Die Herzpatientin entschied sich für den Herzschrittmacher
Im Krankenhaus war der Arzt gerade dabei, der jungen Frau zu erklären, dass Ohnmachtsanfälle auch psychisch bedingt auftreten könnten – da passierte es wieder: Carina Hilfenhaus erlebte einen erneuten Herzstillstand. Mitten im Gespräch. Die junge Mutter hörte, wie der Arzt brüllte: „Ein Notfall, ein Notfall!“ Dann spürte die mittlerweile 29-Jähringe ein unglaublich warmes Gefühl, das für sie in diesem Moment alles auf der Welt in den Schatten stellte. „Es war warm, es war frei. Unbeschreiblich. Wie die reine Seele.“ Sie hatte eine Nahtoderfahrung. Doch dem Arzt gelang es, sie zu reanimieren. Und: Er fand endlich auch die Ursache für die Herzaussetzer.
Carina Hilfenhaus leidet am sogenannten Sick-Sinus-Syndrom, das dazu führt, dass der Sinusknoten, der Taktgeber des Herzens, seine Arbeit einstellt. Dadurch kann es immer wieder zu Herzstillständen kommen. Der Arzt riet ihr sofort zu einem Herzschrittmacher. „Ich hatte meinen Mann, meine kleine Tochter – natürlich habe ich mich dafür entschieden“, sagt sie. „Ich wollte ja leben.“ Doch gerade die erste Zeit nach der Implantation des Herzschrittmachers war geprägt von Unsicherheiten.
Wie ist das Leben mit einem Herzschrittmacher?
„Wir hatten zum Beispiel einen tollen neuen Induktionsherd gekauft. Da uns aber keiner sicher sagen konnte, ob der den Herzschrittmacher stören könnte, haben wir ihn wieder ausgebaut“, erzählt Carina Hilfenhaus. Sie erfuhr, dass diese kleinen Namensschilder mit Magnetverschluss, die sie schon oft auf Messen getragen hatte, ihren Herzschrittmacher stören könnten. In den Sicherheitsschleusen von Kaufhäusern durfte sie nicht mehr stehenbleiben. Im Freizeitpark konnte sie mit ihrer Tochter nicht mehr Achterbahnfahren. Und auch ihren Sport, in dem sie seit ihrer Kindheit erfolgreich war, musste sie aufgeben. „Beim Tennisspielen bestand die Gefahr, dass bei einer schnellen Aufschlagbewegung die Elektroden aus dem Herz gezogen werden oder sogar brechen könnten“, erzählt sie. Plötzlich war die junge Frau ständig in Hab-Acht-Stellung. „Darf ich das noch? Oder ist das gefährlich?“
Viele Menschen mit schweren Herzerkrankungen verlieren das Vertrauen in ihr Herz und entwickeln psychische Probleme – Depressionen, Ängste oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Carina Hilfenhaus stürzte sich erst einmal zur Ablenkung in die Arbeit. Nur zwei Tage nach der Herzschrittmacher-OP saß die Unternehmerin schon wieder im Büro. Im Sommer 2017 folgte dann der nächste Paukenschlag: Bei der jungen Mutter wurde eine schwere neurologische Erkrankung festgestellt. Und Ende 2019 bekam ihr Mann eine Krebs-Diagnose. „Ich hatte noch nie so viel Angst vor dem Leben wie in diesem Moment“, sagt sie. „Nicht vor dem Tod – nur vor dem Leben! Da habe ich in den Himmel geguckt und gesagt: Wenn mein Mann das überlebt, dann verändere ich mein Leben.“ Und ihr Mann hat überlebt. Carina Hilfenhaus hat ihr Versprechen eingelöst und ihr Leben neu ausgerichtet.
„Ein langes Leben mit meinem Herzschrittmacher“
Carina Hilfenhaus fing an, sich mit gesunder Ernährung zu beschäftigen, sie begann zu laufen, setzte nie wieder einen Fuß in ihre Firma und trennte sich von Menschen, die ihr nicht guttaten. „So habe ich mich Stück für Stück in Richtung Gesundheit bewegt“, sagt sie. Und irgendwann wusste Carina Hilfenhaus, was sie künftig tun wollte: „Ich habe bei meinen Krankenhausaufenthalten viele junge Menschen getroffen, die auch mit einem Herzschrittmacher leben müssen und verunsichert sind. Vielleicht ist es meine Aufgabe, ihnen zu zeigen, wie viel Leben auch mit einem Herzschrittmacher möglich ist. Weil ich neugierig bin und mich nicht zu Hause auf die Couch setze und sage: „Du hast das alles überlebt – jetzt hast du Ruhe verdient.“ Stattdessen hatte ich erkannt: Meine Krankheit ist keine Bürde, sondern ein Geschenk. Eine große Chance.“
Bei Spitzensportlern kann der Puls auf 190 oder 200 Schläge pro Minute ansteigen – bei Trägerinnen und Trägern von Herzschrittmachern ist ein so hoher Puls unmöglich. „Der Schrittmacher drosselt automatisch runter. Das ist wie eine Leine, die einen plötzlich zurückzieht“, sagt Carina Hilfenhaus. Trotzdem wollte sie sich – unterstützt von ihrem Kardiologen – einer großen sportlichen Herausforderung stellen: Sie plante eine fünftägige Radtour über die Alpen. Mit Tagesetappen, an denen sie über 1.500 Höhenmeter überwinden und 80 bis 100 Kilometer fahren wollte. Im Herbst 2021 schaffte sie ihre große Challenge: in vier Tagen 370 Kilometer und 3.700 Höhenmeter mit dem Rad. „Ich habe es geschafft, meine Krankheit und meine Geschichte anzunehmen“, sagt Carina Hilfenhaus. „Heute bin ich sehr dankbar dafür, dass ich beim zweiten Herzstillstand nicht gegangen bin. Denn jetzt kann ich ein langes Leben führen. Mit meinem Herzschrittmacher.“