Wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Deutsche sterben früher

Die Lebenserwartung der Deutschen steigt kontinuierlich. Doch im Vergleich mit anderen Ländern steht Deutschland schlecht da – weil nicht genug gegen Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen getan wird.

Von Sven Stein

 

11.05.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock / magicmine

Schlechte Platzierung für Deutschland! In einem internationalen Vergleich der durchschnittlichen Lebenserwartung landeten die Deutschen weit hinten. Der Grund: Im Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der häufigsten Todesursache, ist Deutschland deutlich weniger erfolgreich als andere Länder. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) sieht sich durch die Studie in ihrer Kritik an Versäumnissen bei Vorsorge, Früherkennung und Notfall-Maßnahmen bestätigt.

Höhere Lebenserwartung in Schweiz und Spanien

Für die Studie verglichen Forscherinnen und Forscher die durchschnittliche Lebenserwartung in 16 westeuropäischen Ländern, aufgeteilt nach den Geschlechtern. Das erschreckende Ergebnis: Bei den Frauen landete Deutschland nur auf Rang 14, bei den Männern sogar nur auf dem 15. Platz. Männer werden in Deutschland im Schnitt 78,8 Jahre alt, leben laut der Studie mehr als drei Jahre kürzer als die Schweizer. Die kamen mit durchschnittlich 81,9 Jahren auf Platz 1, gefolgt von den schwedischen Männern mit 81,4 Jahren.

Bei den Frauen haben die Spanierinnen mit 86,2 Jahren die längste Lebenserwartung, gefolgt von Französinnen und Schweizerinnen mit jeweils 85,6 Jahren. Die deutschen Frauen liegen mit 83,5 Jahren klar dahinter.

Defizite bei Vorsorge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Warum stehen andere Länder so viel besser da als Deutschland? Die Forscherinnen und Forscher verglichen die Todesursachen in sechs ausgewählten Ländern miteinander. Dabei stellten sie fest: In Deutschland sterben mehr Frauen über 65 Jahren an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung als in anderen Ländern. Und die deutschen Männer erleiden früher als in anderen Ländern eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, an der sie sterben. Schon ab 50 Jahren sinkt ihre Lebenserwartung im statistischen Vergleich zu anderen Ländern, weil die Sterbezahlen zwischen 50 und 65 Jahren erhöht sind.

„Dass Deutschland bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zurückliegt, ist Anlass zur Sorge, da diese heutzutage als weitgehend vermeidbar gelten“, erklärt Pavel Grigoriev, Mortalitätsforscher am BiB und einer der Autoren der Studie. Offenbar gebe es ausgerechnet bei der Vorsorge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland Defizite. Und durch eine zu späte Diagnose der Krankheiten werde eine erfolgreiche Behandlung schwieriger. „Unsere Analysen verdeutlichen den Nachholbedarf, den Deutschland in diesem Bereich hat“, ergänzt Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am BiB.

Nationale Herz-Allianz will bessere Diagnostik, Vorsorge und Aufklärung

Die DKG weist seit Jahren auf eine ganze Reihe von Versäumnissen hin, die zu der vergleichsweise niedrigen Lebenserwartung der Deutschen führen. Viele Punkte betreffen dabei Probleme in der Vorsorge. Einige Beispiele:

 

  • Nicht einmal jede fünfte Patientin und Patient mit einem hohen Risiko einer Gefäßverkalkung (Atherosklerose) wird so behandelt, dass die gewünschten Zielwerte beim LDL-Cholesterin erreicht werden.
  • Es gibt bislang keine regelmäßigen Herz-Check-Ups ab 50 Jahren, etwa um Bluthochdruck rechtzeitig zu erkennen.
  • Auch auf eine Herzschwäche wird nicht standardmäßig untersucht, obwohl die Erkrankung mit etwa vier Millionen Betroffenen zu den Volkskrankheiten gehört. Daher kommen auf einen identifizierten Fall mindestens genauso viele Patientinnen und Patienten, die unerkannt bleiben.
  • Und nicht einmal fünf Prozent der Menschen mit einer familiären Hypercholesterinämie werden frühzeitig entdeckt, weil es dazu keine standardmäßige Untersuchung im Kindesalter gibt.

Auch bei den Notfall-Maßnahmen sieht die DGK deutliche Defizite in Deutschland:

 

  • Viele Menschen wären nicht bereit, im Notfall bei einer fremden Person eine Wiederbelebung durchzuführen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland hier nur im unteren Drittel.
  • Obwohl es in den Leitlinien zur Behandlung empfohlen wird, werden Laien viel zu selten von Rettungsleitstellen telefonisch dabei unterstützt, bis zum Eintreffen von Notärztin oder Notarzt eine Wiederbelebung durchzuführen.
  • Außerdem werden geschulte Ersthelfer viel zu selten (weniger als 5 Prozent der Fälle) per App zu einem nahegelegenen Notfall gerufen, um den betroffenen Menschen wiederzubeleben.   

Die DGK setzt sich daher im Rahmen der von ihr initiierten Nationalen Herz-Allianz gegenüber politischen Entscheidern und Kostenträgern dafür ein, dass auch in Deutschland ein Masterplan für kardiovaskuläre Gesundheit etabliert wird. Der soll künftig eine merklich bessere Diagnostik, Vorsorge sowie Aufklärung von Patientinnen und Patienten sichern. Die oben genannten beispielhaften Maßnahmen könnten bei flächendeckender Umsetzung die Überlebensrate bei plötzlichem Herztod in Deutschland massiv erhöhen.

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