Erster kabelloser Zweikammer-Herzschrittmacher – seine Vor- und Nachteile

Der weltweit erste kabellose Herzschrittmacher für zwei Herzkammern steht kurz vor der Zulassung, nachdem ein klinischer Test erfolgreich verlaufen ist. Welche Vorteile der neue Schrittmacher für Patientinnen und Patienten bringen kann und welche Nachteile des neuen Systems zu beachten sind.

Von Sven Stein

 

21.06.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock / Ivan-balvan

Weltneuheit bei den Herzschrittmachern: Der erste kabellose Schrittmacher für zwei Kammern kann bald bei Herzpatientinnen und -patienten mit einem zu langsamen Herzschlag (Bradykardie) implantiert werden. Ein klinischer Test des neuen Systems verlief erfolgreich, wie Medizinerinnen und Mediziner im New England Journal of Medicine berichten. Hersteller Abbott hat den kabellosen Schrittmacher „Aveir VR“ jetzt bei der US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) zur Prüfung eingereicht.

 

Was ist das Besondere am kabellosen Zweikammer-Herzschrittmacher?

Konventionelle Herzschrittmacher werden üblicherweise durch zwei Elektroden – dünne isolierte Drähte mit Sensoren – mit dem Herzen verbunden. Ein Kabel führt in den rechten Vorhof, das zweite zur rechten Herzkammer. So kann der Herzschrittmacher die elektrischen Impulse kontrollieren, die das Herz selbst erzeugt, um den Herzschlag auszulösen. Wenn der Herzschrittmacher feststellt, dass ein Impuls in Vorhof oder Herzkammer ausgefallen ist, löst er selbst einen leichten elektrischen Impuls aus, damit sich der Herzmuskel wieder zusammenzieht. Der Schrittmacher selbst wird in einer kleinen Tasche unter der Haut unterhalb des Schlüsselbeins untergebracht und mit den Elektroden verbunden.

 

Einen kabellosen Herzschrittmacher, der direkt in die rechte Herzkammer eingesetzt wird, gibt bereits seit knapp zehn Jahren. Er ist so klein wie eine Vitaminkapsel, wird daher auch Kapselschrittmacher genannt. Sein Vorteil ist, dass es seltener zu Entzündungen kommt. Die können sonst vor allem entlang der Kabel auftreten. Der Nachteil dieses Kapselschrittmachers ist jedoch, dass er nur für bestimmte Rhythmusstörungen in der Herzkammer eingesetzt werden kann. Was im Vorhof geschieht, erkennt er nur indirekt über den Blutfluss und kann es nicht durch Impulse beeinflussen. Diesen Nachteil des Kapselschrittmachers soll der neue kabellose Zweikammer-Herzschrittmacher wettmachen. Er besteht aus zwei Geräten, die in die rechte Herzkammer und in den rechten Vorhof implantiert werden und kabellos miteinander kommunizieren.

Der kabellose Herzschrittmacher „Aveir“. Der kabellose Herzschrittmacher „Aveir VR“ kombiniert zwei Kapselschrittmacher für Vorhof und Herzkammer. Bildquelle: Abbott

Welche Vorteile und Nachteile hat der kabellose Zweikammer-Herzschrittmacher?

„Der kabellose Zweikammer-Herzschrittmacher ist eine große Innovation“, sagt Prof. Daniel Steven, Leiter der Elektrophysiologie am Herzzentrum der Uniklinik Köln. „Eines der Hauptargumente für den neuen Schrittmacher ist, dass es im Vergleich zum konventionellen Schrittmacher ein extrem geringes Infektionsrisiko gibt.“ Es gibt jedoch mehrere kritische Punkte, die aus Sicht des Experten beachtet werden müssen. So birgt die Implantation des kabellosen Geräts im Vorhof durchaus Risiken: „Die Wandstärke des Vorhofs ist deutlich geringer als bei der Hauptkammer des Herzens“, erklärt Prof Steven. „Der Schrittmacher wird mit einem Schraubgewinde befestigt, was zu Verletzungen der Vorhofhaut führen kann.“ Außerdem dürfte der neue Schrittmacher erheblich teurer werden als die etablierten Systeme. „Schon der Einkammer-Kapselschrittmacher ist um das sechs- bis siebenfache teurer als ein konventioneller Schrittmacher“, sagt Prof. Steven.

 

„Der neue Zweikammer-Schrittmacher könnte für eine stärkere Verbreitung der kabellosen Geräte sorgen, aber die konventionelle Schrittmacher-Implantation ist so etabliert und kostengünstig, dass es schwierig ist, dagegen die Vorteile des neuartigen Systems abzuwägen“, meint der Kardiologe. Der erste Schritt, die Technologie für ein größeres Spektrum an Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen, sei zwar getan. „Aber bis sie im klinischen Alltag relevant Anwendung findet, werden noch viele Jahre ins Land gehen.“

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