HERZMEDIZIN: Berücksichtigt IMPRESS gezielt Risikogruppen wie Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen?
Steckhan: Ja, neben der Allgemeinbevölkerung befragen wir auch Personen mit impfrelevanten Grunderkrankungen. Darunter fallen auch Personen mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Influenza-Impfung u. a. für Personen über 60 Jahren und Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen. In der Saison 2023/24 lag die Impfquote bei Personen mit Grunderkrankungen bei 31 %, somit blieben 7 von 10 Menschen ungeimpft. Daher möchten wir insbesondere bei dieser Personengruppe, die Beweggründe besser verstehen, die für oder gegen eine Impfung sprechen.
HERZMEDIZIN: Gibt es aus bisherigen Erhebungen Hinweise darauf, dass kardiologische Patientinnen und Patienten über- oder unterdurchschnittlich häufig von Impfskepsis oder -barrieren betroffen sind?
Steckhan: Die Studienlage zu Barrieren und Treibern von Impfverhalten, die kardiologische Patientinnen und Patienten mit der Allgemeinbevölkerung vergleicht ist leider begrenzt. Studienergebnisse sprechen dafür, dass eine Empfehlung durch das Gesundheitspersonal die Entscheidung für eine Influenza-Impfung in dieser Personengruppe begünstigen kann.1 Unterschätzen kardiologische Patientinnen und Patienten den schweren Verlauf der Erkrankung, kann das jedoch hinderlich sein.2
HERZMEDIZIN: Auf welche Weise könnten die Erkenntnisse aus IMPRESS dazu beitragen, die Impfbereitschaft zu erhöhen? Können Sie Beispiele oder Szenarien skizzieren?
Steckhan: Die Impfquoten für Influenza, die innerhalb des Forschungsprojekts erhoben werden, stehen zeitnah zur Verfügung. Das ermöglicht Aufrufe an bestimmte Zielgruppen in der laufenden Saison. So können Impflücken von Influenza bei Personen mit erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe zeitnah adressiert werden.
Neben den jährlichen Erhebungen im Rahmen des Impfakzeptanz-Monitorings können in IMPRESS auch anlassbezogene Befragungen durchgeführt werden. Sie werden schnell umgesetzt und finden in der Regel nur einmal statt. Das bietet die Möglichkeit aktuelle Fragestellungen zu beantworten oder flexibel auf Ereignisse wie Einbrüche in Impfquoten zu reagieren. Eine solche Befragung hat Anfang des Jahres stattgefunden, da es Nachweise von Polioviren im Abwasser gab. Die Grundimmunisierung der infektiösen Kinderlähmung ist jedoch lückenhaft. Deswegen gab es in dieser Zeit Aufrufe von Public-Health-Akteuren, die Impfungen schnellstmöglich nachzuholen.
In der anlassbezogenen Befragung wurden Eltern zur Wahrnehmung der aktuellen Polio-Situation befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass 9 von 10 Eltern eine Polio-Erkrankung für schwerwiegend halten. Die Wahrscheinlichkeit an Polio zu erkranken wird jedoch von mehr als der Hälfte der Eltern als gering angesehen. Gleichzeitig ist die Impfbereitschaft hoch. Das hat uns gezeigt, dass Eltern grundsätzlich empfänglich für die Polio-Impfung sind. Sollte es die Situation erfordern, könnte es helfen, die Risikowahrnehmung von Eltern zu stärken.