Intensive Blutdrucksenkung reduziert CVD-Risiko bei Diabetes

 

AHA-Kongress 2024 | BPROAD: Die multizentrische Studie aus China mit fast 13.000 Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ergab, dass die intensive Blutdrucksenkung (< 120 mmHg) gegenüber der Standardbehandlung (< 140 mmHg) das kardiovaskuläre Risiko deutlich reduziert. Prof. Gung Ning aus Shanghai stellte die Daten in der Late-Breaking Session 1 auf dem AHA-Kongress in Chicago am 16.11.2024 vor, die zeitgleich publiziert wurden.1,2

Kommentiert von Prof. Ulrich Kintscher, Sprecher der Arbeitsgruppe Arterielle Hypertonie der DGK.

Von:

Dr. Heidi Schörken

Redaktion Herzmedizin

 

Prof. Ulrich Kintscher

Sprecher AG 43

 

18.11.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Rudy Balasko / Shutterstock.com

Hintergrund

 

Diabetes und Bluthochdruck sind wichtige modifizierbare kardiovaskuläre Risikofaktoren. Frühere klinische Studien haben gezeigt, dass die intensive Blutdrucksenkung das CVD-Risiko und die Gesamtmortalität reduziert gegenüber der Standardbehandlung. Die optimale Blutdruckkontrolle bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ist jedoch noch unklar.

Studiendesign und Methodik

 

Die Blood Pressure Control Target in Diabetes (BPROAD)-Studie ist eine multizentrische, randomisierte Studie aus China. Eingeschlossen wurden 12.821 Personen (Alter ≥ 50 Jahre) mit Diabetes mellitus Typ 2, erhöhtem kardiovaskulären Risiko und einem systolischen Blutdruck ≥ 130 mmHg aus 145 Studienzentren. Die Personen erhielten randomisiert entweder eine intensive Blutdrucksenkung (systolischer Zielwert < 120 mmHg) oder einer Standardbehandlung (systolischer Zielwert < 140 mmHg). Der Blutdruck wurde in den ersten 3 Monaten monatlich und danach alle 3 Monate kontrolliert. Als primärer Endpunkt wurde der Komposit aus kardiovaskulären Ereignissen, einschließlich nicht-tödlicher Myokardinfarkte, nicht-tödlicher Schlaganfälle, behandelter oder hospitalisierter Herzinsuffizienz und kardiovaskulärer Todesfälle über 5 Jahre erfasst.

Ergebnisse

 

Die Baseline-Charakteristika beider Gruppen waren ähnlich: mittleres Alter 64 Jahre, mittlerer systolischer Blutdruck 140 mmHg, zu etwa 45 % Frauen und zu 22,5 % CVD in der Vorgeschichte (nach eigenen Angaben). Auch weitere Risikofaktoren waren vergleichbar, wie Blutdruck, Body-Mass-Index, Raucherstatus, HbA1c, Cholesterin, Nierenfunktion und Dauer der Diabetes-Erkrankung. Die mediane Follow-up-Dauer betrug 4,2 Jahre. Zum Zeitpunkt nach 48 Monaten betrug der mittlere Blutdruck in der intensiven Behandlungsgruppe 120,6 mmHg und 132,1 mmHg in der Standardgruppe.


Das CVD-Risiko war bei intensiver Blutdrucksenkung um 21 % geringer gegenüber der Standardbehandlung. Der primäre Endpunkt trat bei 393 Personen (1,65 % pro Jahr) in der Intensiv- und bei 492 Personen (2,09 % pro Jahr) in der Standardgruppe auf: Hazard Ratio 0,79; 95%-KI (0,69 bis 0,90); p = 0,0005.


Die Inzidenz schwerwiegender unerwünschter Ereignisse wie Krankenhausaufenthalte war in beiden Gruppen vergleichbar, allerdings kamen Fälle von symptomatischer Hypotonie und Hyperkaliämie in der Intensivgruppe signifikant häufiger vor (jeweils 8 vs. 1 und 177 vs. 15 Fälle).

Fazit

 

Bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und hohem kardiovaskulärem Risiko führte die intensive Blutdrucksenkung (< 120 mmHg) zu einer signifikant geringeren Inzidenz von CVD-Ereignissen im Vergleich zur Standardbehandlung (< 140 mmHg). Die Patientinnen und Patienten sollten jedoch bei einer intensiveren Blutdrucksenkung auf Hypotonie und Hyperkaliämie hin überwacht werden, insbesondere zu Beginn der Behandlung. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren sollten zukünftige Leitlinien einen Zielblutdruck von 120 mmHg bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 empfehlen.

Expertenkommentar von Prof. Ulrich Kintscher

 

Die BPROAD-Studie widmet sich einmal mehr der wichtigen Frage des Zielblutdruckes bei  Patientinnen und Patienten mit Typ 2 Diabetes. In der Vergangenheit adressierte die 2010 publizierte ACCORD-Studie mit 4.733 Patientinnen und Patienten mit Typ 2 Diabetes mellitus diese Fragestellung.3 In ACCORD wurde in der intensiv-behandelten Gruppe ein mittlerer systolischer Blutdruck von 119,3 mmHg und in der standard-behandelten Gruppen ein mittlerer systolischer Blutdruck von 133,5 mmHg nach einem Jahr erreicht. Interessanterweise konnte damals trotz der Blutdruckunterschiede zwischen den beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt dokumentiert werden. Die BPROAD-Studie hat jetzt diese bedeutsame Fragestellung nochmals aufgegriffen und konnte mit der intensiven systolischen Blutdrucksenkung eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes erreichen. 

 

Beantwortet werden sollte die Frage, ob die intensive Blutdrucksenkung unter 120 mmHg vs. einer Senkung auf unter 140 mmHg zur verbesserten kardiovaskulären Risikoreduktion führt. Der mittlere systolische Blutdruck nach einem Jahr betrug jedoch 121,6 mmHg in der intensiv-behandelten Gruppe und lediglich nur ungefähr 60 % der  Patientinnen und Patienten in dieser Gruppe erreichten das angestrebte Blutdruckziel von < 120 mmHg. Hieraus sollte man meiner Meinung nach zwei Schlussfolgerungen für die Blutdruckbehandlung bei Typ 2 Diabetes ziehen: Eine intensive Blutdrucksenkung führt zur Reduktion von kardiovaskulären Endpunkten. Der erreichte systolische Blutdruckwert in der intensiv-behandelten Gruppe sollte den angestrebten Zielwert definieren. 

 

Es gilt also zu diskutieren, ob die Forderung der Autoren nach einer Anpassung zukünftiger Leitlinien erfolgen sollte. Die aktuellen Leitlinien der ESC 2024 zum Management des erhöhten Blutdruckes und der Hypertonie empfehlen bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes einen systolischen Zielblutdruck von 120-129 mmHg. Eine Empfehlung, die unter anderem auf den Ergebnissen der ebenfalls in diesem Jahr publizierten ESPRIT-Studie mit  Patientinnen und Patienten mit und ohne Diabetes basiert.5 Die BPROAD-Studie bestätigt und untermauert, meiner Meinung nach, diese Empfehlungen jetzt nochmals, wobei eine weitere Anpassung des Zielblutdruckes auf Werte < 120 mmHg aufgrund des in BPROAD erreichten systolischen Zielblutdruckes aktuell nicht erforderlich erscheint. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass die Studie ausschließlich in China durchgeführt wurde und die Autorinnen und Autoren selbst die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere ethnische Gruppen zur Diskussion stellen.

 

Zusammenfassend liefert die BPROAD-Studie weitere wichtige Ergebnisse für die Zielblutdruckeinstellung von Patientinnen und Patienten mit Typ 2 Diabetes mellitus, die die aktuellen Empfehlungen der ESC von 2024 nochmals bestätigen.

Zur Person

Prof. Dr. Ulrich Kintscher

Prof. Dr. Ulrich Kintscher ist Direktor des Instituts für Pharmakologie an der Charité Berlin. Bei der DGK ist er Sprecher der Arbeitgruppe Arterielle Hypertonie (AG 43).


Referenzen

  1. Ning G et al. Effects of Intensive Blood Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes (BPROAD). Late-Breaking Science Session 2, AHA2024.
  2. Bi Y et al. Intensive Blood-Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2024 doi: 10.1056/NEJMoa2412006.
  3. ACCORD Study Group et al. Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med. 2010;362(17):1575-85.
  4. McEvoy JW et al. 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension. Eur Heart J. 2024;45:3912-4018.
  5. Liu J et al. Lowering systolic blood pressure to less than 120 mm Hg versus less than 140 mm Hg in patients with high cardiovascular risk with and without diabetes or previous stroke: an open-label, blinded-outcome, randomised trial. Lancet. 2024;404(10449):245-255

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