Ängste, Stress, Depressionen: Welchen Einfluss hat die Psyche auf Vorhofflimmern?

Emotionaler Stress, Ängste und psychische Erkrankungen wie Depressionen stehen in Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen wie dem Vorhofflimmern – das zeigen die Ergebnisse von großen epidemiologischen Untersuchungen. Zu den Auswirkungen psychischer Belastungen auf die Entstehung und den Verlauf von Vorhofflimmern ist viel geforscht worden. Die Ergebnisse sind auch in einigen Übersichtsarbeiten zusammengefasst.

 

Von Jana Baumgärtner

 

16.05.2024


Bildquelle (Bild oben): iStock/undefined undefined

Die Wechselwirkung zwischen psychischen Belastungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie dem Vorhofflimmern wird in der Forschung und in der klinischen Behandlung zunehmend wichtig. Erkenntnisse hierzu sind für das Verständnis und die Behandlung von Vorhofflimmern von großer Bedeutung. Der Bereich, der sich mit solchen Fragestellungen beschäftigt, nennt sich Psychokardiologie. Prof. Dr. Malte Meesmann ist Kardiologe und Past-Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Psychosoziale Kardiologie“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK).

 

Welche Faktoren werden in Bezug auf das Vorhofflimmern als Auslöser erforscht?

In der aktuellen Forschung erhalten körperliche Risikofaktoren, mehr Aufmerksamkeit, darunter Bluthochdruck und Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, übermäßiger AlkoholkonsumRauchen und fehlende Bewegung. Auch die aktuelle Leitlinie der European Society of Cardiology aus dem Jahre 2020 zur Entstehung von Vorhofflimmern konzentriert sich im Wesentlichen auf körperliche Aspekte. 

 

Angst, Stress und Depressionen können als psychische Folgeerscheinungen von Vorhofflimmern auftreten, da diese Herzrhythmusstörung oft eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität mit sich bringt. In den letzten Jahren wurde aber auch gezeigt, dass psychische Faktoren zum Auftreten von Vorhofflimmern führen können. Diese Effekte können sich wechselseitig verstärken, was bei der Behandlung unbedingt zu berücksichtigen ist.

Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Stress, Angstzuständen und Depressionen und dem Vorhofflimmern?

„Patienten, die ich mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern behandele, stelle ich regelmäßig die Frage, ob sie in der letzten Zeit besonderen Stress oder Ärger hatten. Oft bekam ich die Antwort: Woher wissen Sie das denn?“

 

Die Erfahrung von Prof. Meesmann zeigt, welchen Einfluss psychische Faktoren auf das Auftreten von Vorhofflimmern nehmen: „Einschränkungen der psychischen Gesundheit, insbesondere Stress, Angst und Depressionen, finden sich bei etwa einem Drittel der Patienten und Patientinnen mit Vorhofflimmern. Diese psychischen Belastungen können auch das Auftreten von Vorhofflimmern fördern. In diesem Zusammenhang ist insbesondere länger andauernder beruflicher Stress zu nennen. Zusätzlich kann ein bestehendes Vorhofflimmern den Patienten oder die Patientin ängstigen und eine Angststörung oder Depressionen verstärken.“

 

Angst wird definiert als ein psychobiologischer Gefühlszustand oder eine Reaktion, die aus unangenehmen Gefühlen wie Anspannung, Besorgnis, Nervosität und Sorge entsteht und mit der Aktivierung des autonomen Nervensystems (der Teil des Nervensystems, welcher sich der willkürlichen Kontrolle entzieht) einhergeht. Eine Studie lieferte deutliche Hinweise darauf, dass Angst und Depression mit systemischen Entzündungen und aktivierten Gerinnungsprozessen einhergehen, was möglicherweise zu einer Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse wie auch Vorhofflimmern führt.

Zum Experten

Prof. Malte Meesmann

Prof. Malte Meesmann ist niedergelassener Psychokardiologe in

Veitshöchheim.

Psychokardiologe Prof. Malte Meesmann. Bildquelle: Malte Meesmann
Bildquelle: Malte Meesmann

Wie hängen Stress und das Herz zusammen?

„Psychische Belastungen können einerseits zu Kompensationsmechanismen führen, wie Rauchen, Übergewicht, übermäßiger Alkoholkonsum oder eine ungesunde Ernährung, welche die Herzgesundheit beeinträchtigen. Zudem führt psychischer Stress zu einem erhöhten Blutdruck, der einer der Hauptrisikofaktoren für das Vorhofflimmern darstellt“, erklärt Prof. Meesmann. Psychischer Stress kann negative Auswirkungen auf das gesamte kardiovaskuläre System haben. Chronischer Stress kann zu Schädigungen des Endothels (Gefäßinnenhaut) führen. Das Risiko für Erkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt ist dadurch erhöht. Stress beeinflusst außerdem die elektrische Aktivität des Herzens und steht somit auch im Zusammenhang mit Herzrhythmusstörungen wie dem Vorhofflimmern.

 

Die möglichen pathophysiologischen Folgen von chronischem Stress auf das neuroendokrine, gerinnungsfördernde, mikrozirkulatorische und immunologische System sind zwar bekannt. Zwischen der Erstmanifestation von Vorhofflimmern und Angstzuständen konnte allerdings bisher in Studien nur ein geringer Zusammenhang nachgewiesen werden.

Andererseits zeigen mehrere Studien eindeutig die starke Assoziation von Angstsymptomen und dem Wiederauftreten von Vorhofflimmern, was auf einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Störungen hinweist.

Psychische Erkrankungen bei Patienten und Patientinnen mit Vorhofflimmern

Gesundheitliche Einschränkungen können sich auf das psychische Wohlbefinden von Patienten auswirken. Menschen, die an Vorhofflimmern leiden, berichten häufig über Ängste und Stress im Zusammenhang mit der Erkrankung oder der Behandlung. Eine Studie von Frau Dr. V. Pavlicek vom Universitätsklinikums des Saarlandes untersuchte die Zusammenhänge von psychischen Störungen bei Patienten mit Vorhofflimmern vor und nach Pumonalvenenisolation. Bei dieser Katheterintervention werden die Lungenvenen vom linken Vorhof elektrisch isoliert. Vor dem Eingriff konnte bei mehr als der Hälfte der Betroffenen Symptome einer generalisierten Angst nachgewiesen werden, bei 45% der Patienten waren die Herzangstwerte erhöht. Unter depressiven Symptomen litten 52% der Erkrankten. Nach der Intervention zeigte sich eine Besserung sowohl der generalisierten Angst, der Herzangst als auch der depressiven Symptomatik.

 

Eine Studie aus Australien aus dem Jahr 2023 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Eine wirksame Therapie von Vorhofflimmern kann die psychische Belastung dabei deutlich reduzieren. Bei den Patienten, bei denen eine Pulmonalvenenisolation durchgeführt wurde, sank der Anteil von Patienten mit hohem emotionalem Stress sowie Angstzuständen und Depressionen stark ab. Selbst bei Patienten, bei denen nach der Pulmonalvenenisolation erneut Vorhofflimmer-Episoden auftraten, war die psychische Symptomatik gebessert, was evtl. mit einer Reduktion der Anzahl und des Schweregrads der Episoden zusammenhängt. Bei Patienten, deren Vorhofflimmern weiterhin mit Medikamenten behandelt wurde, ließ sich ein solcher Effekt nicht erkennen. Es wurde auch gezeigt, dass eine Depression den Erfolg einer elektrischen Kardioversion oder Katheterablation reduziert.

 

„Innerer Groll, der sich nicht Luft machen kann und andere Arten von sogenannter negativer Affektivität, also ungünstigen Persönlichkeitsmerkmalen, können die Prognose von Patienten mit Vorhofflimmern belasten“, bestätigt Prof. Meesmann.

 

Kann ein gutes Stressmanagement die Schwere von Vorhofflimmern reduzieren?

„Studien zur Therapie von Vorhofflimmern zeigen, dass die Linderung von psychischem Stress, Angst und Depressionen das Auftreten von Vorhofflimmern reduzieren kann. Die Berücksichtigung psychischer Faktoren bei der Behandlung von Patienten ist deshalb sehr wichtig und sollte weiter intensiviert werden. Es konnte beispielsweise bereits gezeigt werden, dass Entspannungsübungen das Auftreten von Vorhofflimmer-Episoden reduzieren können, wobei auch Angstattacken und Depressionen gemildert wurden. Befunde zeigen weiterhin, dass Beta-Blocker die Reaktion des autonomen Nervensystems auf psychischen Stress dämpfen und somit das Auftreten von Vorhofflimmern reduzieren können. Eine randomisierte Studie zeigt, dass eine Stimulation des Entspannungsnervs, dem Vagusnerv, das Auftreten von Vorhofflimmern um 85 Prozent reduzieren kann“, fasst Prof. Meesmann zusammen.

Gibt es bestimmte psychologische Therapien, die bei Patienten und Patientinnen mit Vorhofflimmern erfolgreich angewendet werden?

Der Experte setzt sich für einen ganzheitlichen Behandlungsansatz ein: „Neben der Einleitung von Basismaßnahmen, also ausreichende körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und ggfs. Gewichtsreduktion, sollten auch psychische Faktoren erfasst und in die Therapie einbezogen werden. Bei übermäßigen Ängsten, Überforderungssituationen, Depressionen, einer vitalen Erschöpfung oder ungünstigen Persönlichkeitszügen (negative Affektivität) können bereits einige psychotherapeutische Gespräche ausreichen, um mehr Entspannung im Hinblick auf die Erkrankung zu schaffen. Begleitend eignen sich Entspannungsübungen wie Atemübungen, progressive Muskelentspannung oder autogenes Training. Je nach Situation kann auch eine psychokardiologische oder psychotherapeutische Behandlung erforderlich werden und sollte dann auch eingeleitet werden.“

 

Welche Herausforderung gilt es in der aktuellen Forschung in Bezug auf psychische Gesundheit und Vorhofflimmern zu meistern?

„Mir erscheint es wichtig, die beeinflussbaren Faktoren für das Auftreten von Vorhofflimmern präventiv anzugehen. Das kann durch frühzeitige gesundheitliche Aufklärung von Patienten und Patientinnen erreicht werden. Bereits im Jahr 2017 wurde in einer amerikanischen Fachzeitschrift die Frage gestellt, ob es sich bei Vorhofflimmern um eine möglicherweise „vermeidbare“ Erkrankung handelt. Bisher hat man sich meist auf die Behandlung von bereits aufgetretenem Vorhofflimmern konzentriert. Gerade im Hinblick auf die präventive Bedeutung einer psychischen Gesundheit besteht Handlungsbedarf. Das große Potential besteht darin, dass die Therapie von psychischen Risikofaktoren wie Stress, Angst und Depressionen auch die somatischen Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Übergewicht positiv beeinflussen“, erklärt Prof. Meesmann.

 

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