„Ein guter Anfang“ – Nationale Herz-Allianz begrüßt Gesundes-Herz-Gesetz

 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) und weitere medizinische Fachorganisationen inklusive der Nationalen Herz-Allianz (NHA)* „unterstützen ausdrücklich“ die Anliegen, die das Gesundes-Herz-Gesetz verfolgt. Vor dem Hintergrund der schlechten Prognose von kardiovaskulären Erkrankungen und der in Deutschland hohen kardiovaskulären Mortalität bezeichnet die DGK die Initiative als „eines der wichtigsten politischen Vorhaben der letzten Jahrzehnte“ zur Verbesserung der Herz-Kreislauf-Gesundheit in Deutschland. Der Gesetzesentwurf solle jedoch als „Ausgangspunkt“ betrachtet werden; das Ziel müsse eine umfassende nationale Herz-Kreislauf-Gesundheitsstrategie sein.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

29.07.2024

 

Bildquelle (Bild oben): K-i-T / Shutterstock.com

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die Todesursache Nummer 1. Dabei stehen wirksame und wirtschaftliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung: So erklärt die DGK in ihrer Stellungnahme zum Gesundes-Herz-Gesetz (GHG), dass eine rechtzeitige Prävention über die Hälfte der Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern könnte.

Deutschland – „Schlusslicht in der Lebenserwartung“

 

In Deutschland liegt die Lebenserwartung fast 2 Jahre unter der Lebenserwartung in den anderen westlichen EU-Ländern, trotz vergleichsweise hoher Aufwendungen für die Gesundheit. Das wird insbesondere auf eine unzureichende Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgeführt. „Die bisherige Fokussierung erweist sich für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen als unzureichend“, so DGK-Präsident Prof. Holger Thiele.


Lebensstil-Modifikationen sieht die DGK als Basis für eine Risikoreduktion hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gesunde Ernährung, angemessene körperliche Aktivität und Nikotin-Stopp hätten die stärksten Effekte bei der Reduktion des Gesamt-Risikos. Medikamentöse Maßnahmen zur Behandlung von Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie kämen hinzu.

Evidenzbasierte Cholesterinsenkung sinnvoll

 

Nicht nur die arterielle Hypertonie ist hierzulande unzureichend kontrolliert: In Deutschland werden bei über 80 % der Personen mit hohem und sehr hohem Risiko die von den Leitlinien empfohlenen LDL-Cholesterin-Zielwerte nicht erreicht, gibt die DGK in ihrer Stellungnahme zum Gesundes-Herz-Gesetz an. Das bedeutet eine unterdurchschnittliche Versorgung im europäischen Vergleich. Dabei vermindere eine LDL-Cholesterin-Senkung mit Statinen und anderen Medikamenten bei Personen mit einem hohen Herzinfarkt-Risiko die Ereignisrate und die Sterblichkeit nachweislich. Je höher das Gesamtrisiko ist, das sich mithilfe des ESC-SCORE2-Risikorechners abschätzen lässt, desto mehr Herzinfarkte und Todesfälle könnten durch eine Cholesterinsenkung vermieden werden.

 

Die DGK verweist auf niedrige Jahrestherapiekosten von unter 50 € bei Statinen und unterstützt die Initiative des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), die cholesterinsenkenden Medikamente den Hochrisikopatientinnen und -patienten besser zugänglich zu machen. Die DGK sieht jedoch die Entscheidungsprozesse zur Patientenversorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verortet, evidenzbasiert unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands und mit Einbezug der zuständigen Fachgesellschaften und Gremien.

Lipid-Screening im Rahmen der U9-Untersuchung empfohlen

 

Mit einer geschätzten Prävalenzrate von 1:250 gehört die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) zu den häufigsten genetischen Störungen. Allein in Deutschland ergeben sich daraus mehr als 300.000 Betroffene der angeborenen Lipidstoffwechselstörung, die bereits ab Geburt zu deutlich erhöhten LDL-Cholesterin-Werten führt. Die DGK berichtet, dass in Deutschland weniger als 5 % der Betroffenen identifiziert sind. Unbehandelt würden jedoch 50 % der Männer vor dem 50. Lebensjahr und 30 % der Frauen vor dem 60. Lebensjahr eine koronare Herzkrankheit (KHK) entwickeln. Im Durchschnitt komme es bereits im Alter von 38,4 Jahren zu einem ersten kardiovaskulären Ereignis.


Durch die rechtzeitige Diagnose und Therapie lasse sich die hohe Morbidität und Mortalität von FH-Betroffenen auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung senken, wobei FH durch LDL-Cholesterin-Messung anhand von Kapillarblut aus der Fingerbeere kombiniert mit gezielten genetischen Analysen sicher und einfach diagnostiziert werden kann.


Die DGK sieht das Kindesalter als optimalen Screening-Zeitpunkt: Die Erkrankung ist noch latent und die LDL-Cholesterin-Werte sind noch hauptsächlich genetisch determiniert und weniger durch Ernährung und hormonelle Einflüsse beeinflusst, wodurch die angeborene Stoffwechselstörung leichter erkannt werden kann. Daher empfiehlt die DGK ein FH-Screening im Rahmen der U9-Untersuchung (60. und 64. Lebensmonat) statt der J1-Untersuchung (13. Lebensjahr). Weitere Vorteile sind eine höhere Teilnahmerate (U9: 98 %; J1: 20–40 %) sowie ein rechtzeitiges Erfassen und Behandeln betroffener Eltern.

Familiäre Hypercholesterinämie: Frühe Therapie zielführend

 

Neben der Implementierung eines gesunden Lebensstils sind bei FH Statine die „Mittel der ersten Wahl“, so die DGK. Dabei gelte das Prinzip „je früher, desto besser“, um das Risiko der Betroffenen auf das Risiko der Normalbevölkerung zu senken. Die DGK sieht die Indikation zur Statintherapie bei den betroffenen Kindern bereits ab dem 8. Lebensjahr. Die Fachgesellschaft erklärt, dass Statine im Kindesalter als effektiv und sicher gelten, teils bereits ab dem 6. Lebensjahr zugelassen sind und dass ab einem Alter von 10 Jahren alle Statine verordnet werden können. Die DGK weist jedoch darauf hin, dass eine Statin-Therapie im Kindesalter nur nach genetischer FH-Diagnostik angezeigt ist, da nur in diesem Fall der Nutzen erwiesen ist.


Auch wenn klinische Studien aufgrund des erforderlichen Beobachtungszeitrum von mindestens 30 Jahren fehlen und schwer umsetzbar seien, würden Langzeit-Daten bei FH eine erhebliche Risikoreduktion durch die Statin-Behandlung ab Kindesalter nahelegen: Von 156 unbehandelten Menschen starben 11 vor dem 40. Lebensjahr an Herzinfarkten, in der behandelten Gruppe niemand. Auch im Vergleich von behandelten Kindern zu den unbehandelten Eltern zeigte sich ein deutlich gesunkenes Risiko für schwerwiegende Ereignisse, dem Niveau der Normalbevölkerung entsprechend, so die DGK.


Zudem verweist die Fachgesellschaft auf die Erfahrungen aus der VRONI-Studie, die eine breite Akzeptanz seitens der Kinder, Eltern sowie der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte zeigen, sowohl hinsichtlich Blutabnahme und genetischer Testung als auch im Hinblick auf eine Statintherapie ab dem 8. Lebensjahr. Über 97 % der Eltern stimmten einer Teilnahme im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung zu und nutzte die Chance der Früherkennung.

Gesetzlicher Anspruch auf FH-Screening begrüßenswert

 

„Aus unserer Sicht ist ein systematisches Screening auf hohes LDL-Cholesterin zur Diagnose einer genetisch-bedingten FH bei Erwachsenen und vor allem bei Kindern dringend indiziert“, sagt Prof. Stephan Baldus, Past-President der DGK. „Die Fachgesellschaft begrüßt ausdrücklich einen gesetzlichen Anspruch auf diese Früherkennungsmaßnahme im Kindesalter sowie auf entsprechende Gesundheitsuntersuchungen im Erwachsenenalter.“ Die Kombination eines systematischen Screenings mit einem Kaskaden-Screening, bei dem auch Angehörige ersten Grades FH-Betroffener untersucht werden, sei besonders kosteneffizient.


Die DGK erklärt in ihrer Stellungnahme zudem, dass das pädiatrische FH-Screening von der Europäischen Kommission für öffentliche Gesundheit als eine der wichtigsten Praktiken zur Primärprävention empfohlen wird. Screening-Untersuchungen könnten durch Digitalisierung und Delegieren, d. h. mittels sinnvoller Durchführung durch nicht-ärztliche Heilberufe, mit vertretbarem Aufwand umgesetzt werden.

Unterstützung für Herz-Check-ups ab dem 40. Lebensjahr

 

Die DGK unterstützt ausdrücklich das Konzept der „Herz-Check-ups“ im Erwachsenenalter. Die Gesundheitsuntersuchungen dienen dem Erkennen und der Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, und Hypercholesterinämie.


Für eine evidenzbasierte Anwendung sollten diese Untersuchungen nach Meinung der DGK mit dem 40. Lebensjahr erfolgen und verweist auf die SCORE-2-Berechnung, das NHS-Health-Check-Programm sowie die randomisierten Studien VIVA und DANCAVAS. In den beiden Studien konnte durch ein systematisches Gesundheitsscreening insbesondere bei männlichen Erwachsenen unter 70 Jahren das Sterblichkeitsrisiko gesenkt werden.

Maßnahmen zur Laien-Reanimation sollten Gesundes-Herz-Gesetz flankieren

 

Die DGK macht in ihrer Stellungnahme zudem auf die niedrige Laien-Reanimationsquote bei Herz-Kreislauf-Stillstand in Deutschland aufmerksam. „Rund 10.000 Menschenleben könnten in Deutschland pro Jahr zusätzlich gerettet werden“, sagt Prof. Stefan Blankenberg, President-Elect der DGK. „Dafür sollten Maßnahmen zur Steigerung der Laienreanimation konsequent umgesetzt werden: die verpflichtende Umsetzung von Reanimationsunterricht an Schulen, die verpflichtende Anleitung zur Telefonreanimation durch die Leitstellen und die flächendeckende Versorgung mit Ersthelfer-Apps.“

Nationale Strategie als Ziel

 

„Das Gesundes-Herz-Gesetz stellt einen guten Anfang dar“, fasst Prof. Holger Thiele die Einschätzung der DGK zusammen, der sich die herzmedizinischen Fachgesellschaften der Nationalen Herz-Allianz, die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) sowie der Deutsche Rat für Wiederbelebung (German Resuscitation Council – GRC) anschließen. „Das Ziel sollte aber eine umfassende nationale Herz-Kreislauf-Gesundheitsstrategie sein.“ Diese Strategie solle eine ganze Reihe ineinandergreifender Maßnahmen umfassen: die Stärkung von Verhältnis- und Verhaltensprävention, der Beginn der Lebensstilmodifikation im Kindesalter, darunter die Förderung von gesünderem Schulessen, die Anerkennung der Nikotinsucht als Krankheit, gezielte systematische Impfprogramme und die bereits erwähnten Maßnahmen zur Steigerung der Laienreanimation.


* Die Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und die Nationale Herz-Allianz – mit den Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation (DGPR), Deutsche Gesellschaft für Thorax, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK), den Berufsverbänden Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte (ALKK), Arbeitsgemeinschaft Niedergelassener Kardiologen (ANKK), Bund Niedergelassener Kardiologen (BNK) und das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) – sowie der Deutsche Rat für Wiederbelebung / German Resuscitation Council (GRC).

Referenz

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