. Bei diesem Patienten bestand retrospektiv offenbar eine instabile Angina pectoris bereits vor der Infusion. Der Herzstillstand und die nicht anhaltende ventrikuläre Tachykardie wurden als nicht mit der Behandlung zusammenhängend angesehen, während der Herzinfarkt „möglicherweise aufgrund der Nähe zur Dosierung mit der Behandlung zusammenhängen könnte“, berichtete Bellinger. Das Phase-1-Studienprogramm läuft in Absprache mit den regulatorischen Behörden weiter. Das Ziel ist die Durchführung einer randomisierten Phase-2-Studie.
Die Daten sind eine Sensation. Bisher behandeln wir kardiovaskuläre Risikofaktoren. Die Vision der Gentherapie ist nichts weniger als die Heilung der Hypercholesterinämie. Eine einmalige Infusion wäre danach theoretisch ausreichend, um das kardiovaskuläre Risiko lebenslang dramatisch zu senken. Das Wirkprinzip der punktuellen Basen-Modifikation ist sehr elegant. Rein theoretisch ist sogar eine Umkehr durch eine zweite Genmodifikation vorstellbar. Langfristig und prinzipiell wäre die Herstellung des Wirkstoffes aus Sicht der Materialkosten nicht teuer.
Allerdings ist der Weg zu einer Zulassung steil. Die alles entscheidende Frage ist die der Sicherheit. Hier müssen die Anforderungen vor dem Hintergrund der Prävalenzrate und der bereits zur Verfügung stehenden Therapien und des langen Krankheitsverlaufes der Hypercholesterinämie sehr viel strenger sein als z. B. bei anderen sehr seltenen oder rapide verlaufenden Erkrankungen. Es handelt sich um ein grundlegend neues Wirkprinzip, für das noch keine erprobte Strategie zum sicheren Ausschluss von unerwünschten Effekten und keine regulatorische Erfahrung bestehen. Ein möglicher Nachteil ist der Transport in Lipid-Nanopartikeln, theoretisch könnte ein Verfahren zu einer noch spezifischeren Aufnahme in die Leberzellen, z. B. analog dem GalNac-Prinzip der siRNA-Wirkstoffe, Vorteile bieten. Durch Änderung des molekularen Transportweges und / oder eine Begleittherapie könnten theoretisch die berichteten Begleit-Effekte der Transfusion (Inflammation, Leberwerterhöhung) adressiert werden.
Die Studiendaten sind ein Meilenstein, da das Prinzip der Genmodifikation über die Indikation Hypercholesterinämie hinaus von potentiell grundlegender Bedeutung ist. Es sind viele weitere Schritte geplant und unbedingt erforderlich, um die Sicherheit der Therapie zu beweisen. Im Hinblick auf das beeindruckende Tempo der biomedizinischen Entwicklungen werden wir in den nächsten Jahren viel zu diesem Thema zu diskutieren haben.
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