Interdisziplinäre Versorgung, 20 Jahre M-TEER und KI als „Friend or Foe“

 

DGK Herztage 2025 | Pressekonferenz: Wie können hausärztliche und kardiologische Praxen gemeinsam mit den Kliniken die Patientenversorgung optimieren? Was ist nach 20 Jahren Mitral Edge-to-Edge-Repair erreicht? Sind KI und Digitalisierung „Friend or Foe“? Die drei Tagungspräsidenten von Kardiologie Aktuell, AGIK Live und Deutsche Rhythmus Tage beleuchten zentrale Themen der Fachkongresse.

Von:

Martin Nölke

HERZMEDIZIN-Redaktion

 

 

26.09.2025

 

Bildquelle (Bild oben): Sina Ettmer Photography / Shutterstock.com

Die Tagungspräsidenten und DGK-Pressesprecher Prof. Michael Böhm auf der Pressekonferenz der DGK Herztage 2025. Die Tagungspräsidenten und DGK-Pressesprecher Prof. Michael Böhm auf der Pressekonferenz der DGK Herztage 2025. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

Kliniken, Hausarzt- und Kardiopraxen – gemeinsam für eine optimale Versorgung

 

Rechtzeitige Diagnostik, strukturierte Prävention und eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen hausärztlichen und kardiologischen Praxen sowie Kliniken sind entscheidend für eine optimierte Patientenversorgung. Im deutschen Gesundheitssystem fehlen jedoch häufig durchgängige Strukturen, so Dr. Benny Levenson, Tagungspräsident Kardiologie Aktuell. Deutlich werden regionale Unterschiede in der Versorgung, Defizite in der ambulanten Früherkennung, eine mangelhafte Kontinuität nach Klinikaufenthalten und eine unzureichende interdisziplinäre Kommunikation.


Levenson unterstreicht den Bedarf an einem echten „Team-Approach“. Hausärztinnen und -ärzte, Kardiologie, Herzchirurgie und spezialisierte Pflegekräfte, etwa HF-Nurses in Heart Failure Units (HFU), müssen abgestimmt handeln. Grundlagen dafür existieren bereits. Die DGK hat mit zertifizierten HFUs und Telemedizinzentren (TMZ) wichtige Strukturen geschaffen und fördert die Einbindung von Assistenz- und Pflegepersonal. Weitere wesentliche Elemente sind gemeinsame Therapieziele, klare Verantwortlichkeiten und digitale Schnittstellen wie elektronische Patientenakte (ePA), E-Rezept und das Übermittlungsverfahren KIM (Kommunikation im Medizinwesen), die Informationsverluste minimieren sollen.

Tagungspräsident Kardiologie Aktuell: Dr. Benny Levenson Tagungspräsident Kardiologie Aktuell: Dr. Benny Levenson. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

 

In der Realität bleibt die Umsetzung oft lückenhaft. Digitale Lösungen werden kaum genutzt, Interoperabilität fehlt, und das Sektorenprinzip erschwert eine durchgängige Patientensteuerung. Unterschiedliche Logiken in ambulanter und stationärer Versorgung (Erlaubnisvorbehalt vs. Verbotsvorbehalt) sowie abweichende kardiologische und hausärztliche Leitlinien – siehe etwa die Nationale Versorgungsleitlinie KHK – verhindern eine durchgängige Patientensteuerung und führen zu „Sektorenbrüchen“.

 

Internationale Beispiele wie die „Global Heart Attack Treatment Initiative“ (GHATI) des ACC in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zeigen, dass auch schon gezielte Datenerhebungen, Qualitätsanalysen und Feedbackprozesse die Versorgung messbar verbessern können. Angesichts von jährlich über 1,1 Mio. Krankenhausfällen hierzulande und erheblichen volkswirtschaftlichen Belastungen (2019: 55 Mio. ausgefallene Arbeitsstunden durch Hospitalisierungen und Reha) sieht Levenson akuten Handlungsbedarf und fordert politische Weichenstellungen, wie sie beispielsweise das „Gesundes-Herz-Gesetz“ verfolgte.

Der EU Cardiovascular Health Plan mit dem Ziel, die kardiovaskuläre Mortalität bis 2030 um ein Drittel zu reduzieren, setzt ein positives Signal. Eine optimale Versorgung von Herzpatientinnen und -patienten wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten auf ein „Gemeinsam“ setzen – interdisziplinär und im Schulterschluss mit der Politik, so Levenson.

 

Abschließend betonen der Tagungspräsident und der DGK-Pressesprecher Prof. Michael Böhm die Bedeutung von Impfungen an der Schnittstelle von hausärztlicher und kardiologischer Versorgung. Es ist eine der kostengünstigsten Präventionsmaßnahmen und verursacht pro gerettetem Leben nur einen geringen Bruchteil der Kosten im Vergleich etwa zu Betablockern und Statinen. Die Evidenz ist „erdrückend“ und „Sind Sie schon geimpft?“ müsse in der Kardiologie zur Standardfrage bei Risikogruppen werden. Weitere Informationen bieten die Kampagne „Herz ist Impf“ und der ESC-Konsensus zum Thema Impfen.

20 Jahre M-TEER: Etablierung einer bedeutenden Innovation

 

Die Mitralklappeninsuffizienz (MI) zählt mit einer Prävalenz von 1–2 % in der Gesamtbevölkerung und bis zu 10 % bei über 75-Jährigen zu den häufigsten Herzklappenerkrankungen in der westlichen Welt. Gesundheitliche Folgen können Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität sein. Prof. Alexander Ghanem, Tagungspräsident AGIK Live, macht darauf aufmerksam, dass Patientinnen und Patienten mit relevanter MI häufig unterdiagnostiziert und unterbehandelt sind. Dabei stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung: Neben konservativen und chirurgischen Verfahren hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten das transkatheterbasierte Edge-to-Edge-Repair-Verfahren (M-TEER) als minimalinvasive Behandlungsoption für Hochrisikopatientinnen und -patienten etabliert.

Tagungspräsident AGIK LIVE: Prof. Alexander Ghanem Tagungspräsident AGIK LIVE: Prof. Alexander Ghanem. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

 

Anhand wegweisender Studien (EVEREST II, RESHAPE-HF2, MATTERHORN) ordnet Ghanem die Evidenz ein, die sich in der Aufwertung von M-TEER in den ESC-Leitlinien 2025 niederschlägt: Mittlerweile ist das Verfahren bei primärer MI die Therapie der 1. Wahl bei Patientinnen und Patienten mit hohem OP-Risiko. Bei sekundärer ventrikulärer MI ist M-TEER eine zentrale Intervention zur Verbesserung von Lebenserwartung und -qualität. Bei sekundärer atrialer MI stellt das Verfahren eine Therapieoption zur Verbesserung der Lebensqualität dar. Durch die verbesserte Hämodynamik ermöglicht eine M-TEER bei vielen Patientinnen und Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz die von den Leitlinien empfohlenen Medikamente (GDMT) besser und in der richtigen Dosierung einzustellen, ein „synergistisches Zusammenspiel“. Voraussetzung für den Therapieerfolg mit M-TEER bleibt eine sorgfältige Patientenauswahl, basierend auf anatomischen und klinischen Kriterien sowie eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Trotz der deutlichen Fortschritte bestehen Herausforderungen. Dazu zählt beispielsweise die rechtzeitige Indikationsstellung, etwa durch wirksame intersektorale Netzwerke, eine erhöhte Awareness für die Erkrankung im hausärztlichen Bereich bzw. aufgrund der Progredienz der Symptomatik.

Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich M-TEER als „segensreiche Behandlungsmethode“ etabliert für Hochrisikopatientinnen und -patienten, die operativ nicht versorgt werden können, so Ghanem. Der technologische Fortschritt bei Geräten, Verfahren und in der Bildgebung sowie ein wachsender Bedarf durch eine alternde Bevölkerung könnten die Bedeutung künftig weiter steigern.

KI und Digitalisierung: Von der Datenflut zum klinischen Nutzen

 

Consumer Wearables wie Smartwatches sind längst im Alltag vieler Menschen angekommen, wie Prof. Philipp Sommer, Tagungspräsident Deutsche Rhythmus Tage, veranschaulicht: Rund 14 Millionen Erwachsene in Deutschland besitzen bereits tragbare Geräte, die kontinuierlich Körperdaten erfassen können. Weltweit sind ca. 1 Mrd. Geräte im Umlauf. Laut Bitkom-Umfrage halten zudem 72 % der Befragten detaillierte Gesundheitsdaten für sinnvoll, um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und vorzubeugen. Auch in der Rhythmologie verändern digitale Innovationen Diagnostik und Therapie spürbar, so Sommer: „Das ist nicht die Zukunft; das ist jetzt schon da.“

Patientinnen und Patienten können beispielsweise Symptome eigenständig dokumentieren und EKGs aufzeichnen – ein Paradigmenwechsel, der die Früherkennung relevanter Arrhythmien erleichtert. Beim Vorhofflimmern geht insbesondere bei der paroxysmalen oder asymptomatischen Form oft wertvolle Zeit verloren, wenn Episoden während des ärztlich durchgeführten EKGs nicht erfasst werden. Die EAST-AFNET-4-Studie zeigt, dass eine frühzeitige Rhythmuskontrolle das Risiko für kardiovaskulären Tod, Schlaganfall und Hospitalisierung signifikant reduziert (HR 0,79; 96%-KI [0,66; 0,94]; p=0,005). Auch die Apple Heart Study verdeutlicht das Potenzial von Consumer Wearables bei der Detektion relevanter Arrhythmien, einige Systeme sind inzwischen auch als Medizinprodukte zugelassen.

Prof. Philipp Sommer Tagungspräsident Kardiologie Aktuell: Prof. Philipp Sommer. Bildquelle: DGK / Thomas Hauss

 

Neben den medizinischen Vorteilen eröffnen sich auch gesundheitspolitische Chancen: Telemedizin und digitale Angebote ermöglichen eine effizientere Ressourcennutzung und können die Notaufnahmen entlasten. Sommer verweist auf aktuelle Forschungsergebnisse, dass eine frühzeitige rhythmuskontrollierende Therapie bei Vorhofflimmern zwar initial höhere Kosten verursacht, langfristig aber kosteneffektiv ist, weil klinische Ereignisse vermieden und Lebensjahre gewonnen werden.

Gleichzeitig bringt die Digitalisierung neue Herausforderungen mit sich. Vielen Praxen und Kliniken mangelt es an zeitlichen und organisatorischen Ressourcen sowie geeigneten Vergütungsstrukturen, um die wachsenden Datenmengen zu managen. Sommer führt als Beispiel zur Optimierung das Telemonitoring von Personen mit Schrittmachern und ICD an: Die Gerätehersteller betreiben jeweils eigene Portale mit unterschiedlicher Darstellung und Benennung der Parameter.  Mitarbeitende müssen sich täglich in jedes einzelne System einloggen. Interoperable Plattformen, die Daten verschiedener Systeme konsolidieren und vereinheitlichen, könnten hier entscheidend zur Entlastung beitragen.

Eine Schlüsselrolle bei der Datenstrukturierung und -auswertung kommt laut Sommer der Künstlichen Intelligenz zu. KI-Systeme zur EKG-Analyse oder stimmbasiertes Erkennen von Dekompensationen sind nur zwei von einer Vielzahl an Anwendungsbeispielen. Die TAILORED-AF-Studie zeigt, dass eine KI-gestützte Ablationsplanung (VOLTA-Mapping) im Vergleich zur Kontrollgruppe nach 12 Monaten zu einer höheren Rate frei von Vorhofflimmern führte (88 % vs. 70 %; p<0,0001). Auch im ‚zwischenmenschlichen‘ Bereich kann KI punkten. So wirkte in einer aktuellen Vergleichsstudie ein KI-Chatbot auf die Patientinnen und Patienten empathischer als das ärztliche Personal.

Schnellere Diagnosen, gezieltere Therapien und effektivere Prävention – die Digitalisierung eröffnet große Chancen für die Medizin und Rhythmologie. Der Tagungspräsident betont aber: Digitale Tools können Ärztinnen und Ärzte im Praxisalltag unterstützen, sie ersetzen jedoch keine fundierte ärztliche Bewertung. Damit das Potenzial zum Wohl der Patientinnen und Patienten voll ausgeschöpft werden kann, braucht es strukturelle Anpassungen im Gesundheitswesen, eine Sicherstellung der Datenqualität sowie klare Rahmenbedingungen, die die ärztliche Entscheidungshoheit gewährleisten.


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