Dürfen Herzpatienten mit dem Auto fahren?

Autofahren mit einer Herzkrankheit, mit einem Herzschrittmacher oder einem implantierten Defibrillator – wann ist das noch möglich und unter welchen Umständen muss das Fahrzeug stehen bleiben? Die rechtlichen Vorschriften sind umfangreich und verlangen Eigenverantwortung von den betroffenen Patientinnen und Patienten.

Von Sven Stein

 

08.08.2023

Bildquelle (Bild oben): iStock / AND-ONE

Mehr als 1,5 Millionen Menschen werden jedes Jahr wegen einer Herzerkrankung im Krankenhaus behandelt. Mancher dürfte sich fragen, ab wann er sich nach überstandener Krankheit wieder hinter das Lenkrad eines Autos setzen darf. Denn auch wenn man sich genesen fühlt, sind womöglich Einschränkungen zu beachten. Schließlich können bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen dazu führen, dass Betroffene plötzlich nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu führen. Das kann zum Beispiel durch Sehstörungen, Bewusstlosigkeit oder andere körperliche Einschränkungen passieren, die schlagartig auftreten. Dann besteht die Gefahr, einen Unfall zu verursachen, bei dem womöglich Menschen schwer verletzt oder gar getötet werden.

Woher weiß eine Patientin oder ein Patient, ob er Auto fahren darf?

Patientinnen und Patienten müssen durch ihren behandelnden Arzt oder Ärztin darüber informiert werden, wenn sie wegen einer Herzkrankheit nicht fahren dürfen. „Wenn ein Arzt oder eine Ärztin erkennt, dass seine Patientin oder sein Patient ein potenziell erhöhtes Risiko hat, einen Unfall zu verursachen, ist er verpflichtet, über die fehlende Fahreignung zu informieren“, erklärt Prof. Christoph Stellbrink, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin am Klinikum Bielefeld Mitte. „Die Informationspflicht ergibt sich aus dem Patientenvertrag und dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Das Unterlassen einer notwendigen Information wird als Behandlungsfehler gewertet.“ Dass der Betroffene informiert wurde, muss von Arzt oder Ärztin dokumentiert werden. „Häufig ist ein Fahrverbot nur zeitlich befristet“, sagt Prof. Stellbrink, „manchmal muss es aber auch dauerhaft ausgesprochen werden.“

 

Auf welcher Grundlage beurteilt die Ärztin oder der Arzt die Fahreignung?

„Maßgeblich für die Entscheidung, ob jemand ein Auto fahren kann, ist das Risiko, einen Unfall zu verursachen“, erklärt Prof. Stellbrink. Ärztinnen und Ärzte sollten sich bei der Beurteilung an den juristisch verbindlichen Regelungen der Bundesanstalt für Straßenwesen orientieren, die in der Fahrerlaubnisverordnung festgeschrieben sind. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat diese Verordnung in eine Leitlinie umgesetzt – also eine Empfehlung, an der sich Ärztinnen und Ärzte orientieren können.

 

Wie wird das Risiko ermittelt, ob ein Herzkranker beim Autofahren plötzlich die Kontrolle verlieren könnte?

Wie groß das Risiko ist, dass ein herzkranker Mensch einen Autounfall verursacht, wird nach einer Formel berechnet, die von der Kanadischen Gesellschaft für Kardiologie entwickelt wurde. Bei dieser sogenannten Risiko-eines-Schadens-Formel („Risk of Harm Formula“) wird berücksichtigt,

 

  • wie viel Zeit hinter dem Steuer verbracht wird,
  • was für ein Fahrzeugtyp gefahren wird (etwa Pkw, Lkw, Bus, Taxi),
  • wie hoch das Risiko ist, plötzlich wegen Herz-Kreislauf-Problemen die Kontrolle zu verlieren und
  • wie hoch das Risiko ist, dass es bei einem Unfall Schwerverletzte oder gar Tote gibt.

 

Wie hoch ist das Risiko für einen Unfall aufgrund einer Herzerkrankung?

„Das Risiko für einen Unfall nach einer Herzerkrankung ist insgesamt gering“, sagt Prof. Stellbrink. „Selbst bei schwer kranken Patienten kommen niedrige Zahlen heraus.“ Beispiel: Für einen 50 Jahre alten Lkw-Fahrer, der ein halbes Jahr vorher einen unkomplizierten Herzinfarkt durchgemacht hat, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen plötzlichen Kontrollverlust am Lenkrad bei 1 Prozent pro Jahr. „Wenn das am Steuer passiert, errechnet sich ein Risiko von 2 Prozent, einen schweren Unfall mit Todesfolge zu verursachen“, erklärt der Kardiologe. „Dann kommt man auf eine Schädigungswahrscheinlichkeit von 0,00005, also 1 zu 20.000 im Jahr. Das ist schon ein moderat erhöhtes Risiko.“ Das Risiko eines jeden Herzpatienten oder Herzpatientin muss immer individuell eingeschätzt werden, weil sowohl zusätzliche positive als auch negative Kriterien zu berücksichtigen sind. „So kann es bei einem insgesamt geringen Risiko auch Sachverhalte geben, die zumindest für ein zeitweiliges Fahrverbot sorgen“, sagt Prof. Stellbrink. „Dafür gibt es eine sehr umfangreiche Liste.“

Prof. Christoph Stellbrink Prof. Christoph Stellbrink, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin am Klinikum Bielefeld Mitte. Bildquelle: Klinikum Bielefeld Mitte

Was steht in der Liste zur Fahreignung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) heißt es in Paragraph 46, dass Inhabern einer Fahrerlaubnis, die sich „als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen“ erweisen, die Erlaubnis entzogen wird. Das gilt auch für Erkrankungen, die in der Anlage 4 der Verordnung aufgelistet sind. In dieser Liste wird beschrieben, in welchen Fällen jemand wegen einer Herzkrankheit nicht mehr fahrtauglich ist, wobei nach beruflichen und privaten Fahrerinnen und Fahrern unterschieden wird:

 

  • Betroffene mit Herzrhythmusstörungen dürfen nicht fahren, wenn sie anfallsweise Bewusstlosigkeit oder Bewusstseintrübung erleiden und noch nicht erfolgreich behandelt wurden.
  • Mit Bluthochdruck ist man nicht fahrtauglich, wenn er zu Symptomen wie Sehstörungen oder Schwindel führt. Bei Berufsfahrerinnen und -fahrern mit Blutdruckwerten von 180/110 mmHG oder mehr ist im Einzelfall zu entscheiden, ob sie nicht fahrtauglich sind.
  • Nach einem komplikationslosen Herzinfarkt pausieren Berufsfahrerinnen und -fahrer mindestens sechs Wochen, können dann wieder fahrtauglich sein. Bei einem schweren Verlauf sind sie in der Regel nicht mehr fahrtauglich. Private Fahrerinnen und Fahrer setzen nach einem schweren Herzinfarkt für mindestens vier Wochen aus.
  • Bei einer Herzschwäche sind Betroffene nicht fahrtauglich, wenn sie in Ruhe Beschwerden wie Luftnot haben. Bei beruflichen Fahrerinnen und Fahrern gilt das bereits, wenn sie Beschwerden bei geringer Belastung haben.

 

Dürfen Menschen mit einem Herzschrittmacher Auto fahren?

„Die gute Nachricht ist, dass private Pkw-Fahrerinnen und -Fahrer nach einer Herzschrittmacher-Implantation wieder Autofahren dürfen“, sagt Prof. Stellbrink. „Denn durch den Schrittmacher wird das Risiko für einen plötzlichen Bewusstseinsverlust genommen. Der Schrittmacher selbst ist also kein Risiko, sondern er hebt das Risiko auf.“ Allerdings wird auch hier zwischen privaten und beruflichen Fahrerinnen und Fahrern unterschieden. „Beim Berufsfahrer sind die Kriterien strenger. Wenn der Betroffene vom Schrittmacher abhängig ist, ihn also permanent braucht, oder wenn er schon vor der Implantation Ohnmachtsanfälle hatte, muss er vier Wochen warten, bis er wieder fahren darf“, erklärt Prof. Stellbrink.

 

Bei Patientinnen und Patienten mit einem implantierbaren Defibrillator (ICD) gelten andere Maßnahmen. „Private Fahrerinnen und Fahrer, die einen Herzstillstand oder ein Rhythmusereignis hatten, können in der Regel nach drei Monaten wieder fahren, wenn in diesen drei Monaten nicht ein erneuter Bewusstseinsverlust beziehungsweise ein Schock vom Defi eingetreten ist“, erklärt Prof. Stellbrink. „Wer jedoch beruflich fährt und einen Defi benötigt, bekommt in der Regel ein Fahrverbot ausgesprochen“, sagt der Kardiologe. „Mancher meint dann, es sei besser, auf den Defi zu verzichten, um weiter Auto fahren zu können. Aber das ist ein Trugschluss. Der Grund, warum der Betroffene nicht mehr fahren darf, ist nicht der Defi, sondern die Erkrankung, wegen der er den Defi bekommt“, so Prof. Stellbrink.

 

Wann kann einer Herzpatientin oder einem Herzpatienten die Fahrerlaubnis entzogen werden?

Um einem Menschen die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil er aufgrund einer Herzkrankheit nicht hinters Steuer dürfte, müsste zunächst die zuständige Behörde von der Erkrankung erfahren. „Eine Ärztin oder ein Arzt darf aber nicht melden, wenn eine Patientin oder ein Patient wegen einer Herzkrankheit nicht fahrtauglich ist“, stellt Prof. Stellbrink klar. „Es gilt die ärztliche Schweigepflicht.“ Auch die Betroffenen sind nicht verpflichtet, ihre Erkrankung zu melden. Bei einer unbefristeten Pkw- oder Motorrad-Fahrerlaubnis erfährt die Fahrerlaubnisbehörde daher in der Regel nichts davon, wenn eine Erkrankung vorliegt – solange es nicht im Straßenverkehr auffällt! Sollte das aber passieren, kann beispielsweise die Polizei die Fahrerlaubnisbehörde informieren.

 

Anders verhält es sich bei einer Fahrerlaubnis, die befristet gültig ist, etwa für Lkw, Bus oder Taxi. Wer so eine Fahrerlaubnis beantragt oder verlängern lassen will, muss sich ärztlich untersuchen lassen, um unter anderem die körperliche Eignung bestätigen zu lassen. In der Bescheinigung, die bei der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegt werden muss, sind auch Herz- und Kreislauf-Erkrankungen zu dokumentieren, die für die Fahrtauglichkeit relevant sind. Auf dieser Grundlage kann die beantragte Fahrerlaubnis verweigert werden.

 

Was droht, falls sich eine Patientin oder ein Patient nicht fahrtauglich hinters Steuer setzt?

Das Fahrerlaubnisrecht setzt auf ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Bevor sich jemand ans Steuer setzt, ist er verpflichtet, sich selbst zu prüfen, ob er sicher ein Fahrzeug führen kann. Wer losfährt, obwohl er etwa wegen körperlicher Einschränkungen nicht sicher unterwegs ist, riskiert strafrechtliche Konsequenzen.

Diese Seite teilen