Verkehrslärm – ein unterschätzter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

 

DGK-Jahrestagung 2024 | Schon seit vielen Jahren forscht Prof. Thomas Münzel, Universitätsmedizin Mainz, zu umweltbedingten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im Video-Interview erläutert der renommierte Umweltkardiologe die aktuellen Erkenntnisse aus der Lärmwirkungsforschung: Ob Nacht- oder Tageslärm schädlicher ist, wie sich Lärm auf die kognitive Entwicklung von Kindern auswirkt und was man selbst tun kann, um gesundheitliche Schäden durch Lärm zu reduzieren.

Von:

Romy Martínez & Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

21.05.2024

 

Bildquelle (Bild oben): m:con / Ben van Skyhawk

Am „Tag gegen den Lärm“ (International Noise Awareness Day), dem 27. April, publizierte Münzel gemeinsam mit anderen internationalen Lärm-Expertinnen und -Experten eine umfangreiche Analyse neuester epidemiologischer Daten im AHA-Journal Circulation Research. Es wird gefordert, Verkehrslärm als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anzuerkennen und beispielsweise in Leitlinien besser abzubilden. Wie Münzel im Interview erklärt, ist das große Ziel, dass sich die aktuellen Lärmschutzempfehlungen der WHO in den EU-Gesetzen wiederfinden.

Verkehrslärm als Risikofaktor anerkennen

 

Epidemiologische Studien zeigen, dass Verkehrslärm wie Straßen-, Schienen- oder Fluglärm die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität erhöht. Nach Angaben der WHO gehen in Westeuropa jährlich mehr als 1,6 Millionen gesunde Lebensjahre durch verkehrsbedingten Lärm verloren. In einer aktuellen Übersichtsarbeit1 widmete sich Prof. Münzel dem Thema zusammen mit einem internationalen Autorenteam des Krebsinstituts Kopenhagen (Dänemark), des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH), der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania (USA) und des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz.


Eine besondere Rolle spielt der nächtliche Verkehrslärm: Er kann den Schlaf unterbrechen und verkürzen, den Stresshormonspiegel und den oxidativen Stress im Gefäßsystem sowie im Gehirn erhöhen und zur vermehrten Bildung von freien Radikalen führen. Dies kann wiederum die vaskuläre/endotheliale Dysfunktion, Inflammation und Hypertonie fördern und dadurch das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. Laut der vorliegenden Analyse steigt pro 10 dB(A) höherem Straßenverkehrslärm das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz signifikant um 3,2 % (95%-Konfidenzintervall 1,1 % – 5,2 %).

Lärmreduktion: Mehr Awareness und Maßnahmen ergreifen

 

Die Forschungsgruppe schlägt eine konsequentere Umsetzung kombinierter Maßnahmen zur Reduktion von Verkehrslärm auf Straßen, Schienen und in der Luft vor, u. a. Lärmschutzwände, lärmarme Straßenbeläge und Bereifung sowie Nachtflugverbote und optimierte Flugrouten. Sie sehen die kardiovaskuläre Fachgemeinschaft in der Verantwortung, das Risikobewusstsein für Lärm und weitere Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung gesellschaftlich und auf politischer Ebene zu schärfen, beispielsweise indem Empfehlungen zur Verringerung der Lärmbelastung in den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) sowie des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) aufgenommen werden. Dabei verweisen die Forschenden auf Schätzungen, wonach Lärm und Luftverschmutzung deutlich höhere gesellschaftliche Kosten verursachen als Alkohol und Rauchen.


Referenzen

 

Münzel T, Molitor M, Kuntic M, Hahad O, Röösli M, Engelmann N, Basner M, Daiber A, Sørensen M. Transportation Noise Pollution and Cardiovascular Health. Circ Res. 2024 Apr 26;134(9):1113-1135. doi: 10.1161/CIRCRESAHA.123.323584.

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