Stärkung der Herzgesundheit: Zeit für eine Rückkehr zu einem sachlichen Dialog

 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) sah sich in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorhaben Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) mit unsachlicher Kritik konfrontiert. Der folgende Beitrag entkräftet fehlgeleitete Ausführungen und ruft zu einem kollegialen, fairen und zielgerichteten Diskurs auf, mit dem Ziel über die Disziplinen hinaus, die bestmögliche Versorgung für Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.  

Von:

Prof. Holger Thiele

Präsident der DGK

Prof. Stephan Baldus

Ehemaliger Präsident der DGK

Prof. Stephan Blankenberg

Zukünftiger Präsident der DGK

 

10.09.2024

 

Bildquelle (Bild oben): Butusova Elena / Shutterstock.com

Das Bundeskabinett hat Ende August den Entwurf für das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) beschlossen, dessen Vorhaben und Ziele ein wesentlicher Baustein bei der Verbesserung der Herzgesundheit in Deutschland sind. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, würdigte den Gesetzentwurf am Tag des Kabinettbeschlusses in einer Pressemeldung: „Am eigentlichen Ziel der gesetzlichen Änderungen bestand nie Zweifel. Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssen möglichst früh erkannt und bekämpft werden. Mit dem heute beschlossenen Entwurf stimmt auch der Weg wieder: umfassende Recherche der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage, breite fachliche Diskussion und Abwägen von Nutzen und Risiken.“

Gegenwind im Vorfeld zum Kabinettsbeschluss

 

Doch bereits im Vorfeld zu dieser Entscheidung sah sich nicht nur das Gesetzesvorhaben, sondern auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) selbst, die die Ziele des Gesetzes unterstützt und dies in einer Stellungnahme neben einiger Kritikpunkte am GHG formuliert, heftiger Kritik ausgesetzt. Besonders die Ausführungen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) richteten sich dabei in harscher, an der Grenze zur Verleumdung bewegender Form gegen die DGK und stellte dabei deren wissenschaftliche Integrität und die Integrität der Autorinnen und Autoren infrage. Der Stellungnahme der DGK haben sich acht weitere Fachgesellschaften angeschlossen, darunter Deutschlands größte medizinische Fachgesellschaft DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) mit mehr als 30.000 Mitgliedern und die Fachgesellschaften für pädiatrische Kardiologie (DGPK), Herzchirurgie (DGTHG) sowie für Prävention und Rehabilitation (DGPR).

 

Die DGK ist stets offen für Kritik und hätte sich einen direkten Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der DEGAM gewünscht. Die medialen Angriffe der DEGAM starteten leider ohne vorherigen Versuch der Kontaktaufnahme. Im Sinne eines seriösen und umfassenden Informationsprozesses können die einseitigen und zum Teil sachlich nicht haltbaren Argumentationen der DEGAM jedoch nicht unwidersprochen stehen bleiben. Die DEGAM kritisiert das Gesetz als „bürokratische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die ambulante Medizin, der schon jetzt die Zeit für das Wesentliche fehlt“. Selbst die geneigten Lesenden müssen sich bei dieser Formulierung die Frage stellen, wie aus Sicht der Allgemein- und Familienmedizin die Reduzierung von Herz-Kreislauf-Krankheiten, der mit Abstand häufigsten Todesursache in Deutschland, nicht zu den ebendiesem Wesentlichen zählen kann.

 

Weiter führt die DEGAM aus, es sei sinnvoller, die Anstrengungen auf die Verbesserung der Primärprävention zu richten. Alle dazu von der DEGAM vorgeschlagenen Maßnahmen finden die volle und begeisterte Zustimmung der DGK und wurden von ihr zum Teil selbst in der Stellungnahme gefordert. Es erschließt sich allerdings nicht, warum ausschließlich die Primärprävention verbessert werden sollte, wenn es an anderer Stelle ebenso hapert.

 

Im Sinne aller Patientinnen und Patienten das eine machen und das andere nicht lassen!

Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf werden zur schrillen Kritik an der DGK

 

Hier endet die Kritik der DEGAM an dem Gesetz und wird zur Kritik an der Stellungnahme der DGK und den Verfassenden. Die Rezeption der in der DGK-Stellungnahme zitierten Studien sei „unseriös“, es zeige sich das „lipidozentrische Weltbild der Verfassenden“ und die Position der DGK sei „kontrovers diskutiert“. Zeit, die Anschuldigungen zu belegen, nimmt sich die DEGAM nur eingeschränkt: lediglich auf 14 der 59 Quellenangaben wird eingegangen. „59 Zitationen suggerieren einen belastbaren Evidenzkorpus, beim genaueren Hinsehen zerfällt das Kartenhaus jedoch schnell“ verspricht die DEGAM in ihrer Antwort auf die DGK-Stellungnahme. Genaueres Hinsehen lohnt sich tatsächlich – lassen Sie uns dies anhand einiger Textstellen gemeinsam tun:

 

  1. Die DEGAM führt ein Cochrane-Review von Ebrahim et al.1 an, der die Wirksamkeit rechtzeitiger Prävention hinsichtlich der Vermeidung von Herz-Kreislauf-Krankheiten geringer einschätze als die von der DGK zitierten Studie und zudem ausschließlich auf Hypertonus und Diabetes fokussiere. Dies ist schlicht falsch, denn der Review geht sehr wohl auf die Cholesterinsenkung ein. Allerdings ist der Artikel von Ebrahim et al. an dieser Stelle etwas fehl am Platz, denn er untersuchte ausschließlich Studien zur Wirksamkeit von Beratung & Aufklärung hinsichtlich veränderter Lebensstilfaktoren, nicht jedoch hinsichtlich medikamentöser Prävention. Daraus eine Aussage über die Vermeidbarkeit von im Zusammenhang mit Hypercholesterinämie entstandenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen abzuleiten, ist mindestens unorthodox.
  2. Die zweite in dem Absatz zitierte Studie2 zeigt zwar, wie von der DEGAM richtig wiedergegeben, dass die geringste Sterblichkeit bei Menschen mit einem LDL-Cholesterin-Wert von 140 mg/dL auftritt, allerdings – und darauf geht die DEGAM in keinster Weise ein – gilt dies nur für die Gesamtpopulation und für Menschen, die keine Statine einnahmen. Für Betroffene, die bereits an Vorerkrankungen leiden und daher mit Statinen behandelt wurden, lag der ideale Wert mit der geringsten Sterblichkeit bei 89 mg/dL und damit deutlich darunter.
  3. Im darauffolgenden Absatz schlussfolgert die DEGAM aus der Erwähnung einer Studie zur Lipidsenkung durch die DGK auf das angeblich „lipidozentrische“ Weltbild der Autorinnen und Autoren. Mutet es nicht seltsam an, dass aus einer von 59 Quellen eine vermeintliche Weltanschauung abgeleitet wird?

  4. In den darauffolgenden Abschnitten ergeht sich die DEGAM vor allem in Kritik an den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und bezeichnet die Leitlinien als „kontrovers diskutiert“ und „kontrovers zitiert“. Diese angebliche Kontroverse wird allerdings nur von der DEGAM beziehungsweise von durch DEGAM-Vertreterinnen und -Vertreter dominierten Gremien geführt. In ganz Europa angewendete, durch ein internationales Expertengremium erstellte Leitlinien sollen hier durch eine unbelegte Behauptung diskreditiert werden.
  5. Die DEGAM unterstellt, die DGK würde suggerieren, dass nur hochpreisige PCSK9-Hemmer überhaupt zur Erreichung der Cholesterin-Zielwerte geeignet seien. In Wahrheit erwähnt die DGK ausdrücklich und namentlich altbewährte, kostengünstige und effektive Präparate. Dass diese nicht ausreichend wirksam seien, behauptet dann die DEGAM selbst. Diese Widersprüchlichkeit irritiert.
  6. Der interessanteste Teil der DEGAM-Antwort auf die DGK-Stellungnahme folgt schließlich in dem Absatz über die Früherkennung der Familiären Hypercholesterinämie (FH). Die DEGAM schreibt, es bleibe offen, welchen Vorteil die Betroffenen von einer Statin-Therapie hätten. Wie bereits oben erwähnt, geht die DEGAM in ihrer kritischen Stellungnahme nur auf die Literaturstellen 1 bis 14 der DGK-Stellungnahme ein. Um die Unklarheit hinsichtlich des Nutzens einer Statintherapie für die Betroffenen zu beseitigen, hätte sich ein Blick in Literaturangabe 18 gelohnt: Die dort zitierte Studie zeigt nicht nur, dass 50 % der an FH erkrankten Männer noch vor dem 50. Lebensjahr und 30 % der betroffenen Frauen vor dem 60. Lebensjahr eine KHK entwickeln, sondern auch, dass eine Statin-Therapie hochwirksam und das Mittel der Wahl ist.

Diskussion über Instrument zur kardiovaskulären Risikoabschätzung

 

In ähnlicher Weise setzt die DEGAM ihre Stellungnahme und die aggressive Kritik an der DGK fort, die darin gipfelt, den ausschließlich von Hausärzt:innen verwendeten Arriba-Score als das zur kardiovaskulären Risikoabschätzung etablierte Instrument hervorzuheben, den europaweit verwendeten SCORE2 jedoch unbegründet zu verwerfen. Schaut man in die Literaturangabe zu Arriba, die die DEGAM selbst angibt3, so liest man auf Seite 10, dass für Arriba lediglich der Empfehlungsgrad B vorliegt, der Level of Evidence mit der niedrigsten Stufe „Good Clinical Practice“ angegeben ist und das Ergebnis des Konsensusverfahrens zur Empfehlung zugunsten von Arriba „Kein Konsens“ lautete, was bedeutet, dass weniger als 50 % der beteiligten Autorinnen und Autoren dieser Empfehlung zustimmten. Die DEGAM jedoch bevorzugt Arriba gegenüber dem SCORE2, der auf Grundlage von 45 Studien aus 13 Ländern mit 670.000 Teilnehmenden entwickelt und europaweit von kardiologischen Expertinnen und Experten angewendet wurde.

Patienteninteresse im Mittelpunkt

 

Für ihre abschließende Zusammenfassung liefert die DEGAM gar keine Quellenangaben mehr, entwirft aber fantasievoll ein düsteres Schreckensbild, das als Konsequenz der „von der DGK befürworteten Regelungen“ drohen würde. Angesichts des ernsten Themas – es geht schließlich um die Reduktion der Todesursache Nummer 1 und der um 2 Jahre kürzeren Lebenserwartung in Deutschland im Vergleich zu allen anderen westeuropäischen Ländern – und dem gemeinsamen Ziel, die bestmögliche Versorgung unserer Patientinnen und Patienten zu erreichen, halten wir ein in dieser Form populistisches Vorgehen für unangebracht und rufen die Vertreterinnen und Vertreter der DEGAM zur Rückkehr zu einem kollegialen, fairen und zielgerichteten Diskurs auf, an dem wir uns gern beteiligen.


Referenzen

 

  1. Ebrahim, S. Et al. (2011). Multiple risk factor interventions for primary prevention of coronary heart disease. DOI: 10.1002/14651858.CD001561.pub3.
  2. Lindhardt Johannesen, C. D. (2020). Association between low density lipoprotein and all cause and cause specific mortality in Denmark: prospective cohort study. DOI: 10.1136/bmj.m4266
  3. https://www.degam.de/files/Inhalte/Leitlinien-Inhalte/Dokumente/DEGAM-S3-Leitlinien/053-024_Risikoberatung%20kardiovaskul.%20Praevention/oeffentlich/053-024l_Haus%C3%A4rztliche_Risikoberatung_kardivaskul%C3%A4re_Praevention_29-08-2018.pdf

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