Übergewicht ist einer der größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mit dem Wirkstoff Semaglutid ist seit 2022 ein Medikament in der EU zugelassen, das beim Abnehmen hilft und große Erfolge erzielt. In der kürzlich im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ veröffentlichten SELECT-Studie, die vom Hersteller Novo Nordisk finanziert wurde, zeigt sich jetzt, dass die Abnehm-Spritze einen nachweislich positiven Effekt auf die Herzgesundheit hat. Semaglutid, das zu den Glucagon-like Peptide-1-Agonisten (GLP-1 Agonisten) zählt, reduziert das Risiko schwerer Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas um 20 Prozent, auch wenn diese nicht an Diabetes erkrankt sind.
Ursprünglich wurde das Medikament für Patientinnen und Patienten mit Diabetes Typ 2 entwickelt, da es den Blutzuckerspiegel senkt und die Insulinproduktion ankurbelt. Seit 2022 ist es in einer höheren Dosierung von 2,4 Milligramm auch als Abnehm-Medikament zugelassen. Zuletzt hatten Studien mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen, die unter Typ-2-Diabetes litten, bereits darauf hingewiesen, dass das Medikament einen positiven Effekt auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben kann.
Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall durch Semaglutid deutlich gesenkt
Für die SELECT-Studie untersuchte das Forscherteam nun Patienten und Patientinnen, die älter als 44 Jahre waren und sowohl unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litten als auch einen Body-Mass-Index von mehr als 26 hatten, jedoch keine Diabetiker oder Diabetikerinnen waren. Eine Studiengruppe mit 8.803 Teilnehmenden erhielt einmal wöchentlich eine Semaglutid-Spritze, eine zweite Gruppe mit 8.801 Teilnehmenden bekam eine Placebo-Spritze. Nach durchschnittlich 39,8 Monaten zeigte sich, dass die Gabe von Semaglutid deutlich das Risiko senkte, einen nicht-tödlichen Herzinfarkt oder einen nicht-tödlichen Schlaganfall zu erleiden oder aufgrund eines Herz-Kreislauf-Problems zu versterben.
„Es handelt sich hierbei um eine herausragende Studie, die erstmals an 17.600 Patienten untersucht, ob 2,4 Milligramm Semaglutid pro Woche bei Patienten mit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung und Übergewicht, aber ohne Diabetes, kardiovaskuläre Ereignisse reduziert“, ordnet Prof. Andreas Zeiher, Außerordentlicher Professor für Kardiologie an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, ein.
Auch Prof. Stefan Störk, Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik I sowie Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz am Universitätsklinikum Würzburg, ist von den Studienergebnissen überzeugt: „Die multizentrische, global durchgeführte SELECT-Studie stellt einen Meilenstein für die Versorgung von Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko und Übergewicht dar.“
Studien-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen verloren etwa 15 Prozent Gewicht
Prof. Alexander Bartelt, Leiter der Forschungsgruppe für Kardiovaskulären Stoffwechsel am Klinikum der Universität München (LMU), erklärt: „Die Behandlung von übergewichtigen Patienten ohne Diabetes mit Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen mit Semaglutid für circa drei Jahre hat dazu geführt, dass die Patienten etwa 15 Prozent ihres Gewichts verloren haben und circa 20 Prozent weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte erlitten – und das, ohne dass schwere Nebenwirkungen auftraten.“ Die Therapie liefere für Patienten und Patientinnen sehr gute Ergebnisse: „Insgesamt verbessert die Behandlung und die damit verbundene Gewichtsreduktion den Stoffwechsel und reduziert damit kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Blutfette, Blutdruck und Entzündungsmediatoren.“ Sie sei deshalb eine bessere Option für Patienten und Patientinnen, um erstmal eine große Menge Gewicht zu verlieren. „Im Anschluss kann der Lebenswandel unterstützen, das neue Gewicht zu halten“, betont Prof. Bartelt.
Kaum schwere Nebenwirkungen, aber häufig Magen-Darm-Beschwerden
So erfreulich die Ergebnisse der Studie auch sind, bei den Nebenwirkungen zeigte sich: „Etwa ein Viertel aller Studienteilnehmer brach die SELECT-Studie vorzeitig ab, wobei die Abbruchrate aufgrund unerwünschter Ereignisse im Semaglutid-Arm mit 16 Prozent etwa doppelt so hoch war wie in der Placebo-Gruppe“, sagt Prof. Stefan Störk. Der Grund: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen litten vor allem unter Nebenwirkungen, die den Magen-Darm-Trakt betrafen.
„Akutes Nierenversagen oder Pankreatitiden waren in ihrer Häufigkeit nicht unterschiedlich in den Gruppen, Gallenblasen-bezogene Ereignisse jedoch höher mit 2,8 Prozent versus 2,3 Prozent in der Semaglutid-Gruppe“, erklärt Prof. Andreas Zeiher und ordnet ein: „Diese Nebenwirkungsprofil ist für GLP-1-Agonisten bekannt.“
Semaglutid als möglicher „Game Changer“ in der Vorsorge
Insgesamt seien die Studienergebnisse vergleichbar mit den Ergebnissen aus den Diabetes-Studien für Semaglutid: „Dieses Therapie-Prinzip könnte somit in der Tat ein sogenannter ‚Game Changer‘ in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen werden, bei denen Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor ist“, so Prof. Zeiher. Eine Herausforderung sehen die Mediziner allerdings bei der Zeitspanne, in der die Wirkung des Medikaments anhält. Denn: Sobald das Medikament abgesetzt wird, nehmen die Patienten und Patientinnen wieder zu.
Prof. Stefan Störk erklärt: „Die Effekte einer – eventuell lebenslangen – Therapie mit Semaglutid und gegebenenfalls dann auftretenden Langzeitnebenwirkungen sind noch nicht bekannt. Aktuell lässt sich jedoch konstatieren, dass die Gabe von Semaglutid für übergewichtige Menschen eine akzeptable Methode zur effektiven Gewichtsreduktion darstellt, die sich in günstige Mortalitäts- und Morbiditätseffekte übersetzt.“