Sind schlechte Zähne tatsächlich ein Risikofaktor für Herzinfarkte?
Die klassischen Risikofaktoren für Herzinfarkte sind seit vielen Jahrzehnten bekannt: Dazu gehören unter anderem Rauchen, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, körperliche Inaktivität und familiäre Vorbelastung. „Aber wir erleben auch immer wieder Menschen, die früh einen Herzinfarkt oder eine koronare Herzerkrankung erleiden, obwohl sie keine klassischen Risikofaktoren aufweisen“, sagt Prof. Sebastian Kerber, Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt. „Bei ihnen hat man festgestellt, dass sie häufig unter parodontalen Erkrankungen leiden, also unter chronischen Entzündungen des Zahnfleisches.“
Sollten sich alle Menschen mit koronarer Herzkrankheit oder Herzinfarkt zahnmedizinisch untersuchen lassen?
„Manchmal haben wir junge Patientinnen und Patienten – das heißt für uns: vor dem 50. Lebensjahr – mit einer koronaren Herzkrankheit ohne die typischen Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen oder hohen LDL-Cholesterinwerte“, sagt Prof. Kerber. „Diesen Betroffenen empfehlen wir immer, einen speziellen Fettstoffwechselparameter – das LP(a) – zu bestimmen, der mit einer vorzeitigen Atherosklerose der Koronargefäße einhergeht. Außerdem raten wir dazu, sich auch zahnmedizinisch untersuchen zu lassen.“ In den USA gibt es sogar die Überlegung, ein Screening-Programm einzuführen, bei unklarem Herzinfarkt oder vorzeitiger, nicht erklärbarer koronarer Herzerkrankung den Zustand des Zahnhalteapparates zu erheben – so will man weitere Herzereignisse verhindern.
Kann eine Zahnentzündung wirklich einen Herzinfarkt auslösen?
Eine Zahnentzündung kann nicht direkt einen Herzinfarkt auslösen, scheint aber die Entstehung der Atherosklerose – der Erkrankung, die zu Gefäßverschlüssen führt – zu begünstigen. „Derzeit geht man davon aus, dass die Entzündung im Zahnfleisch-Bereich startet und dann über Botenstoffe in den Herzkrankgefäßen die Neigung zur Plaquebildung erhöht – es entstehen also Ablagerungen in den Gefäßen“, sagt Prof. Kerber. „Diese Ablagerungen – oder Plaques – haben genau wie die parodontalen Erkrankungen den Charakter einer chronischen Entzündung. Reißen die Plaques auf, bildet sich ein Blutgerinnsel, das Gefäß verstopft – und der Betroffene kann einen Herzinfarkt erleiden“, erklärt der Kardiologe.
Welche Erkrankungen können Entzündungen im Mund noch auslösen?
Durch Entzündungen im Mundraum kann auch das Risiko für Bluthochdruck(Hypertonie) steigen. Außerdem können Herzmuskelentzündungen durch Infektionen im Mund-Rachen-Raum negativ beeinflusst werden. „Betroffenen raten wir zum Zahncheck. Ebenso Patientinnen und Patienten mit Herzklappenfehlern“, sagt der Kardiologe.
Welche Auswirkungen haben Mundbakterien langfristig für Patientinnen und Patienten mit Herzklappenfehlern?
„Bei gesunden Menschen ohne Klappenfehler werden Entzündungskeime aus dem Mundbereich vom Immunsystem eliminiert“, sagt Prof. Kerber. Hat eine Patientin oder ein Patient aber die raue Oberfläche einer veränderten Aorten- oder Mitralklappe, können sich dort leicht Keime anlagern und die Klappen zerstören. „Patientinnen und Patienten mit ausgeprägter Klappenveränderung sollten daher immer eine Antibiotika-Therapie bekommen, wenn ihnen ein Eingriff bevorsteht, bei dem es zu einer vermehrten Ausschwemmung von Bakterien kommt – zum Beispiel, wenn ein entzündeter Backenzahn gezogen wird“, sagt der Kardiologe. Diese vorbeugende Antibiotika-Therapie steht auch in den Leitlinien der DGK.