Nach dem ersten Herzinfarkt folgt bei bis zu einem Drittel aller Betroffenen ein weiterer – leider oft mit schlechterer Überlebensrate. Das DGK-Versorgungsforschungsprojekt GULLIVE-R will das ändern.
Nach dem ersten Herzinfarkt folgt bei bis zu einem Drittel aller Betroffenen ein weiterer – leider oft mit schlechterer Überlebensrate. Das DGK-Versorgungsforschungsprojekt GULLIVE-R will das ändern.
Von Kerstin Kropac
30.03.2023
Bildquelle (Bild oben): iStock / ipopba
Um künftig Herzinfarkte und die kardiovaskuläre Sterblichkeit nach einem ersten Herzinfarkt zu reduzieren, hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) das Versorgungsforschungsprojekt GULLIVE-R gestartet. Bislang bilden die meisten Studien ab, wie die Patientinnen und Patienten in der Akutphase des Herzinfarkts behandelt werden. Über den Langzeitverlauf gibt es bislang weniger Erkenntnisse. Dabei entscheidet die langfristige Behandlung, wie viele Betroffene weitere Herzinfarkte oder Schlaganfälle erleiden – oder sogar daran sterben. „Deshalb hat uns interessiert: Wie viel wissen die Patientinnen und Patienten eigentlich über ihre Erkrankung? Wie gut werden sie betreut? Und wie zuverlässig nehmen sie herzschützende Medikamente ein?“, erklärt Prof. Zeymer, Studienleiter des GULLIVE-R-Projekts. Für seine Untersuchung wurden mehr als 2.500 Menschen und ihre Ärztinnen und Ärzte etwa ein Jahr nach ihrem Herzinfarkt befragt.
„Wir haben festgestellt, dass die Herzinfarktpatientinnen und -patienten in der ersten Phase sehr gut behandelt werden: Sehr häufig bekommen sie einen Stent oder eine Bypass-Operation. Und sie erhalten auch die Medikamente, die in den Leitlinien vorgesehen sind, um weitere Herzinfarkte zu verhindern“, sagt Prof. Zeymer. Diese fünf Wirkstoffe sind:
„Diese fünf prognoseverbessernden Medikamente sollte man im ersten Jahr nach dem Herzinfarkt einnehmen – tatsächlich bekommt aber nur etwa jeder Zweite alle fünf“, sagt Prof. Zeymer. 15 Prozent nahmen sogar nur noch zwei der empfohlenen Wirkstoffe ein. „Es nimmt eben niemand gerne Tabletten“, erklärt der Professor. „Die Patientinnen und Patienten fragen selten: Haben Sie noch etwas Neues. Die meisten fragen: Kann ich etwas weglassen?“
„Ich habe oft das Gefühl, dass viele vergessen, wie schlimm der Herzinfarkt für sie war“, sagt der Kardiologe. „Viele schwören, sofort mit dem Rauchen aufzuhören. Aber wenn es ihnen nach zwölf Monaten gut geht, fallen sie in ihre alten Gewohnheiten zurück.“ Das Problem dabei: Die koronare Herzerkrankung ist eine chronische Erkrankung, die weiter voranschreitet – und auch nicht mit dem Einsetzen eines Stents behoben werden kann. Wird sie nicht ausreichend behandelt, steigt das Risiko für weitere kardiovaskuläre Ereignisse.
Im ersten Jahr passiert das bei 10 Prozent der Betroffenen. In den Folgejahren jeweils etwa 5 Prozent. „Das hängt sehr von den Risikofaktoren ab“, sagt der Kardiologe. „Also: In welchem Zustand sind die Gefäße? Gibt es Begleiterkrankungen? Der 50-jährige Raucher, der mit dem Rauchen aufhört, wird zum Beispiel mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einen weiteren Herzinfarkt erleiden als der 70-jährige Diabetiker mit verengten Gefäßen, der eine eingeschränkte Nierenfunktion hat.“ Doch leider scheint vielen Patientinnen und Patienten und auch Ärztinnen und Ärzten das erhöhte Risiko nicht ganz bewusst zu sein.
Das GULLIVE-R-Projekt hat gezeigt: Viele Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten halten das Risiko, einen weiteren Herzinfarkt zu erleiden oder sogar daran zu sterben, für niedriger, als es tatsächlich ist. Während ein Drittel der Patientinnen und Patienten von einem niedrigen Risiko ausgehen, nehmen etwa 10 Prozent an, es sei hoch. Das entspricht der Einschätzung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. „Tatsächlich zeigen unsere Berechnungen, dass nur sehr wenige, nämlich 7,1 Prozent der Betroffenen, tatsächlich von einem geringen Risiko ausgehen können, wenn man den TRSP2-Score (siehe Tabelle) zugrunde legt“, sagt Prof. Zeymer. „Geht es den Patientinnen und Patienten nach zwölf Monaten gut, vergessen die meisten, dass sie chronisch krank sind.“
Die meisten, sogar fast 90 Prozent der Patientinnen und Patienten, haben das Gefühl, genug über ihre Krankheit zu wissen. Aber das ist eine Fehleinschätzung! So ist zum Beispiel nur jedem Dritten bewusst, dass er sich dreimal pro Woche 30 Minuten bewegen sollte. Und weniger als 20 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer hatten eine Ahnung, wie hoch der Cholesterinwert sein sollte – trotzdem glaubten drei Viertel, er läge im empfohlenen Bereich. „Tatsächlich haben nur etwa 15 Prozent einen LDL-Cholesterin-Zielwert von unter 55 mg/dl“, sagt Prof. Zeymer. „Beim Blutdruck sieht es etwas besser aus: Da erreicht etwa jeder Dritte die 130 mmHg – wie es die Leitlinien nach einem Herzinfarkt empfehlen.“
Die meisten Patientinnen und Patienten sind nach einem Herzinfarkt erst einmal überwältigt. „Dann findet zwar eine Aufklärung statt“, sagt Prof. Zeymer. „Aber ich erlebe es in der täglichen Visite häufig, dass die Patientinnen und Patienten am Folgetag glauben, sie hätten eine Information niemals bekommen.“ Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene – und auch ihre Ärzte und Ärztinnen – noch umfassender aufgeklärt werden. „Die Ärztinnen und Ärzte müssen wissen, dass es oft nicht ausreicht, den Betroffenen einmalig eine Therapie zu erklären. Sie müssen es immer und immer wieder tun.“ Denn: Je besser eine Patientin oder ein Patient informiert ist, desto besser ist auch seine Prognose, keine weiteren Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu erleiden – oder daran zu versterben.