Patientin erzählt: So viel Leben ist mit einem Herzschrittmacher möglich

Es dauerte mehrere Jahre, bis bei Carina Hilfenhaus die Ursache für ihre plötzlichen Herzstillstände entdeckt wurde: ein sogenanntes Sick-Sinus-Syndrom. Sie bekam einen Herzschrittmacher implantiert. Nach vielen Ängsten und Unsicherheiten, was mit dem Gerät in der Brust überhaupt noch möglich ist, betrachtet sie es heute als Chance – und will anderen Betroffenen Mut machen.

Von Kerstin Kropac

 

30.08.2023

 

Bildquelle (Bild oben): iStock / mixetto

Carina Hilfenhaus war gerade auf dem Flug von Ägypten zurück nach Deutschland. Ihre anderthalbjährige Tochter schlief ruhig auf ihrem Schoß. Da geschah es das erste Mal. „Auf einmal merkte ich, dass mir komisch wurde“, erzählt die junge Mutter. „Ich habe zu meiner Schwester geguckt, konnte aber nichts mehr sagen. Dann ließ ich meine Tochter fallen – und alles wurde schwarz.“ Damals war Carina Hilfenhaus 25 Jahre alt.

 

Die gleichaltrige Medizinstudentin Maike Kellner saß ein paar Reihen hinter Carina Hilfenhaus. Sie sah, wie die Frau aus dem Sitz rutschte. Kurz darauf kam der Aufruf des Stewards: „Ist medizinisches Personal an Bord?“ Maike Kellner hatte gerade ein Praktikum in der Notfallmedizin absolviert. Sie stand sofort auf. „Frau Hilfenhaus war komplett blau angelaufen, bewegte sich nicht, atmete nicht mehr“, erzählt Maike Kellner. Ein plötzlicher Herzstillstand. „Ich hatte zwar schon mehrere Menschen reanimiert, aber immer in der Krankenhaussituation – mit einem Team, das mich unterstützt hat, mit Geräten, die ich kannte.“ Sie bat den Steward, noch einen weiteren Aufruf zu starten, auf den sich dann eine deutsche Ärztin meldete. Nun waren die Helferinnen zu zweit.

 

Carina Hilfenhaus erwachte, als eine deutsche Frauenstimme sagte: „Wir haben wieder einen Puls.“ Die junge Mutter sah, dass sie in der kleinen Flugzeug-Bordküche auf dem Fußboden lag. Auf ihrer Brust klebten die Elektroden des Defibrillators, mit dem sie gerade von Maike Kellner reanimiert worden war. „Ich wollte danach eigentlich nur noch nach Hause“, sagt Carina Hilfenhaus. Der Pilot fragte die Medizinstudentin: „Zwischenlanden oder weiterfliegen?“ Maike Kellner entschied sich für die Zwischenlandung. „Und das war sicher auch die richtige Entscheidung, denn kurz vor der Landung verlor Frau Hilfenhaus schon wieder das Bewusstsein.“

 

Rätsel um den Grund für den plötzlichen Herzstillstand

Carina Hilfenhaus hatte noch nie zuvor Probleme mit dem Herz gehabt, daher konnte sie sich den Herzstillstand überhaupt nicht erklären. Während ihre Retterin, die aufgewühlte Medizinstudentin, und Carinas Schwester mit der kleinen Nichte auf dem Schoß weiter nach Deutschland flogen, wurde die junge Mutter mit Blaulicht in ein Budapester Krankenhaus eingeliefert. Doch die Ärztinnen und Ärzte konnten keine Ursache für den Herzstillstand feststellen – alle Werte waren unauffällig. „Nach einem Tag haben sie mich in ein Taxi gesetzt, das mich zum Flughafen brachte. Und da stand ich dann – ohne Schuhe, ohne Geld, ohne alles“, erinnert sich die junge Mutter. „Und meine Familie in Deutschland hatte keine Ahnung: Lebe ich noch? Lebe ich nicht mehr? Das war wirklich hart.“

 

Eine Ohnmacht (Synkope) kann verschiedene Ursachen haben: Sie kann durch eine Fehlfunktion des vegetativen Nervensystems oder einen plötzlichen Blutdruckabfall ausgelöst werden. Sie kann aber auch die Folge verschiedener Herzerkrankungen sein. Obwohl Carina Hilfenhaus eine Arzt-Odyssee startete, fand keiner eine Erklärung für ihren plötzlichen Herzstillstand. „Irgendwann habe ich wieder angefangen zu leben, habe geheiratet, ein Haus gebaut“, erzählt die Pflegewissenschaftlerin. „2014 habe ich sogar eine Firma, einen ambulanten Pflegedienst, gegründet.“ Die Angst vor einem weiteren Vorfall war seitdem ihr ständiger Begleiter. Vier Jahre lang passierte nichts. Dann, in einer Teamsitzung, spürte sie, wie ihr Schreibblock auf den Oberschenkel sackte. „Ich hatte das gleiche Gefühl wie im Flugzeug und dachte: ‚Nein, das kann nicht wahr sein!‘“ Die Unternehmerin wollte noch zum Balkon laufen, um frische Luft zu schnappen – aber so weit kam sie nicht mehr. Sie fiel in Ohnmacht. Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie zwei Sanitäter über sich, die sagten: „Wir nehmen Sie jetzt mit ins Krankenhaus.“

Carina Hilfenhaus. Carina Hilfenhaus leidet am sogenannten Sick-Sinus-Syndrom, lebt heute mit einem Herzschrittmacher. Bildquelle: privat

Die Herzpatientin entschied sich für den Herzschrittmacher

Im Krankenhaus war der Arzt gerade dabei, der jungen Frau zu erklären, dass Ohnmachtsanfälle auch psychisch bedingt auftreten könnten – da passierte es wieder: Carina Hilfenhaus erlebte einen erneuten Herzstillstand. Mitten im Gespräch. Die junge Mutter hörte, wie der Arzt brüllte: „Ein Notfall, ein Notfall!“ Dann spürte die mittlerweile 29-Jähringe ein unglaublich warmes Gefühl, das für sie in diesem Moment alles auf der Welt in den Schatten stellte. „Es war warm, es war frei. Unbeschreiblich. Wie die reine Seele.“ Sie hatte eine Nahtoderfahrung. Doch dem Arzt gelang es, sie zu reanimieren. Und: Er fand endlich auch die Ursache für die Herzaussetzer.

 

Carina Hilfenhaus leidet am sogenannten Sick-Sinus-Syndrom, das dazu führt, dass der Sinusknoten, der Taktgeber des Herzens, seine Arbeit einstellt. Dadurch kann es immer wieder zu Herzstillständen kommen. Der Arzt riet ihr sofort zu einem Herzschrittmacher. „Ich hatte meinen Mann, meine kleine Tochter – natürlich habe ich mich dafür entschieden“, sagt sie. „Ich wollte ja leben.“ Doch gerade die erste Zeit nach der Implantation des Herzschrittmachers war geprägt von Unsicherheiten.

 

Wie ist das Leben mit einem Herzschrittmacher?

„Wir hatten zum Beispiel einen tollen neuen Induktionsherd gekauft. Da uns aber keiner sicher sagen konnte, ob der den Herzschrittmacher stören könnte, haben wir ihn wieder ausgebaut“, erzählt Carina Hilfenhaus. Sie erfuhr, dass diese kleinen Namensschilder mit Magnetverschluss, die sie schon oft auf Messen getragen hatte, ihren Herzschrittmacher stören könnten. In den Sicherheitsschleusen von Kaufhäusern durfte sie nicht mehr stehenbleiben. Im Freizeitpark konnte sie mit ihrer Tochter nicht mehr Achterbahnfahren. Und auch ihren Sport, in dem sie seit ihrer Kindheit erfolgreich war, musste sie aufgeben. „Beim Tennisspielen bestand die Gefahr, dass bei einer schnellen Aufschlagbewegung die Elektroden aus dem Herz gezogen werden oder sogar brechen könnten“, erzählt sie. Plötzlich war die junge Frau ständig in Hab-Acht-Stellung. „Darf ich das noch? Oder ist das gefährlich?“

 

Viele Menschen mit schweren Herzerkrankungen verlieren das Vertrauen in ihr Herz und entwickeln psychische Probleme – Depressionen, Ängste oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Carina Hilfenhaus stürzte sich erst einmal zur Ablenkung in die Arbeit. Nur zwei Tage nach der Herzschrittmacher-OP saß die Unternehmerin schon wieder im Büro. Im Sommer 2017 folgte dann der nächste Paukenschlag: Bei der jungen Mutter wurde eine schwere neurologische Erkrankung festgestellt. Und Ende 2019 bekam ihr Mann eine Krebs-Diagnose. „Ich hatte noch nie so viel Angst vor dem Leben wie in diesem Moment“, sagt sie. „Nicht vor dem Tod – nur vor dem Leben! Da habe ich in den Himmel geguckt und gesagt: Wenn mein Mann das überlebt, dann verändere ich mein Leben.“ Und ihr Mann hat überlebt. Carina Hilfenhaus hat ihr Versprechen eingelöst und ihr Leben neu ausgerichtet.

 

„Ein langes Leben mit meinem Herzschrittmacher“

Carina Hilfenhaus fing an, sich mit gesunder Ernährung zu beschäftigen, sie begann zu laufen, setzte nie wieder einen Fuß in ihre Firma und trennte sich von Menschen, die ihr nicht guttaten. „So habe ich mich Stück für Stück in Richtung Gesundheit bewegt“, sagt sie. Und irgendwann wusste Carina Hilfenhaus, was sie künftig tun wollte: „Ich habe bei meinen Krankenhausaufenthalten viele junge Menschen getroffen, die auch mit einem Herzschrittmacher leben müssen und verunsichert sind. Vielleicht ist es meine Aufgabe, ihnen zu zeigen, wie viel Leben auch mit einem Herzschrittmacher möglich ist. Weil ich neugierig bin und mich nicht zu Hause auf die Couch setze und sage: „Du hast das alles überlebt – jetzt hast du Ruhe verdient.“ Stattdessen hatte ich erkannt: Meine Krankheit ist keine Bürde, sondern ein Geschenk. Eine große Chance.“

 

Bei Spitzensportlern kann der Puls auf 190 oder 200 Schläge pro Minute ansteigen – bei Trägerinnen und Trägern von Herzschrittmachern ist ein so hoher Puls unmöglich. „Der Schrittmacher drosselt automatisch runter. Das ist wie eine Leine, die einen plötzlich zurückzieht“, sagt Carina Hilfenhaus. Trotzdem wollte sie sich – unterstützt von ihrem Kardiologen – einer großen sportlichen Herausforderung stellen: Sie plante eine fünftägige Radtour über die Alpen. Mit Tagesetappen, an denen sie über 1.500 Höhenmeter überwinden und 80 bis 100 Kilometer fahren wollte. Im Herbst 2021 schaffte sie ihre große Challenge: in vier Tagen 370 Kilometer und 3.700 Höhenmeter mit dem Rad. „Ich habe es geschafft, meine Krankheit und meine Geschichte anzunehmen“, sagt Carina Hilfenhaus. „Heute bin ich sehr dankbar dafür, dass ich beim zweiten Herzstillstand nicht gegangen bin. Denn jetzt kann ich ein langes Leben führen. Mit meinem Herzschrittmacher.“

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