Haben Herzkranke ein erhöhtes Risiko für eine erektile Dysfunktion?
Etwa 20 Prozent aller Männer leiden im Laufe ihres Lebens unter Erektionsproblemen. In der Altersklasse über 60 Jahren steigt die Häufigkeit von Erektionsstörungen auf schätzungsweise 50 Prozent an. „Die Dunkelziffer ist hoch, da sich viele Männer aus Scham nicht bei einem Arzt oder einer Ärztin melden“, weiß Priv.-Doz. Dr. Bernhard Haring, Oberarzt in der Kardiologie am Universitätsklinikum des Saarlandes.
Ist die Erektionsfähigkeit über mehr als sechs Monate eingeschränkt, spricht man von einer sogenannten erektilen Dysfunktion. Die Ursachen dafür können vielfältig sein: etwa 90 Prozent werden durch organische Ursachen ausgelöst. „Gerade bei Männern im mittleren und höheren Alter ist die organische Ursache häufig eine krankhafte Einlagerung von Cholesterin und anderen Fetten in die Gefäße, auch Atherosklerose genannt. Bei jüngeren Männern sind oftmals psychische Faktoren Auslöser für eine erektile Dysfunktion“, erklärt der Kardiologe.
Wie hängen Erektionsstörungen und Herzkrankheiten zusammen?
Männer mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung haben ein besonders hohes Risiko für Potenzprobleme. Die häufigsten Auslöser sind Bluthochdruck und Verkalkungen der Arterien. Der Fachbegriff dafür lautet Atherosklerose. „Der enge Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen und erektiler Dysfunktion gilt als erwiesen. Hintergrund ist, dass die Atherosklerose als zugrundeliegende Erkrankung grundsätzlich alle Gefäße des Körpers betreffen kann“, sagt Priv.-Doz. Dr. Haring.
Laut Studien kann eine erektile Dysfunktion tatsächlich ein erstes Anzeichen für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein. Der Herz-Experte betont: „Insbesondere im mittleren und höheren Alter ist die erektile Dysfunktion oft als ein erstes Anzeichen für eine ‚schlechte‘ Einstellung von kardiovaskulären Risikofaktoren, wie beispielsweise zu hohem Blutdruck, zu sehen. Die kleinen penilen Gefäße zeigen oftmals bereits vor den Herzkranzgefäßen Zeichen für Durchblutungsstörungen. Daher kann auch das Auftreten einer erektilen Dysfunktion einem späteren kardialen Ereignis, beispielsweise einem Herzinfarkt, vorausgehen.“ Erschwerend liegen bei den Betroffenen in vielen Fällen Testosteronmangel, eine erhöhte systemische Entzündungskonstellation und vermehrter Stress vor.
Kann die Einnahme von Betablockern die Erektionsfähigkeit beeinflussen?
Viele Menschen glauben, dass die Einnahme von Betablockern, also blutdrucksenkenden Medikamenten, Auswirkungen auf die Potenz hat. Die Medikamente verhindern, dass sich die Gefäße erweitern und lassen somit vermuten, dass sie die Erektionsfähigkeit beeinträchtigen.
„In einer verblindeten Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit bestehendem Vorwissen um mögliche Nebenwirkungen von Betablockern, zu denen auch eine Erektionsschwäche gehört, nach der Einnahme diese Nebenwirkung vermehrt angaben, selbst wenn die Patienten ein Placebo erhielten“, erklärt der Kardiologe. Oft handele es sich um eine selbsterfüllende Prophezeiung, die Mediziner und Medizinerinnen auch in ähnlichen Studien mit anderen Medikamenten, zum Beispiel Muskelschmerzen durch die Einnahme von Statinen, beobachten konnten. Deshalb könne man gar nicht so einfach einschätzen, inwiefern die Wirkstoffe neuerer Betablocker eine erektile Dysfunktion auslösen. „Die Studienlage zu Auswirkungen der Einnahme von Betablockern auf die Erektionsfähigkeit ist kontrovers und uneinheitlich“, sagt der Kardiologe.
Einige Beta-Blocker der älteren Generation, sogenannte nicht-selektive Betablocker, sind bei erektiler Dysfunktion weniger gut geeignet. „Heute werden in der Regel neuere, selektive Betablocker verschrieben, von denen man annimmt, dass sie im Hinblick auf die Erektionsfähigkeit neutral sind oder möglicherweise einen positiven Effekt haben“, sagt der Herz-Experte.
Der Hintergrund: Betablocker hemmen die aktivierende Wirkung des Stresshormons Adrenalin und des Botenstoffs Noradrenalin, indem sie bestimmte Rezeptoren blockieren, die sogenannten Beta-Adrenozeptoren. Dadurch wird der aktivierende Effekt auf die Zielorgane gedämpft. „Beta-Adrenozeptoren werden in β1- und β2-Adrenozeptoren unterteilt“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Haring. „Während die Wirkung der Betablocker im Herzen vorrangig über β1-Rezeptoren vermittelt wird, lassen sich viele Nebenwirkungen der Betablocker auf ihre zusätzliche Wirkung auf β2-Rezeptoren zurückführen, welche sich unter anderem in den Bronchien und Blutgefäßen befinden. Ältere, nicht-selektive Beta-Blocker blockieren sowohl β1- und β2-Adrenozeptoren, weshalb es sein kann, dass es außerhalb des Herzens beispielsweise zu Bronchokonstriktion (Verengung der Bronchien in der Lunge) und peripheren Durchblutungsstörungen kommen kann. Bei den neueren, selektiven Betablockern konzentriert sich die Wirkung auf die selektive Blockade der Adrenozeptoren des Herzens, das heißt die Blockierung der β1-Adrenozeptoren.“
Deshalb rät der Experte allen Herzpatienten mit einer erektilen Dysfunktion gemeinsam mit dem Urologen oder der Urologin über die Symptome zu sprechen und die bestehende Medikation zu überprüfen. „Wenn bei bestehender Erektionsschwäche die Einnahme von Betablockern notwendig ist, sollten selektive Betablocker der neueren Generation wie beispielsweise Nebivolol gegenüber nicht-selektiven Betablockern bevorzugt werden“, erklärt der Herz-Experte. Er betont jedoch, dass die Ursache für eine erektile Dysfunktion in den meisten Fällen nicht in der Einnahme von Betablockern begründet ist: „Bei vielen Patienten sind die kardiovaskulären Risikofaktoren, wie der Bluthochdruck, nicht richtig eingestellt. Wird ein Bluthochdruck adäquat therapiert, verbessert sich häufig auch die Erektionsfähigkeit.“