Herzpatientin: Mein Hund warnt vor drohenden Herzrhythmusstörungen

Herzpatientin Karolin Bartels hat einen Defibrillator implantiert – und einen vierbeinigen Helfer an ihrer Seite. Ihr Kardioassistenzhund kann Notfallknöpfe drücken oder Hilfe herbeibellen – und er warnt Frauchen, wenn ihr Herzrhythmusstörungen drohen.

Von Sven Stein

 

13.09.2023


Bildquelle (Bild oben): Finja Krüger

 

Wenn Labrador Retriever Ari seine Stirn leicht in Falten legt, scheint er mit seinen großen braunen Augen liebevoll und nachdenklich in die Welt zu schauen. Doch für Karolin Bartels ist der Hund mit dem sanften Gesichtsausdruck viel mehr als ein niedliches Haustier. Mit seiner speziell geschulten Nase kann er riechen, wenn die Kalium- und Magnesiumwerte in Frauchens Blut demnächst zu sinken drohen – und kann sie so vor möglichen Herzrhythmusstörungen warnen.

 

Nach einem Autounfall bekam die Herzpatientin ein Defi implantiert

Seit drei Jahren unterstützt Ari die 31-jährige Herzpatientin aus dem Landkreis Celle als Kardioassistenzhund. Seit einem schweren Autounfall lebt die gelernte Versicherungskauffrau mit einem implantierten Defibrillator in der Brust. Es passierte am Morgen des 10. Juni 2014. Die damals 22-Jährige krachte mit ihrem Wagen gegen einen Laternenmast. Zum Glück wurde sie sofort von aufmerksamen Unfallzeugen aus dem Wagen gezogen und wiederbelebt. Auch die Rettungssanitäter, die wenige Minuten später vor Ort waren, mussten sie mehrfach reanimieren. Durch den Aufprall erlitt sie eine Lungenquetschung, eine stumpfe Brustkorbverletzung und vermutlich auch eine Herzprellung. Drei Tage lag sie im Koma, und in dieser Zeit kam ihr Herz immer wieder gefährlich aus dem Rhythmus. „Ich hatte mehrfach Kammerflimmern, und man sagte mir, dass ich einen Defibrillator implantiert bekommen müsse“, erzählt sie. Zwei Wochen später verließ sie die Klinik, mit dem Defi in der Brust. Danach führte sie eineinhalb Jahre ihr gewohntes Leben. Karolin Bartels arbeitete, fuhr Auto, machte Sport und ging reiten.

 

Ärzte sprachen Empfehlung für einen Assistenzhund aus

„Trotzdem entwickelte ich Ängste vor dem Alleinsein, sodass ich mich damals zum ersten Mal damit beschäftigte, was ein Assistenzhund leisten kann“, berichtet sie. Und dann kam der 9. November 2015. Karolin Bartels hat das Datum bis heute im Kopf, weil ihr Defi an diesem Tag zum ersten Mal einen elektrischen Impuls abgegeben musste, als ihr Herz aus dem Rhythmus kam. „Das war ein einschneidender Moment. Ich wurde ohnmächtig und weiß noch, dass Bilder an mir vorbeizogen, Momentaufnahmen aus meinem Leben. Mir war klar, das ist hier gerade kein normaler Traum.“ Nach dieser Erfahrung fragte sie ihre Ärzte nach einem Hund, der sie künftig in solchen Situationen unterstützen könnte. Ein Hund, der sie vor einer Herzrhythmusstörung warnen könnte, aber auch ihre Ängste nimmt und im Notfall Hilfe alarmiert. Die Mediziner unterstützten ihren Wunsch und sprachen eine Empfehlung aus. Schließlich wurde sie psychologisch begutachtet und erhielt von der Berufsgenossenschaft die Zusage, dass ihr ein Assistenzhund bezahlt wird. „Die Kosten allein für die Ausbildung lagen bei rund 15.000 Euro“, erinnert sie sich.

Ari geht mit Karolin Bartels an der Leine. Ari hat jederzeit den Geruch des Kalium- und Magnesium-Spiegels von Karolin Bartels in der Nase. Bildquelle: Finja Krüger

Die Ausbildung zum Kardioassistenzhund begann mit einem Defi-Schock

Im September 2020 war es dann so weit – der kleine Labrador-Retriever-Welpe Ari zog bei Karolin Bartels und ihrem Mann ein. Labrador Retriever können mit ihrem sanftmütigen Wesen ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe vermitteln. Gleichzeitig gelten sie als besonders gelehrig, aufgeschlossen und lernwillig. Das konnte auch Ari bald beweisen. „Er war ungefähr ein dreiviertel Jahr alt, als ich wieder Kammerflimmern und einen Defi-Schock hatte“, erzählt sie vom Beginn seiner Ausbildung. „Ich zog sofort mein Oberteil aus und habe es eingetütet, um den Geruch zu sichern. Wir mussten herausfinden, ob ich in dem Moment anders rieche und wir haben Ari mit dem Oberteil spielerisch trainiert.“ Als sie das Kleidungsstück später in einem Haufen Wäsche versteckte, konnte Ari es auf Anhieb aufspüren. „Da wussten wir, dass ich für ihn anders rieche, wenn ich Kammerflimmern habe.“

 

Nun konnte Ari gemeinsam mit einer Assistenzhundetrainerin auf das eigentliche Ziel geschult werden: Karolin Bartels zu warnen, wenn ihr ein Kammerflimmern droht, sodass sie sich rechtzeitig hinsetzen kann, bevor sie schlimmstenfalls bewusstlos wird. „Wir haben zuhause auch Notfallknöpfe in Hundehöhe installiert, die er im Notfall drücken kann. Entweder, wenn ich ihm das Kommando dafür gebe oder wenn ich bewusstlos umkippe. Außerdem bellt er, um Hilfe zu holen.“ Auch für die Situation, die Karolin Bartels die größte Sorge bereitete, wurde Ari geschult: dass sie in der Öffentlichkeit umkippt. „Ich musste mitten in der Stadt so tun, als ob ich bewusstlos werde. Dann legt er sich zu mir und bellt, um Hilfe zu holen. Das haben wir tatsächlich geübt und hat mich auch in meiner Angst beruhigt.“

 

Die Aufgabe des Assistenzhunds: den ganzen Tag den Kaliumspiegel in der Nase

Dass Ari außerdem riechen kann, wie sich der Kalium- und Magnesiumspiegel von Karolin Bartels entwickelt, wurde ihr erst im Laufe der Zeit klar. „Er hat ein Anzeigeverhalten gelernt, bei dem er mich anstupst oder anbellt. In einer Zeit, in der ich lange keinen Defi-Schock hatte, fing er trotzdem an, sein Anzeigeverhalten zu machen. Ich dachte, das ist ja komisch, bis mir auffiel, dass ich an dem Tag vergessen hatte, eine Dosis Kalium und Magnesium zu nehmen.“ Insbesondere wenn der Kaliumwert in Karolin Bartels Blut zu tief absinkt, drohen ihr Kammerflimmern und Bewusstlosigkeit. „Zum Glück hat Ari den ganzen Tag meinen Kalium- und Magnesium-Spiegel in der Nase.“

 

Dank seiner feinen Nase weiß Ari meist besser, wie es um Karolin Bartels steht als sie selbst. „Ich habe gelernt, dass ich immer auf meinen Hund hören sollte. An einem Morgen, bevor im Krankenhaus mein Defi gewechselt wurde, hat er Alarm gegeben. Ich dachte, es reicht, wenn ich zwei Kapseln Kalium zusätzlich nehme, weil ich auf nüchternen Magen die Brausetabletten nicht runterbekommen habe. Aber am Abend ist dann mein Kaliumspiegel abgestürzt und der neue Defi hat mich schocken müssen.“

Der Kardioassistenzhund trägt eine Kenndecke auf dem Rücken. Wenn Ari seine Kenndecke trägt, ist er als Kardioassistenzhund im Dienst – Streicheln oder Füttern sind dann für Außenstehende tabu. Bildquelle: Finja Krüger

Während der Arbeit trägt der Kardioassistenzhund eine Kenndecke

Auch wenn Ari immer den Geruch von Karolin Bartels in der Nase hat, gibt es für ihn einen Unterschied zwischen Dienst und Freizeit. Das Signal dafür ist die Kenndecke, die ihn sichtbar als Kardioassistenzhund ausweist. „Wenn er seine Kenndecke trägt, weiß er genau, dass er andere Menschen ignorieren und sich vermehrt auf mich konzentrieren muss“, erklärt Karolin Bartels. Etwa beim Einkaufen, beim Besuch im Krankenhaus oder in einer Arztpraxis.

 

Vor allem Kinder möchten den Hund mit dem freundlichen Gesichtsausdruck gerne streicheln. „Ich erlebe es aber inzwischen oft, dass Eltern sehen, dass der Hund gerade arbeitet. Dann sagen sie ihren Kindern, dass er nicht gestört werden darf.“ Streichelt trotzdem jemand Ari bei der Arbeit, schaut er Karolin Bartels mit einem irritierten Blick an, als wollte er sagen: Das darf der Mensch doch gar nicht. „Sobald aber die Kenndecke abgenommen ist, hat Ari Freizeit. Dann ist er ein normaler Hund, der gekuschelt werden darf, was er total gerne mag.“

 

Manchmal darf der Assistenzhund die Herzpatientin nicht begleiten

In ihrem Umfeld reagieren die meisten Menschen sehr positiv auf Ari, doch Karolin Bartels erlebt auch Probleme, wenn ihr der Zutritt mit dem Hund verwehrt wird. „Dann heißt es: Was macht der Hund hier? Hier dürfen doch gar keine Hunde rein! Wir wurden schon mal aus einem Lebensmittelgeschäft rausgeworfen und eine Arztpraxis hat einen Termin wegen des Hundes abgelehnt. Das Argument, dass es ein Assistenzhund ist, zählte da nicht. Das erschwert das Leben manchmal ziemlich.“ Dabei ist es seit zwei Jahren sogar gesetzlich festgelegt, dass einem Menschen mit Behinderung wegen seines Assistenzhundes nicht der Zutritt zu allgemein zugänglichen Einrichtungen verweigert werden darf.

 

In vielen Situationen wissen aber auch Außenstehende die Arbeit von Ari zu schätzen. „Als ich kürzlich im Krankenhaus einen Defi-Schock hatte, konnte ich mich gar nicht beruhigen, ich zitterte am ganzen Körper. Da hat eine Krankenschwester meinen Hund aufs Bett springen lassen, damit er sich auf meine Beine legen kann. Er hatte eine so beruhigende Wirkung auf mich, dass ich runterfahren konnte“, erzählt Karolin Bartels. Und der Labrador Retriever hatte wieder einmal bewiesen, wie wichtig seine empathischen Fähigkeiten für seine Besitzern sind.

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