Viele Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche wollen ihre Depression überwinden
Die Ziele der Herzkranken sind sehr unterschiedlich – manche sagen: ‚Ich möchte im kommenden Jahr auf der Hochzeit meines Enkels tanzen.‘ Ganz häufig ist das Ziel: ‚Ich möchte einfach nur ein bisschen fitter werden.‘ Und viele sagen: ‚Ich möchte meine Depression in den Griff bekommen.‘ Die Patientinnen und Patienten sollen ihre Ziele selbst finden und sich überlegen: ‚Was möchte ich erreichen? Wie kann ich das schaffen? Und warum könnte das vorteilhaft für mein Leben sein?‘ „Dann ermuntere ich sie, sich vorzustellen, wie es wird, wenn sie ihr Ziel erreicht haben“, sagt die ausgebildete Krankenschwester. „Es ist ganz entscheidend, dass sie eine eigene Motivation entwickeln und keinen Push von außen brauchen – also niemanden, der sie ermahnt, mit dem Rauchen aufzuhören, endlich abzunehmen und sich mehr zu bewegen.“
Wie lassen sich psychische Probleme wegen der Herzkrankheit lösen?
„Wenn jemand sagt, er wolle seine Depression in den Griff bekommen, dann erkläre ich: ‚Das ist eine Leitersprosse, die liegt so hoch – selbst wenn man sich streckt, kommt man da nicht gleich ran‘“, sagt Cornelia Regner. „Stattdessen versuchen wir, gemeinsam kleine Sprossen dazwischen zu bauen. Wir haben schon mit Entspannungstechniken gearbeitet. Oder ich habe dabei geholfen, einen Muskelrelaxations-Kurs zu finden.“ Einige Herzkranke haben auch Meditations-Apps ausprobiert und dort erfolgreich gelernt, zu entspannen. „Dann merken sie, dass es ihnen schon ein bisschen besser geht“, sagt die Study Nurse. „Und bei Bedarf unterstützen wir auch dabei, psychotherapeutische Hilfe zu finden, wenn das gewünscht ist.“
Wie hilft die ESCAPE-Studie, selbstgesteckte Ziele zu erreichen?
Einigen Menschen fällt die Umsetzung ihrer selbstgesteckten Ziele wahnsinnig schwer. „Ein Patient, der früher Marathonläufer war, kann natürlich mehr machen: Er ist auch motivierter, das merkt man von Anfang an“, sagt Cornelia Regner. Für andere ist es schon ein großer Schritt, jeden Tag fünf Minuten vor die Tür zu gehen. „Bisher ist aber meine Erfahrung, dass jede Patientin und jeder Patient irgendwas hat, wo man ansetzen kann.“ Mal steht irgendwo noch ein verstaubtes Ergometer in der Ecke, auf dem manchmal Wäsche trocknet. Andere haben in der Physiotherapie mal Übungen gezeigt bekommen und waren bislang nur zu faul, sie zu machen. „Und dann fängt man ganz langsam an – und ganz individuell“, erzählt die Behandlungsassistentin. „Das erste Ziel könnte zum Beispiel sein, das Ergometer einmal aus der Ecke zu holen und abzustauben. Das wirkt schon motivierend, beim nächsten Telefonat das erste Ziel geschafft zu haben. Darauf sind alle stolz.“ Und so begleitet sie die Patientinnen und Patienten Schritt für Schritt zum persönlichen Erfolg.
Durch die erlebte Selbstwirksamkeit erlangen die Betroffenen wieder ein Gefühl von Kontrolle über ihr Leben und ihre Erkrankung. „Für mich ist es jedes Mal schön, zu sehen, wie die Herzkranken allmählich wieder ins Tun kommen“, sagt Cornelia Regner. „Ich finde dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit, das diese Menschen erleben, sehr wichtig. Wenn man sie nach zwei Wochen anruft und sie haben es geschafft, ihren Plan zwei Wochen lang durchzuziehen, dann wird das am Telefon wirklich gefeiert.“ Der Behandlungsassistentin ist es wichtig, diesen Menschen klarzumachen, dass sie es allein geschafft haben. „Und ich sage ihnen: ‚Wenn Sie das jetzt geschafft haben, dann können Sie auch noch viel mehr erreichen.‘“
Wie hilft die ESCAPE-Studie, die Lebensqualität von Menschen mit Herzschwäche zu verbessern?
Um die Lebensqualität der Menschen mit Herzschwäche zu verbessern, ist eine umfassende Betreuung nötig. Die Herzkranken sollen nicht nur aktiver werden, sie sollen auch eine gewisse Gesundheitskompetenz erlangen. „Zum Beispiel sollen sie verstehen, was ihre Krankheit bedeutet – und dass sie auf deren Entwicklung Einfluss nehmen können“, sagt Cornelia Regner. „Sie sollen lernen, regelmäßig ihren Blutdruck zu messen und sich zu wiegen – das ist gerade bei der Herzschwäche sehr wichtig, um schnell auf eine Verschlechterung reagieren zu können.“ Manchmal sagen die Herzkranken: ‚Das weiß ich doch alles schon: Ich soll mich gesund ernähren und mich viel bewegen.‘ Aber vielen scheint nicht bewusst zu sein, wie wichtig das ist: Wenn ein Betroffener aufhört zu rauchen, sich bewegt und gesund ernährt, kann er eine Herzschwäche günstig beeinflussen und die eigene Lebensqualität verbessern.
Schaffen es Herzkranke in der ESCAPE-Studie, mit dem Rauchen aufzuhören?
Wenn jemand sagt: ‚Sie müssen aufhören zu rauchen!‘, dann hilft das selten. „Will ein Betroffener das nicht, wird er es nicht tun“, sagt Cornelia Regner. „Oft höre ich: ‚Helmut Schmidt hat auch geraucht und ist über 90 geworden.‘ Ich antworte dann meist: ‚Natürlich können Sie weiter rauchen, aber es muss Ihnen klar sein, dass es sich schlecht auf Ihre Erkrankung auswirkt.‘“ Die Behandlungsassistentin versucht in solchen Fällen woanders anzusetzen: bei der gesünderen Ernährung oder mehr Bewegung. Manchmal schaffen es die Raucher zumindest, ihren Konsum um drei Zigaretten am Tag zu reduzieren. Cornelia Regner setzt auf kleine Schritte ... Dasselbe gilt für den Genuss von Alkohol: Manche sagen: ‚Es gehört für mich zur Lebensqualität, jeden Abend drei Gläser Wein zu trinken.‘ „Denen erkläre ich auch, warum das nicht gut ist“, sagt Cornelia Regner. „Trotzdem muss man immer bedenken: Das sind ältere Menschen, die sehr krank sind und vielleicht nicht mehr viele Jahre vor sich haben. Da ist die Lebensqualität auch entscheidend.“ Sie versucht in der Betreuung, einen guten gemeinsamen Weg zu finden. Und wenn sie gar nicht weiterkommt, fragt sie ihr Göttinger Team von der ESCAPE-Studie um Rat.
Wer gehört zum Team der ESCAPE-Studie?
„An der Universitätsmedizin Göttingen haben wir ein tolles Experten-Team, mit dem wir uns einmal wöchentlich zusammensetzen“, erklärt die Behandlungsassistentin. „Das sind Ärztinnen und Ärzte aus allen Fachrichtungen: aus der Kardiologie, Psychosomatik, Allgemeinmedizin, Pharmakologie oder Nephrologie.“ Dort stellen die Behandlungsassistentinnen und -assistenten ihre Fälle pseudonymisiert vor. Manchmal werden auch Fragen der Patientinnen und Patienten zu den Medikamenten oder der Erkrankung besprochen. „Wird dabei festgestellt, dass die Herzkranken beispielweise bestimmte Medikamente nicht zusammen einnehmen sollten, besprechen wir das mit den Betroffenen – und mit ihren Hausärztinnen und Hausärzten“, erzählt Cornelia Regner.
Welche Erfolge lassen sich mit der ESCAPE-Studie erreichen?
Die Patientinnen und Patienten werden in der ESCAPE-Studie neun Monate lang betreut. „Ist jemand zum Beispiel stark adipös und seit 30 Jahren kaum aus dem Haus gegangen, dann erreichen wir in den neun Monaten häufig nicht sehr viel“, sagt Cornelia Regner. „In dieser Zeit kann man allenfalls etwas anstoßen.“ Sie berichtet aber auch von tollen Erfolgserlebnissen. „Eine Patientin, deren Ziel es war, sich wieder freihändig in der Wohnung bewegen zu können – ohne ihren Rollator – hat das bis zum Ende der Studie tatsächlich geschafft. Das ist auch für mich extrem motivierend.“ Die Behandlungsassistentin ist überzeugt: Würde eine solche Betreuung irgendwann flächendeckend und nicht nur im Rahmen einer Studie angeboten, könnte man wahrscheinlich fast jeden Patienten erreichen. Aber dafür muss das ESCAPE-Projekt erst einmal belegen, dass die Betreuung einen Effekt hat. So endet sie nach neun Monaten – unabhängig davon, ob das Ziel erreicht wurde oder nicht.
Nach der Studie in die Herzsportgruppe oder den Seniorentreff
Pflegende lernen schon während ihrer Ausbildung, mit Abschied umzugehen – trotzdem fällt es ihnen manchmal schwer. „Ich habe zum Beispiel einen Patienten, der ganz allein ist, der letzte Überlebende seiner Familie. Er ist über 90, hat kein Internet und keine Ahnung, wie das funktioniert. So jemand ist schon sehr verloren heutzutage. Das tut mir leid“, sagt Cornelia Regner. Sie und ihr Team versuchen, die Betroffenen anzubinden und möglichst irgendetwas zu finden, was die Patientinnen und Patienten nach der Studie weiterhin machen können – vielleicht eine Herzsportgruppe oder einen Seniorentreff besuchen. Damit sie nicht plötzlich allein dastehen.
„Man kann nicht verhindern, alt und krank zu werden, aber man kann entgegensteuern“
Häufig verändert die Arbeit mit schwer Herzkranken auch das Leben der Menschen, die sie betreuen. „Ich habe einmal mit einer sehr netten 82-jährigen Frau gesprochen. Die war vollkommen fassungslos, was aus ihr geworden war. Sie sagte: ‚Ich war immer gesund. Und seit ein paar Monaten bin ich plötzlich alt und krank. Irgendwie war ich nicht darauf vorbereitet, plötzlich von Arzt zu Arzt zu rennen, Medikamente zu nehmen und ins Krankenhaus zu müssen. Auch wenn ich so alt bin, hat es mich erschreckt, dass mein Körper plötzlich nicht mehr funktioniert.‘ Mich hat das daran erinnert, besser auf meinen Körper zu achten.“ Cornelia Regner macht zum Beispiel mehr Sport und isst weniger Zucker. Sie sagt: „Man kann nicht verhindern, alt und krank zu werden, aber man kann ein bisschen entgegensteuern.“