Wie hat sich Blutdruckklassifikation durch die aktuellen ESC-Leitlinie zu erhöhtem Blutdruck und Hypertonie geändert und welche Rolle spielt körperliche Aktivität in der Behandlung? Ein Überblick zu den geltenden Kriterien und Empfehlungen.
Wie hat sich Blutdruckklassifikation durch die aktuellen ESC-Leitlinie zu erhöhtem Blutdruck und Hypertonie geändert und welche Rolle spielt körperliche Aktivität in der Behandlung? Ein Überblick zu den geltenden Kriterien und Empfehlungen.
Von:
Tobias Perings
HERZMEDIZIN-Redaktion
Expertenkommentar:
Dr. Michael Berr
CardioCentrum Düsseldorf
17.10.2025
Bildquelle (Bild oben): 5 second Studio / Shutterstock.com
Bluthochdruck bleibt einer der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren weltweit und führt durch seine ubiquitäre Ausprägung zudem zu einer erheblichen Belastung der nationalen und internationalen Gesundheitssysteme. Groß angelegte Pooling-Studien des Global Cardiovascular Risk Consortiums verdeutlichen die Rolle von unkontrolliertem Bluthochdruck bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.1,2 Unter den fünf maßgeblichsten modifizierbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt der Bluthochdruck als einer der bedeutendsten. Die überarbeitete ESC-Leitlinie (2024) für „erhöhten Blutdruck und Hypertonie“ legt den Fokus neben einer vereinfachten, strengeren Blutdruckklassifikation auch auf Lebensstilinterventionen wie körperliche Aktivität.3
Die bisherige Einstufung der Blutdruckwerte in „optimal“, „normal“ oder „hoch-normal“ wurde vereinfacht, sodass nun zwischen „nicht erhöhtem“ und „erhöhtem“ Blutdruck unterschieden wird. Die eigentliche Erkrankung „Arterielle Hypertonie“ stellt dabei eine eigene Kategorie dar. Blutdruckwerte von <120/70 mmHg bzw. bei Langzeitblutdruckmessungen <115/65 mmHg sind als nicht erhöht einzuordnen. Im Bereich von 120/70 mmHg bis 139/89 mmHg im Rahmen einer ärztlichen Messung bzw. bis 135/85 mmHg bei häuslicher oder Langzeitmessung, spricht man nun von erhöhtem Blutdruck. Liegt die Messung in der Praxis oder Klinik ≥140/90 mmHg oder bei der Heimmessung ≥135/85 mmHg, spricht man von arterieller Hypertonie. Die neue Leitlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass solche Messungen durch Langzeitblutdruckmessungen bestätigt werden müssen.
Ausschlaggebend für diese neue Einteilung ist die Erkenntnis, dass eine ärztliche Intervention auch in bisher als nicht behandlungswürdig eingestuften Kategorien („hoch-normal“) von gesundheitlichem Vorteil sein kann.3,4 Die neue Einteilung zielt darauf ab, dass Patientinnen und Patienten, deren Werte knapp unter der bisherigen Schwelle liegen, dennoch von einer Therapie profitieren können.
Bei manifester Hypertonie (systolisch ≥140 mmHg oder diastolisch ≥90 mmHg) wird neben Lebensstiländerungen eine sofortige medikamentöse Therapie empfohlen, um in der Regel einen Zielblutdruckwert von 120–129/70–79 mmHg anzustreben. Personen mit erhöhtem Blutdruck sollten Lebensstilanpassungen vornehmen, um einen Zielblutdruckwert von 120–129/70–79 mmHg zu erreichen bzw. zu halten. Laut der ESC-Leitlinie sollen Personen mit erhöhtem Blutdruck sowie hohem kardiovaskulärem Risiko nach 3 Monaten Lebensstilmodifikation ebenfalls medikamentös behandelt werden, wenn der Blutdruck weiterhin bei ≥130/80 mmHg liegt. Dazu zählen Personen mit manifester KHK, moderater bis schwerer chronischer Nierenerkrankung, Endorganschäden, Typ-2-Diabetes, familiärer Hypercholesterinämie oder einem 10-Jahres-Risiko ≥10 % gemäß SCORE2 (40–69-Jährige) bzw. SCORE2-OP (≥70-Jährige). Zusätzlich können Risikomodifikatoren eine Therapieindikation begründen, etwa erhöhte Troponin- oder NT-proBNP-Werte, ein erhöhter Koronarkalzium-Score, Präeklampsie oder Schwangerschaftshypertonie.
Ebenso wie die Neuerung in der Einstufung der Behandlungsnotwendigkeit befasst sich die neue Leitlinie auch detailliert mit der Diagnostik des Bluthochdrucks. Insbesondere wird dabei auf die korrekte Blutdruck-Messung eingegangen. Bestärkt wird die nicht-ärztliche Messung außerhalb von Klinik und Praxis. Mehrfachmessungen – 3-fach in der Praxis, 2-fach zu Hause – sowie eine 5-minütige Ruhephase vor der Messung werden empfohlen. Laut Leitlinie soll mit angelehntem Rücken, aufgelegtem Arm auf Herzhöhe, ohne Gespräch und ohne enganliegende Kleidung gemessen werden. Auch die korrekt ausgewählte Manschettengröße zählt laut Leitlinie zu den essenziellen Voraussetzungen für eine verlässliche Blutdruckmessung.
Sofern von einer sofortigen medikamentösen Behandlung abgesehen werden kann, sind Lebensstiländerungen vorzuziehen. Die Empfehlung des Ausdauertrainings wurde bereits in den Leitlinien von 2018 genannt, erhält nun aber eine größere Bedeutung. Neben den allgemeinen Lebensstilmaßnahmen, die vor allem die Ernährung betreffen, wie Salz-/Natriumreduktion (ggf. durch Ersatzprodukte mit Kaliumsalzen), erhöhte Kaliumzufuhr (wenn keine Nierenerkrankung vorliegt), mäßiger oder besser kein Alkoholkonsum, gesundes Körpergewicht und Nikotinverzicht gilt insbesondere die körperliche Aktivität als wichtiges Mittel in der nicht-medikamentösen Therapie von Hypertoniepatientinnen und -patienten.
Körperliche Aktivität wird im Rahmen der ESC-Leitlinien als ein wichtiger Ansatz neben der medikamentösen Behandlung angesehen. Die Empfehlungen sehen vor, dass ≥150 Minuten pro Woche moderat-intensives Ausdauertraining stattfinden sollen. Alternativ können auch 75 Minuten mit hoher Intensität absolviert werden. Vorzugsweise soll die Trainingszeit auf mehrere Tage aufgeteilt werden. Zusätzlich wird alltägliche körperliche Betätigung empfohlen. Damit ist aktive Bewegung wie etwa Treppensteigen oder zusätzliche Schritte im Alltag gemeint.
Die ESC-Leitlinien 2024 haben außerdem als Ergänzung das Kräftigungstraining neu mitaufgenommen. Empfohlen werden 2–3 Einheiten pro Woche, dynamisch oder isometrisch. Dynamisches Kräftigungstraining wie Kniebeugen, Liegestütz oder Sit-ups beinhaltet 2–3 Sätze mit je 10–15 Wiederholungen bei 40–60 % des Einwiederholungsmaximums, isometrisches Kräftigungstraining 3 Sätze von 1–2-minütigen Kontraktionen, wie etwa Handgriffübungen, Plank oder Wandsitz.
In einem Konsensuspapier der ESC 2022 wurden unterschiedliche Trainingsschwerpunkte für verschiedene Patientengruppen hervorgehoben:5 Bei Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter Hypertonie erwies sich insbesondere aerobes Ausdauertraining als vorteilhaft, mit einer Blutdruckreduktion von ≤12 mmHg systolisch und ≤5,8 mmHg diastolisch, bei erhöhtem Blutdruck dynamisches Kräftigungstraining mit einer Blutdruckreduktion von ≤4,7 mmHg systolisch und ≤3,8 mmHg diastolisch und bei nicht erhöhtem Blutdruck neben aerobem Ausdauertraining isometrisches Kräftigungstraining mit einer Blutdruckreduktion von ≤8,3 mmHg systolisch und ≤3,1 mmHg diastolisch, wobei es in letzterem Fall weiterer Evidenz bedarf.
Eine große Herausforderung in der Therapie durch Bewegung stellt oft die Umsetzung im Alltag dar. Viele Patientinnen und Patienten scheuen sich vor körperlicher Aktivität, und die Einbindung in den Beruf und das private Leben ist nicht immer leicht. Die Initiative „Rezept für Bewegung“, eingeführt durch den Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) und den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), soll hier helfen. Sie zielt darauf ab, Patientinnen und Patienten die Bedeutung von Bewegung schwarz auf weiß zu verdeutlichen, ähnlich wie bei dem klassischen ärztlichen Rezept. Das Rezept stellt zwar eine freiwillige Leistung dar, die nicht direkt von den Krankenkassen honoriert wird, bietet aber die Möglichkeit, Bewegung offiziell zu verschreiben. Es kann bei örtlichen Sportvereinen eingelöst werden, wobei die Patientinnen und Patienten die Kosten in der Regel selbst tragen. Oft besteht jedoch die Möglichkeit, dass gesetzliche Krankenkassen Sport- und Bewegungsangebote übernehmen, insbesondere wenn sie mit dem Qualitätssiegel „SPORT PRO GESUNDHEIT“ zertifiziert sind.
Die ESC-Leitlinie 2024 zur Behandlung von Bluthochdruck betont die zentrale Rolle von Lebensstilmaßnahmen, insbesondere körperlicher Aktivität, bei der Prävention und Therapie. Die Blutdruckklassifikation wurde vereinfacht; d.h. es wird nun zwischen „nicht erhöhtem“, „erhöhtem“ Blutdruck und „arterieller Hypertonie“ unterschieden. Bereits bei erhöhtem Blutdruck sollten Lebensstilveränderungen erfolgen; bei manifestem Bluthochdruck wird zusätzlich eine medikamentöse Therapie empfohlen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Umsetzbarkeit im Alltag. Der Ansatz, Bewegung nicht nur als Prävention, sondern als wirkungsvolle Therapieform zu verstehen, wird durch Initiativen wie das „Rezept für Bewegung“ zusätzlich unterstützt.
Die Leitlinie zeigt: Bewegung ist ein wirksames, nebenwirkungsfreies „Medikament“ gegen Bluthochdruck – und sollte in jeder Therapie berücksichtigt werden.
Takeaways:
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