Familiäre Hypercholesterinämie: Diagnose und Behandlung

Eine familiäre Hypercholesterinämie verursacht stark erhöhte Cholesterinwerte und bringt dadurch ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt schon in jüngeren Jahren mit sich. Wird die vererbbare Krankheit rechtzeitig erkannt und therapiert, lässt sich das Risiko jedoch erheblich senken. So laufen die Diagnose und Behandlung der familiären Hypercholesterinämie. 

Von Sven Stein

 

12.12.2023

 

Bildquelle (Bild oben): iStock/blueshot

 

 

Die familiäre Hypercholesterinämie kann schlimmstenfalls schon in jungen Jahren einen Herzinfarkt auslösen – doch wenn sie frühzeitig erkannt wird, lässt sich das Risiko erheblich senken. Betroffene können dann ein normales Leben führen. Bislang wird jedoch in Deutschland bei Vorsorgeuntersuchungen nicht standardmäßig kontrolliert, ob ein Verdacht auf eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegt. Deshalb wird in Bayern seit drei Jahren im Rahmen der sogenannten Vroni-Studie erprobt, wie betroffene Menschen möglichst frühzeitig gefunden und behandelt werden können. Dafür werden Kinder im Alter zwischen fünf und 14 Jahren untersucht, entweder im Rahmen eines ohnehin geplanten Vorsorge-Checks oder bei einem anderen Besuch beim Kinderarzt oder der Kinderärztin. Über 16.000 Kinder nahmen bereits teil. Prinzipiell sollte jedoch jeder Mensch mindestens einmal im Leben prüfen lassen, wie hoch der Wert des LDL-Cholesterins im Blut ist.

 

Warum sollte der Cholesterinwert prinzipiell untersucht werden?

Bei jedem Menschen sollte mindestens einmal im Leben der LDL-Cholesterinwert im Blut bestimmt werden. „Beim LDL-Cholesterin im Blut gibt es ein ziemlich großes Spektrum. Manche Menschen haben Glück und leben mit einem sehr niedrigen LDL-Cholesterinspiegel. Sie haben dadurch auch eine geringe Wahrscheinlichkeit, eine Gefäßerkrankung zu entwickeln“, erklärt Prof. Heribert Schunkert, Leiter der Klinik für Kardiologie am Deutschen Herzzentrum München und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

 

„Die meisten von uns liegen mit ihren LDL-Cholesterinwerten im Mittelfeld von maximal 130-140 mg/dl. Das ist nicht ideal (besser wären Werte unter 100 mg/dl), aber auch nicht dramatisch, weil es in den meisten Fällen glimpflich ausgeht. Sollte allerdings bei diesen Menschen eine Gefäßerkrankung wie die koronare Herzkrankheit entdeckt werden, müssen auch Cholesterinwerte, die sich im Bevölkerungsdurchschnitt bewegen, medikamentös deutlich gesenkt werden“, sagt der Kardiologe.

Prof. Heribert Schunkert. Prof. Heribert Schunkert, Leiter der Klinik für Kardiologie am Deutschen Herzzentrum München und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Bildquelle: Deutsches Herzzentrum München

Am oberen Ende des Spektrums der Cholesterinwerte liegen Menschen, die von der vererbten Hypercholesterinämie betroffen sind. „Sie haben als Erwachsene ein viel zu hohes LDL-Cholesterin von über 190 mg/dl, sodass es schon in jungen Jahren zu Gefäßablagerungen und womöglich auch zum Herzinfarkt kommt“, sagt Dr. Veronika Sanin vom Deutschen Herzzentrum München, die Leiterin der Vroni-Studie. „Weil man dieses Risiko außer durch eine Cholesterinmessung nicht feststellen kann, sollten idealerweise schon junge Menschen einmal im Leben auf LDL-Cholesterin getestet werden. Wenn dann ein Ausreißer nach oben vorliegt, muss der Grund weiter abgeklärt werden, zum Beispiel, indem man genetische Ursachen für die hohen Cholesterinwerte identifiziert.“

 

Warum sollten bereits Kinder auf familiäre Hypercholesterinämie untersucht werden?

Im Rahmen der Vroni-Studie werden Kinder zwischen fünf und 14 Jahren auf erhöhte Cholesterinwerte untersucht, um eine familiäre Hypercholesterinämie zu finden. „Es gibt keine andere Möglichkeit, diese extremen Erhöhungen frühzeitig festzustellen“, sagt Dr. Sanin. Außerdem hat es zwei Vorteile, wenn die Werte schon so früh im Leben kontrolliert werden:

 

  • „Wenn bei einer Untersuchung im Kindesalter ein erhöhtes Cholesterin festgestellt wird, ist dies ganz überwiegend durch die Genetik bedingt ist. Die erhöhten Werte lassen also dann eher auf eine vererbte Ursache rückschließen“, erklärt die Kardiologin.
  • „Bei Kindern sollten durch das hohe Cholesterin in aller Regel noch keine dramatischen Veränderungen der Blutgefäße vorliegen. Eine Behandlung, die dann einsetzt, kann das Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung neutralisieren und eventuell schon vorhandene Ablagerungen können sich zurückbilden“, so die Herzexpertin.
Dr. Veronika Sanin. Dr. Veronika Sanin vom Deutschen Herzzentrum München, Leiterin der Vroni-Studie. Bildquelle: Deutsches Herzzentrum München

Wie wird die familiäre Hypercholesterinämie diagnostiziert?

Einen ersten Hinweis auf eine mögliche familiäre Hypercholesterinämie liefern die Cholesterinwerte, insbesondere der LDL-Cholesterinwert. Dieser Wert wird prinzipiell mit einem Bluttest bestimmt. „Für die Vroni-Studie in Bayern kann im Grunde jeder Kinderarzt und jede Kinderärztin aus der Fingerbeere einige Tropfen Blut entnehmen. Im Deutschen Herzzentrum wird dann das LDL-Cholesterin im Blut gemessen", erklärt Prof. Schunkert. „Wenn es erhöht sein sollte, also bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, wird es gleich weiterverarbeitet und eine genetische Analyse angeschlossen. Das Kind muss also nicht noch einmal untersucht werden. Sollte dann tatsächlich eine genetische Auffälligkeit bestehen, werden die Eltern durch die Kinderärztin oder den Kinderarzt informiert. Es gibt auch Informationsmaterial und Angebote an die Eltern und die Kinder, sodass sie sich über die Erkrankung informieren und entsprechend behandeln lassen können.“

 

Da die familiäre Hypercholesterinämie eine Erbkrankheit ist, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Familienmitglieder davon betroffen. Daher sollten auch die direkten Angehörigen eines betroffenen Kindes informiert und untersucht werden.

 

Wie wird eine familiäre Hypercholesterinämie behandelt?

„Da es sich bei der familiären Hypercholesterinämie um eine genetische Störung handelt, lässt sich durch eine Umstellung der Ernährung nichts erreichen“, erklärt Prof. Schunkert. „Aber in aller Regel ist die familiäre Hypercholesterinämie sehr gut durch Statine behandelbar. Statine gehören zu den meistverordneten Medikamenten und sind inzwischen auch für Kinder ab dem achten oder zehnten Lebensjahr zugelassen. Durch die Statine lassen sich in den meisten Fällen die LDL-Cholesterinwerte auf den Bevölkerungsdurchschnitt senken. Wenn bei einem Kind die ganz hohen Werte auf den Bevölkerungsdurchschnitt zurückgebracht werden, ist das Risiko, dass sich vorzeitig eine Atherosklerose ausbildet, drastisch reduziert. Liegt schon eine Gefäßerkrankung vor, muss das Cholesterin noch weiter runter. Dann kommen meist noch andere Medikamente hinzu.“

 

Aber auch wenn bei älteren Angehörigen eine familiäre Hypercholesterinämie festgestellt und frühzeitig behandelt wird, profitieren diese davon. Das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sinkt dadurch erheblich.

 

Ist eine familiäre Hypercholesterinämie heilbar?

„Die Mutation des Gens als Auslöser der familiären Hypercholesterinämie besteht ein Leben lang. Deshalb werden auch ein Leben lang zu wenig LDL-Rezeptoren an den Leberzellen gebildet und zu wenig LDL-Cholesterin aus dem Blut herausgefiltert“, erklärt Prof. Schunkert. „Die Statine bewirken, dass mehr LDL-Rezeptoren auf der Leberzelle aktiv sind und das LDL-Cholesterin aus dem Blut heraustransportieren. Das setzt leider voraus, dass die Medikamente durchgehend genommen werden. So lässt sich der kumulative Prozess bremsen, der über Jahre oder Jahrzehnte die Blutgefäße schädigt. Wenn das gelingt, verschiebt sich der Krankheitsprozess um zwei oder drei Jahrzehnte, sodass die Betroffenen ein normales Leben führen können.“

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