RKI-Projekt IMPRESS: Feldphase des Impfakzeptanz-Monitorings beginnt

 

Unzureichende Impfquoten bergen besonders auch für Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhebliche Risiken. Im Rahmen des Projekts IMPRESS startet das Robert Koch-Institut (RKI) die Erhebung saisonaler Daten zur Impfakzeptanz, um Beweggründe für und gegen Impfungen besser zu verstehen. Im Interview erläutert Projektleiterin Dr. Greta Steckhan, wie das Monitoring helfen kann, Impflücken gezielt zu schließen und vulnerable Gruppen besser zu schützen.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

23.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Ratana21 / Shutterstock.com

HERZMEDIZIN: Wie wird das Impfgeschehen in Deutschland bislang erfasst?

Steckhan: In Deutschland geben Impfquoten darüber Auskunft, wie hoch der Anteil der Geimpften in einer bestimmten Personengruppe ist. Die Impfquote von 38 % bei älteren Erwachsenen bezogen auf Grippe (Influenza) sagt beispielsweise aus, dass nur etwas mehr als ein Drittel der Personen ab 60 Jahren gegen Influenza geimpft ist. Impfquoten im Kindesalter können auf Basis von Versorgungsdaten der Schuleingangsuntersuchungen der Bundesländer berechnet werden. Darüber hinaus werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) pseudonymisierte Abrechnungsdaten von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten an das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt. Im Rahmen der sogenannten „KV-Impfsurveillance“ können dann Impfquoten in allen Altersgruppen für gesetzlich Versicherte nach Alter, Geschlecht, Region und Grunderkrankung berechnet werden.

Gründe des (Nicht-)Impfens besser verstehen

 

HERZMEDIZIN: Was sind die Ziele des RKI-Projekts IMPRESS (IMpfverhalten verstehen, PReparedneESS steigern) und welchen zusätzlichen Mehrwert soll es im Vergleich zum bisherigen Impf-Monitoring bieten?

Steckhan: Die Daten der KV-Impfsurveillance stehen erst mit 6–9 Monaten Verzögerung zur Verfügung. Das betrifft auch saisonale Impfungen, wie die Influenza- und COVID-19-Impfung. Demnach wissen wir nicht, wie viele Personen die Influenza-Impfung innerhalb einer Saison schon in Anspruch genommen haben. Damit sind auch keine gezielten Aufrufe zur Impfung für diese Zielgruppen möglich. Hinzu kommt, dass Versorgungsdaten zwar eine hohe zeitliche und geographische Auflösung haben, jedoch fehlen soziale Merkmale sowie verhaltensbezogene Faktoren der Impfentscheidung. Für ein möglichst differenziertes Abbild der Impfsituation in Deutschland sind Daten aus beiden Quellen erforderlich. 

Im Rahmen von IMPRESS wird daher ein saisonales Monitoring zur Impfakzeptanz in Deutschland etabliert, dass sowohl die Inanspruchnahme von Impfungen als auch soziale und verhaltensbezogene Faktoren berücksichtigt. Dabei steht die Impfung gegen Influenza im Vordergrund. Ein Monitoring ist insbesondere für saisonale Impfungen relevant, da Menschen hier jedes Jahr erneut eine Impfentscheidung treffen. Ziel ist es, die Gründe des (Nicht-)Impfens besser zu verstehen und Maßnahmen zur Impfquotensteigerung in der Bevölkerung zu entwickeln.

Zur Person

Dr. Greta Steckhan

Dr. Greta Steckhan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Robert Koch-Institut. Sie leitet das Forschungsprojekt IMPRESS, dessen Ziel es ist, ein saisonales Monitoring zur Impfakzeptanz in Deutschland zu etablieren. Weitere Forschungsschwerpunkte der Gesundheitspsychologin sind körperliche Aktivität im Alter und die Evaluation von Präventionsprogrammen.

Bildquelle: André Giogoli

HERZMEDIZIN: Welche Daten werden konkret erhoben, und mit welchen Methoden erfolgt die Datenerfassung?

Steckhan: Innerhalb von IMPRESS erheben wir u. a. Barrieren und Treiber von Impfungen, sowie die Impfbereitschaft und das Impfverhalten mittels eines Online-Fragebogens. Uns interessiert, wie sich diese Faktoren über die Zeit verändern und in welchen Bevölkerungsgruppen Impflücken gehäuft auftreten. Zur regelmäßigen Erfassung von Impfakzeptanz in der Bevölkerung wird die am RKI angesiedelte Studienreihe „Gesundheit in Deutschland“ genutzt. Die Grundgesamtheit für die Rekrutierung des Panels sind Personen im Alter von 16 Jahren und älter, die in Deutschland leben. Die Stichprobenziehung für die Studienreihe erfolgt über die Einwohnermelderegister der Einwohnermeldeämter. Für das Forschungsprojekt IMPRESS wird dann ein Teil der Personen des Panels befragt. Durch die Studienreihe „Gesundheit in Deutschland“ können somit schnell verfügbare und qualitativ hochwertige Daten erhoben werden.

HERZMEDIZIN: Welche Bedeutung haben soziale und verhaltensbezogene Faktoren für das Verständnis von Impfakzeptanz und Impflücken?

Steckhan: Marginalisierte Gruppen erreicht seltener ein Impfangebot. Beispielsweise zeigen Ergebnisse des monatlichen COVID-19 Impfquotenmonitorings während der Pandemie (COVIMO), dass Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status seltener gegen COVID-19 geimpft waren. Daher ist es relevant, auch soziale Merkmale zu erfassen, um diese Personen besser charakterisieren zu können. Zudem ist es wichtig, verhaltensbezogene Faktoren zu erfassen, um die Beweggründe für oder gegen Impfungen besser zu verstehen. Barrieren im Zugang zu Impfungen, wie ungünstige Öffnungszeiten der Arztpraxis, können die Inanspruchnahme einer Impfung erschweren. Während das Vertrauen in die Sicherheit und Effektivität von Impfungen eine Impfentscheidung begünstigen kann. Diese Ansatzpunkte ermöglichen es, Maßnahmen zur Reduzierung von Ungleichheiten beim Impfschutz in der Bevölkerung zu entwickeln.

Personen mit Grunderkrankungen: 7 von 10 ungeimpft

 

HERZMEDIZIN: Berücksichtigt IMPRESS gezielt Risikogruppen wie Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen?

Steckhan: Ja, neben der Allgemeinbevölkerung befragen wir auch Personen mit impfrelevanten Grunderkrankungen. Darunter fallen auch Personen mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Influenza-Impfung u. a. für Personen über 60 Jahren und Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen. In der Saison 2023/24 lag die Impfquote bei Personen mit Grunderkrankungen bei 31 %, somit blieben 7 von 10 Menschen ungeimpft. Daher möchten wir insbesondere bei dieser Personengruppe, die Beweggründe besser verstehen, die für oder gegen eine Impfung sprechen.

HERZMEDIZIN:
Gibt es aus bisherigen Erhebungen Hinweise darauf, dass kardiologische Patientinnen und Patienten über- oder unterdurchschnittlich häufig von Impfskepsis oder -barrieren betroffen sind?

Steckhan: Die Studienlage zu Barrieren und Treibern von Impfverhalten, die kardiologische Patientinnen und Patienten mit der Allgemeinbevölkerung vergleicht ist leider begrenzt. Studienergebnisse sprechen dafür, dass eine Empfehlung durch das Gesundheitspersonal die Entscheidung für eine Influenza-Impfung in dieser Personengruppe begünstigen kann.1 Unterschätzen kardiologische Patientinnen und Patienten den schweren Verlauf der Erkrankung, kann das jedoch hinderlich sein.2

HERZMEDIZIN: Auf welche Weise könnten die Erkenntnisse aus IMPRESS dazu beitragen, die Impfbereitschaft zu erhöhen? Können Sie Beispiele oder Szenarien skizzieren?

Steckhan: Die Impfquoten für Influenza, die innerhalb des Forschungsprojekts erhoben werden, stehen zeitnah zur Verfügung. Das ermöglicht Aufrufe an bestimmte Zielgruppen in der laufenden Saison. So können Impflücken von Influenza bei Personen mit erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe zeitnah adressiert werden. 

Neben den jährlichen Erhebungen im Rahmen des Impfakzeptanz-Monitorings können in IMPRESS auch anlassbezogene Befragungen durchgeführt werden. Sie werden schnell umgesetzt und finden in der Regel nur einmal statt. Das bietet die Möglichkeit aktuelle Fragestellungen zu beantworten oder flexibel auf Ereignisse wie Einbrüche in Impfquoten zu reagieren. Eine solche Befragung hat Anfang des Jahres stattgefunden, da es Nachweise von Polioviren im Abwasser gab. Die Grundimmunisierung der infektiösen Kinderlähmung ist jedoch lückenhaft. Deswegen gab es in dieser Zeit Aufrufe von Public-Health-Akteuren, die Impfungen schnellstmöglich nachzuholen.

In der anlassbezogenen Befragung wurden Eltern zur Wahrnehmung der aktuellen Polio-Situation befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass 9 von 10 Eltern eine Polio-Erkrankung für schwerwiegend halten. Die Wahrscheinlichkeit an Polio zu erkranken wird jedoch von mehr als der Hälfte der Eltern als gering angesehen. Gleichzeitig ist die Impfbereitschaft hoch. Das hat uns gezeigt, dass Eltern grundsätzlich empfänglich für die Polio-Impfung sind. Sollte es die Situation erfordern, könnte es helfen, die Risikowahrnehmung von Eltern zu stärken.

Vorbehalte adressieren, Motivation fördern

 

HERZMEDIZIN: Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Kardiologinnen und Kardiologen beim Thema Impfen? Wie kann die Kardiologie zukünftig zur Förderung der Impfakzeptanz und zur Schließung von Impflücken bei besonders vulnerablen Patientengruppen beitragen?

Steckhan: Kardiologinnen und Kardiologen können beispielsweise bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten ihren Impfstatus prüfen und auf die Notwendigkeit einer Influenza-Impfung hinweisen. Da Ärztinnen und Ärzte als vertrauenswürdige Quelle für Gesundheitsentscheidungen angesehen werden, spielt ihre Empfehlung bei der Impfentscheidung eine große Rolle.3 In der Kommunikation kann das Motivational Interviewing eingesetzt werden. Hier stehen das aktive Zuhören und die Ambivalenz des Gegenübers im Vordergrund. Im Gespräch lassen sich Vorbehalte gegenüber Impfungen adressieren und die Motivation zur Verhaltensänderung fördern. 

HERZMEDIZIN: Das Projekt ist im Januar 2025 gestartet und läuft bis Dezember 2027. Was sind die nächsten Schritte, und wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?

Steckhan: Ende September startet die erste Feldphase des saisonalen Impfakzeptanz-Monitorings. 2026 und 2027 folgen weitere Erhebungen. Erste Ergebnisse erwarten wir Anfang nächsten Jahres. Die Ergebnisse sollen zeitnah aufbereitet und u. a. über die IMPRESS-Internetseite und das Impfdashboard VacMap der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.


Referenzen

  1. Yanik A & Kürșat Ş. Influenza vaccination rates and related factors in patients with chronic heart disease: A cross-sectional study from a tertiary hospital. Ankara Med J. 2021; 21(4): 619-634. DOI: 10.5505/amj.2021.74429
  2. Monagle SR,  et al. Cardiology patients are unaware of the benefits of seasonal influenza immunization. Am J Prev Cardiol. 2024;19:100716. Published 2024 Aug 13. DOI: 10.1016/j.ajpc.2024.100716
  3. Neufeind J & Schmid-Küpke N. Kapitel 18 - Impfakzeptanz steigern, Kommunikation meistern. Editors: Oberle D, Cichutek K, Wichmann O. Impfen Kompakt, Urban & Fischer, 2024, Pages 135-139, ISBN 9783437235405, https://doi.org/10.1016/B978-3-437-23540-5.00018-1.

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