Wiederbelebung: Kann man bei der Reanimation etwas falsch machen?

Niemand sollte glauben, dass Helfen ihn nichts anginge. Laut Studien ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jeder mindestens einmal in seinem Leben in die Situation kommen wird, Erste Hilfe leisten zu müssen. Und das oft im engsten Familienkreis. Da ist es gut, zu wissen: Helfen kann jeder. Man muss sich nur trauen.

Von Kerstin Kropac

 

18.08.2023

Bildquelle (Bild oben): iStock / South_agency

Auf ihrem Hinflug in den Ägypten-Urlaub war es ein Kreislaufkollaps, als die Durchsage kam: „Ist ein Arzt an Bord?“ Auf dem Rückflug saß die Medizinstudentin Maike Kellner nur wenige Reihen hinter einer jungen Frau, die einen Herzstillstand erlitt. Nicht nur für Laien, auch für medizinische Fachkräfte sind Notfälle außerhalb der Klinik eine Herausforderung. Gleichzeitig wissen sie genau: Schnelle Hilfe kann Leben retten!

In welchen Situationen ist eine Reanimation nötig?

„Auf dem Hinflug wurde ich zu einer älteren Dame gerufen, die einen Kreislaufkollaps hatte“, erzählt Maike Kellner. Damals war sie noch Studentin. Heute arbeitet sie als Kardiologin und weiß, was auf Flugreisen passieren kann: Durch das lange Anstehen und Warten kann das Blut in den Beinen versacken. Dann fällt der Blutdruck. Es kann zu einer Ohnmacht kommen. „Diese Frau war zwar bewusstlos, aber sie atmete. Das war nicht lebensbedrohlich“, sagt Dr. Kellner. Auf dem Rückflug dagegen war der jungen Medizinerin sofort klar: Sie muss reanimieren. „Die Frau war ungefähr in meinem Alter. Ihr Gesicht, vor allem die Lippen waren blau angelaufen, sie bewegte sich nicht und atmete auch nicht mehr“, erzählt Maike Kellner. Auf dem Boden der Bordküche begann sie sofort mit der Herzdruckmassage.

 

Woran erkennen Laien, ob eine Reanimation notwendig ist?

Zuerst sollte man prüfen: Ist die Person ansprechbar? „Liegt jemand auf dem Boden und ist nicht ansprechbar, sollte man die Atmung kontrollieren“, sagt Dr. Kellner. „Da geht es ums Sehen, Hören, Fühlen. Sehe ich, ob sich der Brustkorb hebt und senkt? Höre ich ein Atemgeräusch? Fühle ich unter Mund oder Nase einen Atemstoß?“ Ist man unsicher, sollte man umgehend mit der Reanimation beginnen. „Im Zweifel wehrt sich ein Mensch, der keine Reanimation benötigt, gegen die schmerzhafte Herzdruckmassage“, sagt die Kardiologin. „Und es ist noch kein Mensch gestorben, weil man mit einer Herzdruckmassage angefangen hat – aber schon viele, weil nicht begonnen wurde …

So führen Sie eine Herzdruckmassage durch.

Wie gelingt es, in einer Notfallsituation nicht in Panik zu geraten?

Gerade in einer Notsituation ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. „Ich sammle mich kurz, indem ich einmal tief durchatme und genau überlege, was ich nun machen muss“, sagt Dr. Kellner. Auch medizinischen Laien empfiehlt sie, sich diesen Moment zu nehmen – und sich den Leitspruch ins Gedächtnis zu rufen: Prüfen, rufen, drücken. Nachdem man also geprüft hat, ob der Bewusstlose atmet, ruft man den Notruf 112. „Am besten schaltet man den Lautsprecher auf laut und beginnt dann mit der Reanimation“, sagt die Medizinerin. „Die Leitstellen sind geschult und unterstützen in einer solchen Situation.“

 

Wie schnell sollte die Reanimation beginnen?

Unmittelbar nach einem Herzstillstand zirkuliert noch ausreichend Sauerstoff im Körper – erst nach zwei bis drei Minuten drohen Hirnschäden. „Diese Zeit ist selbstverständlich ein Mittelwert“, erklärt Maike Kellner. „Der junge, sportlich-dynamische Mann, der regelmäßig im Fitnessstudio trainiert, übersteht vielleicht sogar fünf Minuten ohne Schäden, die ältere Dame, die keine Reserven hat, eventuell nur zwei.“ Deshalb bleibt zwar genug Zeit, einmal kurz durchzuatmen und den Notruf zu wählen. Dann sollte aber umgehend mit der Herzdruckmassage begonnen werden.

 

Worauf sollte man achten, bevor man mit der Reanimation beginnt?

Grundsätzlich gilt: Bei einer Herzdruckmassage sollte die Person auf dem Rücken und auf einem harten Untergrund liegen. „Befindet man sich aber zum Beispiel irgendwo in der Natur, ist die Frage: Wie weit ist die Person von einem harten Untergrund entfernt? Im Zweifel sollte man sie nicht durch den Wald ziehen, sondern lieber sofort mit der Reanimation beginnen“, sagt Dr. Kellner. Idealerweise legt man dafür die Brust frei. „Vor allem, wenn die Person eine dicke Winterjacke trägt. Bei einem dünnen T-Shirt ist das nicht unbedingt nötig.“ Und dann gilt: Hände aufeinanderlegen und in der Mitte des Brustkorbs circa 5 Zentimeter tief drücken, etwa 100- bis 120-mal pro Minute. Das entspricht beispielsweise dem Rhythmus des Liedes „Stayin´ alive“ von den Bee Gees. „Wichtig ist, dass man das Herz komprimiert und dann wieder entlastet, damit es sich wieder mit Blut füllen kann“, sagt die Kardiologin. „Beatmen sollen Laien nicht mehr. Man weiß, dass man durch das Drücken den im Körper vorhandenen Sauerstoff gut verteilen kann.“

 

Warum sollte man sich bei einer Herzdruckmassage mit jemandem abwechseln?

Ganz egal, wie sehr man sich anstrengt – Studien zeigen: Nach etwa zwei Minuten Herzdruckmassage lässt die Effektivität nach. „Eine Reanimation ist körperlich extrem anstrengend. Man braucht Kraft, um den Thorax zu komprimieren“, sagt Dr. Kellner. „Deshalb wechseln wir uns in der Klinik nach zwei Minuten ab.“ Allerdings spricht man in der Klinik von Zyklen – ein Zyklus besteht aus 30 Herzkompressionen und zwei Beatmungen. Das entspricht ungefähr zwei Minuten. „Im Flieger habe ich den Steward gebeten, noch ein zweites Mal auszurufen, ob weiteres medizinisches Personal an Bord ist“, erzählt die Kardiologin. „Tatsächlich meldete sich daraufhin eine Ärztin, die dann mitgeholfen hat – so waren wir wenigstens zu zweit.“

 

Wie finde ich im Notfall Unterstützung, wenn kein medizinisches Personal in der Nähe ist?

„Einmal kam ich durch Zufall zu einem schweren Unfall dazu“, erzählt Dr. Kellner. „Da standen bestimmt 20 Menschen um den Verletzten herum. Ich fragte: 'Ist der Rettungsdienst alarmiert?' Alle versicherten: 'Ja, ja, der ist informiert.' Als keiner kam, fragte ich noch einmal genauer, wer den Notruf getätigt hat.“ Dabei stellte sich heraus: Keiner hatte die 112 gewählt. In Notsituationen ist eine eindeutige Kommunikation wichtig. „Man muss fragen: 'Wer hat den Rettungsdienst gerufen?' Und ist der nicht informiert, sollte man Umstehende direkt ansprechen: 'Die Dame in der blauen Jacke, wählen Sie bitte den Notruf.' Meine Erfahrung ist: Wenn einer die Führung übernimmt, verlieren die anderen ihre Angst“, sagt die Kardiologin.

 

Was kann man bei der Reanimation falsch machen?

Viele Menschen haben Angst, Sie könnten zu fest drücken und womöglich Rippen brechen. „Das kann passieren. Dann ist zwar eine Rippe gebrochen – aber der Mensch ist am Leben“, sagt Dr. Kellner. „Ein Spruch hat mich schon durch mein ganzes Medizinstudium und mein Berufsleben begleitet, er lautet: ‚Schlimmer als tot geht nicht.‘ Man kann eine solche Situation nicht verschlimmern.“

Carina Hilfenhaus und Dr. Maike Kellner Carina Hilfenhaus (l.) hatte Glück, dass Dr. Maike Kellner mit ihr im Flugzeug saß und sie reanimierte, als ihr Herz plötzlich aussetzte. Bildquelle: privat

Wie lange muss man reanimieren, bis wieder Leben in einen Menschen kommt?

Es lässt sich nicht sagen, wie lange ein Mensch reanimiert werden muss, ehe sein Herz wieder zu schlagen beginnt. Aber im Schnitt ist in Deutschland nach 12 bis 15 Minuten ein Rettungsteam vor Ort, das dann die Reanimation übernimmt. „Deshalb war das im Flugzeug eine beängstigende Situation, weil wir nicht wussten, wie lange wir auf uns gestellt sein würden“, sagt Frau Dr. Kellner. „Aber bei der jungen Frau im Flugzeug hatten wir wirklich Glück: Nach zwei Zyklen hat sie wieder angefangen zu atmen. Das Gesicht bekam wieder Farbe. Es war wieder Leben in ihr.“

 

Was macht man, wenn eine Person nach einem Herzstillstand wieder zu sich kommt?

„Das Wichtigste ist, anwesend zu sein und aufzupassen“, sagt Dr. Kellner. Manchmal wollen die Betroffenen sofort wieder aufstehen. „Dann muss man beruhigend auf sie einwirken und mit ihnen zusammen auf den Rettungsdienst warten. Am besten ist es, wenn sie bis dahin liegen bleiben.“ Es kann nämlich durchaus zu Rückfällen kommen. So war es auch bei der Passagierin im Flugzeug. Als sie erwachte, fragte sie zuerst nach ihrer kleinen Tochter, die mit im Flieger war. Dann sagte sie, dass sie nicht irgendwo zwischenlanden, sondern nur nach Hause wolle. Dr. Kellner riet dennoch zur Zwischenlandung. „Und das war die richtige Entscheidung. Schon im Landeanflug auf Budapest wurde sie erneut bewusstlos.“

 

Wann sollte man einen Defibrillator einsetzen?

An vielen öffentlichen Orten hängen mittlerweile sogenannte AEDs, Automatisierte Externe Defibrillatoren. „Wenn es einen gibt und ein Mensch nicht atmet, sollte man ihn immer einsetzen“, sagt Dr. Kellner. „Am besten spricht man auch hier wieder ganz gezielt Umstehende an, damit die nach einem solchen Gerät suchen.“ Dr. Kellner empfiehlt, an Orten, an denen man sich häufiger aufhält, einmal unverbindlich zu schauen, wo die Geräte hängen. „Damit man im Notfall weiß, wo man sie findet.“

 

Wie bedient man einen externen Defibrillator?

Die AEDs leiten Ersthelfer genau an, was sie zu tun haben. „Nachdem man die Elektroden aufgeklebt hat, fährt das Gerät hoch und analysiert den Herzschlag“, erklärt Dr. Kellner. „Währenddessen setzt man die Herzdruckmassage fort.“ Ist ein Stromschlag nötig, warnt das Gerät: „Alle Hände weg vom Körper!“ Dann gibt es einen Stromschlag ab. Und die Reanimation kann – und sollte – fortgesetzt werden.

 

Wie geht es Menschen, denen der Mut für Erste Hilfe gefehlt hat?

„Während meiner Zeit auf der Intensivstation habe ich die Erfahrung gemacht, dass die traurigsten Fälle immer die sind, wo die Menschen leider nicht mutig waren. Wo zum Beispiel der Ehemann zusammengebrochen ist und die Frau sich nicht getraut hat“, sagt Dr. Kellner. Gerade wenn es sich um Angehörige handelt, machen sich die Betroffenen starke Vorwürfe. „Das ist für diese Menschen eine ganz unerträgliche Situation“, sagt die Kardiologin. „Auf der anderen Seite habe ich aber auch schon sehr viele Menschen erlebt, die den Mut aufgebracht haben und damit anderen das Leben retten konnten.“

 

Wie oft denkt man noch an eine erfolgreiche Wiederbelebung?

Nachdem die junge Frau bei der Zwischenlandung in Budapest das Flugzeug verlassen hatte, um in einem ungarischen Krankenhaus behandelt zu werden, hat Maike Kellner nichts mehr von ihr gehört. „Ich habe versucht, bei der Fluggesellschaft etwas über die junge Frau herauszufinden, aber man konnte mir aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben“, sagt Dr. Kellner. „Seitdem habe ich sehr oft an sie gedacht. Ich wusste nicht: Hat sie überlebt? Wie geht es ihr? Wie geht es ihrer Tochter? Ich hatte immer gehofft, dass die Tochter nicht ohne Mama aufwachsen muss.“ Ein Suchauftrag hat die beiden Frauen schließlich zusammengebracht – nach zehn Jahren. Beide wissen: Die junge Mutter würde heute nicht mehr leben, wenn der Medizinstudentin damals der Mut gefehlt hätte …

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