Warum ist eine koronare Herzkrankheit so gefährlich?
Wenn eine Verdickung in den Gefäßen aufplatzt, nimmt der Körper sie als eine Verletzung wahr – wie einen Schnitt in den Finger. Es bildet sich sofort ein Blutgerinnsel, um die Wunde zu verschließen. Aber durch diesen Blutpfropf kann das Gefäß verstopfen, sodass kein Blut zum Herz fließen und es mit Sauerstoff versorgen kann. „Dann ist höchste Not! Das ist das, was wir als Herzinfarkt bezeichnen“, erklärt Dr. Wolf. „Wird die Verstopfung nicht möglichst schnell mit einem modernen Katheterverfahren behoben, stirbt der unterversorgte Herzmuskel ab.“ Was den Wissenschaftlern Rätsel aufgibt: Bei einigen Betroffenen wird durch die Verdickung im Gefäß der Gefäßinnendurchmesser kleiner – aber es kommt nicht zu einem Herzinfarkt. Bei anderen platzen sogar kleine Verdickungen, sogenannte Plaques, auf. Woran das liegt? „Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage“, sagt der Herzexperte.
Wie entstehen Ablagerungen in den Gefäßen?
Die Ablagerungen (Plaques) gehören zum normalen Alterungsprozess der Gefäße: Häufig entstehen sie schon im jungen Erwachsenenalter. Sie sind bei etwa fünf Prozent der 45- bis 50-Jährigen und bei jedem dritten Über-80-Jährigen nachweisbar. Klassische Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, hohe Cholesterinwerte und Diabetes begünstigen die Plaque-Bildung – und wahrscheinlich sind diese Risikofaktoren auch mitverantwortlich dafür, dass die Plaques instabil werden und aufreißen.
Woraus bestehen die Ablagerungen in den Gefäßen?
„Schauen wir uns die Verdickungen genauer an, finden wir darin vor allem Fette, insbesondere das LDL-Cholesterin, das aus dem Blut aufgenommen wurde und sich dort abgelagert“, erklärt Dr. Wolf. Das ist auch der Grund, warum das LDL-Cholesterin häufig als das böse Cholesterin bezeichnet wird. „Der erste Impuls vieler Patienten ist daher, auf ihr Frühstücksei verzichten zu wollen“, erzählt der Kardiologe. „Aber das ist ein Irrglaube. Der Anteil der Blutfette, die wir über die Nahrung aufnehmen, liegt nur bei etwa 20 Prozent. 80 Prozent des LDL-Cholesterins stellt der Körper selbst her.“ Außerdem lagern sich nicht nur Blutfette ab, sondern auch Immunzellen. „Das macht die Atherosklerose zu einer hoch aktiven Erkrankung ähnlich wie eine chronische Entzündung“, sagt der Kardiologe.
Was lässt die Ablagerungen in den Gefäßen wachsen?
Mittlerweile haben die Forscher verstanden, was in den Gefäßablagerungen passiert: Es strömen Fresszellen, sogenannte Makrophagen ein, und versuchen die abgelagerten Blutfette aufzufressen. Das Problem dabei: Sie können diese Blutfette nicht abbauen. Die Makrophagen fressen sich voll, werden immer dicker und sterben schließlich. „Und das ist ungünstig, denn der Tod der Fresszelle führt zu einer Entzündungsreaktion, in deren Folge weitere Immunzellen einströmen, denen dasselbe passiert, sodass die Plaque stetig weiterwächst“, sagt der Kardiologe. Und es gibt noch ein Problem: „Aktuell gehen wir davon aus: Je stärker die Entzündungsaktivität in der Plaque, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese aufreißt.“
Verhindern niedrige Cholesterinwerte die Entstehung von Ablagerungen?
„Das LDL-Cholesterin hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Körper, sondern wird auch gebraucht, um beispielsweise Gewebe aufzubauen“, erklärt Dr. Wolf. „Allerdings findet sich bereits im Blut eines Gesunden ein Vielfaches des Cholesterins, das für die Bildung neuer Zellen benötigt wird.“ Daher sollte bei Patientinnen und Patienten mit bestehenden atherosklerotischen Erkrankungen oder einem hohen Risiko immer angestrebt werden, das LDL-Cholesterin mit Medikamenten möglichst tief zu senken. Studien belegen, dass so die Entstehung neuer Ablagerungen verhindert werden kann. Gleichzeitig sind bestehende Plaques weniger aktiv und können sogar kleiner werden. „Leider beobachten wir, dass diese Maßnahme bei einem Teil der Patientinnen und Patienten nicht ausreicht“, sagt der Herzexperte. „Bei ihnen bleibt trotz Senkung des LDL-Cholesterins, trotz guten Lifestyle-Managements, Gewichtsreduktion, Einstellung des Diabetes Mellitus und Rauchstopps die Erkrankung bestehen oder wird sogar schlechter.“
Wie könnten Entzündungshemmer im Rahmen einer Impfung das Herzinfarkt-Risiko reduzieren?
„Bestimmte Entzündungshemmer können dafür sorgen, dass atherosklerotische Plaques, insbesondere in den Herzkranzarterien, weniger schnell wachsen und weniger schnell zu Herzinfarkten führen“, sagt Dr. Dennis Wolf. „Das Problem ist jedoch, dass die Substanzen, die wir momentan zur Verfügung haben, relativ unspezifisch sind.“ Das heißt: Das Herunterregeln der Entzündungsreaktion passiert nicht nur in der Plaque, sondern im ganzen Körper. Es wird also auch die positive Funktion des Immunsystems, der Schutz vor Viren und Bakterien, zu einem gewissen Grad vermindert. „Ob die verfügbaren Entzündungshemmer daher bedenkenlos über Jahrzehnte eingenommen werden können, ist strittig.“
Wie soll die Impfung gegen den Herzinfarkt wirken?
Um die Plaques stabil zu halten, arbeiten die Forscher daran, die Immunreaktion ganz gezielt herunterzufahren. Mittels mRNA-Technologie, die man von den Corona-Impfungen kennt, aktivieren sie die natürlichen Gegenspieler der Immunantwort, die sogenannten T-regulatorischen Zellen. „Diese T-Zellen schütten Botenstoffe aus, die dazu führen, dass andere Immunzellen beruhigt werden“, erklärt der Forscher. „Das funktioniert im Versuch mit Mäusen schon sehr gut: Die Plaques werden dadurch um 50 Prozent kleiner und treten seltener auf.“ Die Hoffnung: Durch eine solche Vorsorge könnten in Zukunft Herzinfarkte vermieden werden – und zwar ohne eine allgemeine Unterdrückung des Immunsystems. Allerdings rechnet der Wissenschaftler damit, dass die Medikamentenentwicklung – auch wenn alles gut läuft – sicherlich noch 10 bis 15 Jahren dauern wird.