Vor etwa 15 Jahren wurde Niacin in Studien eingesetzt, um Cholesterin zu senken, und gleichzeitig HDL zu erhöhen. Damals galt die Vorstellung, dass HDL protektiv ist und die negativen Effekte von LDL kompensieren würde. Mittlerweile wissen wir aber, dass die Anhebung von HDL kein Therapieziel ist. Niacin hebt HDL an und senkt gleichzeitig LDL. Niacin wurde in mehreren großen Studien im Hinblick auf die Reduktion des kardiovaskulären Risikos untersucht. Allerdings konnte man den erhofften Effekt nicht beobachten. Im Gegenteil: In der Sekundäranalyse der vorzeitig abgebrochenen HPS2-Thrive-Studie wurde festgestellt, dass Niacin mit einem Anstieg der Schlaganfallrate verbunden war. Allerdings hat man damals 1000 mg Niacin pro Tag eingesetzt.2
Das ist deutlich über dem Wert, was jetzt als Höchstgrenze empfohlen wird. Daher kann man davon ausgehen, dass 160 mg/Tag Niacin unproblematisch sind bei Personen ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber eine tägliche Zufuhr von etwa 13-18 mg, also durchschnittlich etwa 15 mg pro Tag, ist völlig ausreichend.
HERZMEDIZIN: Sind Nahrungsergänzungsmittel mit Niacin sinnvoll?
Haghikia: In Deutschland oder in anderen Industriestaaten gibt es keinen Bedarf für eine Nahrungsergänzung mit Vitamin B3, wenn man sich ausgewogen ernährt. Da Vitamin B3 in sehr vielen Lebensmitteln enthalten ist, gibt es keinen Vitamin-B3-Mangel. Sofern keine Aufnahmestörungen über den Darm, wie eine chronische Darmentzündung, eine Alkoholsuchterkrankung oder Magersucht vorliegen, gibt es keinen Grund für eine zusätzliche Einnahme von Vitamin B3.
HERZMEDIZIN: Viele Lebensmittel sind mit Niacin supplementiert. Sollte man das verbieten?
Haghikia: Wenn dieser Befund durch andere Studien bestätigt wird, muss man darüber nachdenken, ob die Supplementation von Lebensmitteln sinnvoll ist. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es sehr viele Pellagra-Fälle als Folge einer einseitigen auf Mais basierten Mangelernährung. Bei Pellagra kommt es zu schweren Hautveränderungen bis hin zum Tod. Das war aber zu einer Zeit, in der eine Mangelernährung in den Industrieländern weit verbreitet war. Um dem entgegenzuwirken, wurden gesetzliche Vorgaben zur Supplementation von Lebensmitteln erlassen, die in den USA immer noch gelten, obwohl Mangelkrankheiten inzwischen kaum noch vorkommen, mit Ausnahme von chronischen Krankheiten, die mit einer Aufnahmestörung einhergehen.