Modell des menschlichen Herzens in einer Arztpraxis, Bildquelle: iStock / Ivan-balvan
Modell des menschlichen Herzens in einer Arztpraxis, Bildquelle: iStock / Ivan-balvan

Herztransplantation nach Grippe – 22 Jahre mit einem Spenderherz

„Es traf mich sozusagen mitten im Leben“, erzählt Rolf Jaksties. Der Versicherungsexperte war damals Anfang 40, als ihn eine schwere Grippe erwischte. „Aber ich habe gedacht, die Symptome würden schon wieder besser werden.“ Deshalb flog er trotz seines Infekts zu Verhandlungen nach Spanien. Am Abend fühlte er sich dann vollkommen kraftlos. Sein Herz machte nicht mehr mit …

Von Kerstin Kropac
 

21.07.2025


Bildquelle (Bild oben): ©iStock / Ivan-balvan

Wenn eine Grippe das Herz angreift: Welche Symptome können sich zeigen?

Grippeviren lösen nicht nur eine Erkrankung der Atemwege aus, sie können auch das Herz angreifen. „Allerdings hätte ich mir nie vorstellen können, welch dramatische Folgen das haben könnte“, sagt Rolf Jaksties heute. Deshalb meldete er sich auch trotz seines Infekts nicht krank – sondern reiste einmal quer durch Europa. „Weil ich natürlich geglaubt habe, mich könne keiner ersetzen …“ Als der Familienvater am Abend von seiner Dienstreise zurückkehrte, ging schlagartig nichts mehr. Er fühlte sich vollkommen erschöpft. „Ich wollte nicht mehr wie sonst noch ein bisschen mit meiner Frau reden, ich wollte nur noch ins Bett“, erinnert er sich. Auch am nächsten Morgen ging es ihm nicht besser. Er konnte kaum aufstehen. Seine Frau drängte ihn, sofort zum Hausarzt zu gehen. „Der hat gleich ein EKG gemacht und mich dann mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus geschickt“, erzählt der heute 70-Jährige.

 

Was ist eine dilatative Kardiomyopathie?

Von den Krankenhaus-Ärzten hörte Rolf Jaksties seine Diagnose zum ersten Mal: Er hatte eine dilatative Kardiomyopathie entwickelt.  Bei dieser Erkrankung des Herzmuskels erweitern sich die Herzkammern, insbesondere die linke, und das beeinträchtigt die Pumpfunktion des Herzens. Auslöser ist häufig eine Herzmuskelentzündung. Und die wiederum kann durch eine verschleppte Grippe entstehen. „Mit der Diagnose konnte ich damals überhaupt nichts anfangen“, erinnert sich der zweifache Vater. „Ich habe gedacht, das sei so wie beim Infekt: Das kuriert man aus und dann geht es fröhlich weiter.“ Eigentlich habe er erst nach Jahren begriffen, was diese Krankheit bedeutet …

 

Warum verursacht eine dilatativen Kardiomyothie eine Herzschwäche?

Die dilatative Kardiomyopathie führt zu einer verminderten Leistungsfähigkeit des Herzens, weil sie die Pumpfunktion und damit auch die Auswurfleistung verschlechtert – es gelangt also weniger Blut in den Kreislauf. Gleichzeitig verliert das Herz an Elastizität, wodurch sich die Herzhöhlen nicht mehr wie gewohnt füllen können. Die Folge: Das Herz ist zu schwach, um den Körper ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen. „Die Ärzte sagten mir, ich solle mich schonen. Also keine sportlichen Aktivitäten, sich bloß nicht anstrengen, am besten nur auf dem Sofa sitzen. Heute weiß man, dass eine solche Empfehlung Quatsch und Sport wichtig ist, aber damals war das die Standardtherapie“, erzählt der Pfälzer.

 

Wie fühlt sich die Dekompensation einer Herzschwäche an?

In den ersten Monaten nach der Diagnose versuchte Jaksties, sich zu schonen. Anfangs gelang ihm das auch. Aber bald holte ihn der Stress wieder ein. „Der Druck war natürlich groß. Nicht nur, weil wir gerade ein Haus gekauft hatten“, sagt er. „Ich hatte auch ein berufliches Umfeld, das erwartete, dass ich funktionierte. Und mein eigener Anspruch war ebenfalls sehr hoch …“

 

Sein Zustand verschlechterte sich. Immer wieder musste Jaksties ins Krankenhaus, weil seine Herzschwäche dekompensierte, sein Herz also zu schwach war, um den Körper mit Blut und Sauerstoff zu versorgen, und die körpereigenen Mechanismen, um dies auszugleichen, versagten. Er litt unter Luftnot, einem unregelmäßigen Herzschlag, bekam Schwellungen in den Beinen. „Als ich dann einmal die Weihnachtszeit im Krankenhaus verbrachte, sagten die Ärzte, dass es so nicht weiter ginge. Da musste ich zusammen mit meiner Frau eine Entscheidung treffen“, erinnert sich der Familienvater. „Mein Zustand war ja auch beruflich nicht mehr vertretbar, weil ich überhaupt nicht mehr zuverlässig arbeiten konnte.“

 

Wie stark kann eine schwere Herzschwäche das Leben der Betroffenen beeinträchtigen?

Aufgrund der schweren Herzkrankheit musste Rolf Jaksties seine Arbeit aufgeben – damit brach das Familieneinkommen weg. Und die Erwerbsunfähigkeitsrente reichte nicht aus, um das Haus weiter zu finanzieren. Die Familie musste es verkaufen und umziehen. Aber immerhin ging es dem Mitte 40-Jährigen durch die Ruhe kurzzeitig besser. Bis er in einem Urlaub einen Ohnmachtsanfall erlitt. Und kurz darauf zu Hause einen weiteren. Solche sogenannten Synkopen können auftreten, wenn das Herz das Gehirn nicht ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgen kann. Die Ärzte kamen zu dem Schluss: Das Herz hatte mittlerweile einen lebensbedrohlich schlechten Zustand erreicht. Um zu überleben, benötigte der Familienvater einen Herzschrittmacher und einen implantierten Defibrillator, der im Falle einer lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung automatisch einen elektrischen Schock abgibt, um das Herz wieder in einen normalen Rhythmus zu bringen.  „Aber schon damals wurde mir gesagt, dass ich irgendwann ein neues Herz brauchen würde“, erinnert sich der Rentner. „Danach habe ich meine Kinder oft angeschaut und mich gefragt: Wie lange werde ich sie aufwachsen sehen? Es hat Tage gegeben, da habe ich geheult, weil ich eine so wahnsinnige Angst vor der Zukunft hatte.“

 

Dreimal löste der Defibrillator aus, dreimal holte er Rolf Jaksties zurück ins Leben. Gleichzeitig wurde sein Herz immer schwächer. Irgendwann kam er die Treppe zum Schlafzimmer nicht mehr hoch. Und zum Schluss schaffte er es nicht einmal mehr ohne Hilfe auf die Toilette, weil ihm dafür die Luft fehlte.

 

Welche Therapie kann Leben retten, wenn das Herz zu schwach ist, aber kein Spenderherz zur Verfügung steht?

Irgendwann war das Herz so schwach, dass Rolf Jaksties kaum noch Luft bekam – und plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Mit dem Hubschrauber wurde er als Notfall ins Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen geflogen. „Die Notärztin hat mir mit dem Filzstift immer die verbleibende Flugzeit auf die Hand gemalt, damit ich ja durchhalte“, erzählt er – und hielt durch. „In dem Moment, als wir durch die Tür in die Klinik kamen, spürte ich Erleichterung und Dankbarkeit. Ich wusste: Jetzt wird mir geholfen!“

 

In der Klinik wurde Jaksties in ein künstliches Koma gelegt. Als er aufwachte, hörte er das laute Pochen eines VAD-Systems, eines Herzunterstützungssystems, umgangssprachlich oft als Kunstherz bezeichnet. Es übernahm die Arbeit seines schwachen Herzens und sorgte für einen ausreichenden Blutfluss im Körper. „Damit hat sich mein Leben sofort fantastisch verbessert. Ich konnte wieder aufstehen. Ich konnte wieder laufen – und bin mit so einem Wägelchen hinter mir her durch die Klinik gezogen. Die Leute sind erschrocken, weil es so laut pochte. Aber ich konnte damit leben“, erzählt Jaksties.

 

Wie viele Menschen warten derzeit auf eine Organspende?

Am 31. Dezember 2024 standen in Deutschland 664 Menschen auf der Warteliste für eine Herztransplantation – etwa die Hälfte der Betroffenen kann nicht versorgt werden, weil es in Deutschland zu wenige Spenderherzen gibt. Statistisch gesehen kommen hierzulande zehn Organspender auf eine Million Einwohner. Viel zu wenig, kritisieren herzmedizinische Fachgesellschaften.

 

 

 

Was passiert, wenn plötzlich ein geeignetes Spenderherz gefunden wird?

Mit dem VAD-System war der Herzpatient zum ersten Mal seit langer Zeit wieder stabil. Er durfte nach Hause, wo seine Familie sich schon auf seine Rückkehr freute. „Ich wartete schon mit gepackten Koffern auf mein Taxi, als plötzlich der Chefarzt zu mir kam. Er sagte: `Wir haben ein sehr gutes Spenderherz für Sie.` Und dann ging es los: Ich wurde für die Operation vorbereitet, von Kopf bis Hose gewaschen und rasiert. Ich bekam die ersten Immunsuppressiva, Medikamente, die verhinderten, dass mein Körper das neue Herz abstieß“, erinnert sich Jakties an diesen aufregenden Moment. „Ich lag schon in der Schleuse, als der Arzt noch einmal auftauchte und mir mitteilte: `Wir müssen leider alles abbrechen. Ich habe das Herz noch einmal untersucht. Es ist nicht gut genug. Doch Jaksties Enttäuschung dauerte nicht lang: Nur wenig später wurde dann tatsächlich ein geeignetes Herz gefunden. „Das war natürlich ein riesiges Glück, dass die Blutgruppe und die sonstigen Parameter gepasst haben – und vor allem: Dass da ein Spender war, ein guter Mensch, der einen Spenderausweis hatte und dessen Angehörigen der Transplantation zugestimmt haben.“ Als er aufwachte, stand das ganze Team um sein Bett herum und applaudierte. „Das war wohl einer der erlösendste Momente meines Lebens.“

 

Wie lebt es sich mit einem Spenderherz?

„Das erste Jahr nach der Transplantation war turbulent. Nicht, weil es mir ständig schlecht ging, sondern weil ich nichts einschätzen konnte“, erzählt Rolf Jaksties. Immer wieder rief er in der Klinik an, wenn er sich unsicher fühlte und war froh, dass er so gut in sein neues Leben begleitet wurde. „Als meine Beine einmal anschwollen, sagten sie, ich solle sofort zu ihnen kommen, das könne eine Abstoßungsreaktion des Körpers sein“, erinnert sich der Pfälzer. „Sie haben mich sofort mit massiven Cortisonstößen behandelt und an die Dialyse gehängt, weil auch meine Nieren angegriffen wurden – und das, obwohl ich diese Immunsuppressiva regelmäßig eingenommen hatte, die das ja eigentlich unterbinden sollten. Aber die Ärzte beruhigten mich: `Das ist eine ganz natürliche Reaktion und wir wissen damit umzugehen.`“

 

Obwohl das erste Jahr einer emotionalen Achterbahnfahrt glich, fühlte sich das neue Organ in seiner Brust nie fremd an. „Ich habe das Spenderherz von Anfang an als mein eigenes betrachtet. Als ein Geschenk, das ich annehmen durfte. Ich glaube, das hat dazu beigetragen, dass es mir bis heute gut mit ihm geht. Seit mittlerweile 22 Jahren!“

 

Inwiefern verändert sich das Leben, wenn man ein neues Herz bekommt?

Nach dem ersten turbulenten Jahr kribbelte es dem Frührentner in den Fingern. Rolf Jaksties war damals gerade 50 Jahre alt. „Ein Leben auf dem Sofa kam für mich nicht in Frage“, sagt er. „Ich hatte aber auch Angst, wieder zu arbeiten und in Stress zu geraten.“ Daher bewarb er sich bei der Deutschen Herzstiftung als ehrenamtlicher Berater. „Das ist eine Aufgabe, die mich sehr umtreibt und befriedigt. Ich kann Menschen in schwierigen Situationen helfen  – nicht medizinisch, dafür bin ich nicht ausgebildet, aber menschlich.“ Außerdem kümmert er sich mit Begeisterung um seine drei Enkelkinder. „Früher habe ich viele wichtige Dinge aus Ehrgeiz und Arbeitseifer verpasst und viel zu wenig auf meine Gesundheit geachtet. Das soll mir nicht noch einmal passieren“, sagt der heute 70-Jährige. Und setzt hinterher: „Ich nehme die Schutzimpfungen gegen Atemwegserkrankungen wie Corona oder die Grippe regelmäßig wahr. Die sind wichtig. Das habe ich inzwischen verstanden.“

 

Warum sollten sich Menschen mit Herzerkrankungen unbedingt impfen lassen?

Wer unter chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen leidet, ist durch Atemwegsinfekte wie Grippe, Pneumokokken oder RSV besonders gefährdet. Impfungen schützen nicht nur vor Infektionskrankheiten, sondern auch vor ihren möglichen schweren Folgen für Herzpatientinnen und -patienten. Trotzdem liegt die bundesweite Impfquote gegen Influenza, RSV und Pneumokokken deutlich unter dem OECD-Durchschnitt und den WHO-Empfehlungen. Deshalb: Am besten gleich einen Impftermin vereinbaren!

 

 

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