Welche Funktion hat Stress?
Übersetzt heißt Stress (von Lateinisch „stringere“, auf Deutsch „anspannen“ oder „sich zusammenziehen“) so viel wie „Druck“ oder „Anspannung“. Stress bedingt eine natürliche Reaktion des Körpers, um die Alarmbereitschaft in herausfordernden oder bedrohlichen Momenten zu erhöhen – und hilft dabei, neue oder anspruchsvolle Situationen zu bewältigen. Eine Stressreaktion stellt dem Körper Energie bereit. Er macht wacher und lässt Menschen schneller reagieren, sodass sie blitzschnell handeln oder flüchten können.
„Stress führt allgemein dazu, dass der Organismus dazu gebracht wird, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen. Der Organismus erhält sozusagen die Nachricht, dass sich etwas verändern muss“, erklärt Prof. Kai Kahl von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wir unterscheiden zwischen bewältigbaren Anforderungen, der sogenannte Eustress, und dem nicht bewältigbaren Stress, wissenschaftlich auch Distress genannt.“ Entscheidend sei, was genau von einem verlangt wird. Ob man also die Aufgabe mit den zur Verfügung stehenden körperlichen oder kognitiven Mitteln bewältigen kann oder nicht. „Alles, was ein Mensch längerfristig nicht lösen kann, führt zu negativem, den Körper und das Herz belastenden Stress“, erklärt Prof. Kahl. Das könne zum Beispiel bei einem von der Schule überforderten Kind sein oder bei jemandem, der den Herausforderungen seines neuen Jobs nicht gewachsen ist. Die Betroffenen kommen in Situationen, die Distress, also langfristig krankmachenden Stress, auslösen.
Was passiert bei Stress im Körper?
Bei Stress erhält das Gehirn den Hinweis, dass in der akuten Situation besonders viel Energie benötigt wird, um sie bewältigen zu können. Dadurch werden verschiedene körpereigene Prozesse ausgelöst, um den Organismus zu mobilisieren und Botenstoffe – sogenannte Stresshormone – auszuschütten, darunter Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol. Diese Stresshormone bewirken, dass
- sich die Bronchien weiten, um mehr Sauerstoff aufzunehmen,
- sich der Atem beschleunigt,
- die Herzfrequenz steigt,
- der Blutdruck ansteigt,
- der Insulinspiegel steigt,
- die Muskulatur mit Nährstoffen versorgt wird.
In akuten Situationen können diese Veränderungen überlebenswichtig sein, da sie den Körper für eine schnelle Reaktion vorbereiten. Doch wenn Stress chronisch wird und der Körper kontinuierlich diesen hormonellen Reaktionen ausgesetzt ist, hat dies langfristige Auswirkungen auf das Herz. „Auch das Immunsystem wird durch Stress negativ beeinflusst“, erklärt Prof. Kahl.
Wie hängen Stress und Herzerkrankungen zusammen?
„Eine akute Belastungssituation, die mit hohem Stresslevel verbunden ist, kann zu akuten Herzereignissen führen“, sagt Prof. Kahl. Eine gut bekannte Erkrankung ist die Takotsubo-Kardiomyopathie, auch Stress-Kardiomyopathie oder Broken-Heart-Syndrom genannt, bei der in einer extremen Anspannungssituation das Herz durch die ausgeschütteten Hormone geschwächt wird. Es kann kein Blut mehr transportieren.
Chronischer Stress kann ebenfalls Herzprobleme verursachen. „Man darf annehmen, dass akuter und chronischer Stress das Herz schädigen. Die Forschung zeigt überzeugende Hinweise vor allem auf die Verbindung zwischen akutem intensiven Stresserleben und akuten kardialen Ereignissen“, berichtet Prof. Kahl. „Darüber hinaus hat die Forschung der vergangenen 20 Jahre den Schwerpunkt auf die Frage gelegt, ob manifeste psychische Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie einen Zusammenhang zur Entwicklung von Herzerkrankungen haben.“
Menschen mit Depression haben beispielsweise eine erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Zu viel Cortisol führt langfristig zu einer vermehrten Fettablagerung, unter anderem an Gefäßen, aber auch im Bauchraum (intra-abdominales Fettgewebe) und um das Herz herum (epikardiales Fettgewebe). Eine Folge davon ist, dass Patienten mit Depression ein höheres Risiko haben, eine Herzerkrankung zu bekommen. Werden die Vorstufen zur Depression, beispielsweise Anpassungsstörungen oder das Burnout-Syndrom, erfolgreich behandelt, noch bevor sie in ein schwereres seelisches Leiden wie eine Depression münden, sind die Chancen deutlich besser, dass das Herz nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
Wie wirkt sich anhaltender Stress auf den Blutdruck aus?
Langanhaltender oder akuter Stress kann zu einem vorübergehenden Anstieg des Blutdrucks führen. Aufgrund des ausgeschütteten Hormons Adrenalin steigt die Spannung der Gefäße (Gefäßtonus), Atmung und Herzfrequenz sind vorübergehend beschleunigt. Bei chronischem Stress kann der Blutdruck dauerhaft erhöht bleiben, was die Blutgefäße belastet. Damit steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte.