So kann Stress das Herz krank machen

Kurzfristiger Stress kann als Antrieb positiv wirken und für die Konzentration nützlich sein. Dauerstress dagegen beeinträchtigt schnell das allgemeine Wohlbefinden – und wirkt sich möglicherweise nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf die Herzgesundheit aus. Daher ist es wichtig, frühzeitig gegenzusteuern, um ernste Erkrankungen zu verhindern.

Von Silja Klassen

 

14.09.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock / Delmaine Donson

Konflikte in der Familie, Geldsorgen oder Überlastung bei der Arbeit: Stress kennt jeder, er ist ein Teil des Lebens. Als Reaktion auf Stress schüttet der Körper Hormone aus, die den Menschen schützen sollen. Aber wenn die negative Belastung konstant wird, kann sie großen Schaden anrichten. Denn Dauerstress gehört – wie Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum – zu den wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ungesundes Verhalten und körperliche Stressreaktionen über viele Jahre können Verengungen der Herzkranzgefäße oder Schädigungen des Herzmuskels entstehen lassen. Und kardiovaskuläre Erkrankungen in Verbindung mit Stress können schon jüngere Patientinnen und Patienten treffen, sie sind keine Alterserscheinung.

Welche Funktion hat Stress?

Übersetzt heißt Stress (von Lateinisch „stringere“, auf Deutsch „anspannen“ oder „sich zusammenziehen“) so viel wie „Druck“ oder „Anspannung“. Stress bedingt eine natürliche Reaktion des Körpers, um die Alarmbereitschaft in herausfordernden oder bedrohlichen Momenten zu erhöhen – und hilft dabei, neue oder anspruchsvolle Situationen zu bewältigen. Eine Stressreaktion stellt dem Körper Energie bereit. Er macht wacher und lässt Menschen schneller reagieren, sodass sie blitzschnell handeln oder flüchten können.

 

„Stress führt allgemein dazu, dass der Organismus dazu gebracht wird, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen. Der Organismus erhält sozusagen die Nachricht, dass sich etwas verändern muss“, erklärt Prof. Kai Kahl von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Wir unterscheiden zwischen bewältigbaren Anforderungen, der sogenannte Eustress, und dem nicht bewältigbaren Stress, wissenschaftlich auch Distress genannt.“ Entscheidend sei, was genau von einem verlangt wird. Ob man also die Aufgabe mit den zur Verfügung stehenden körperlichen oder kognitiven Mitteln bewältigen kann oder nicht. „Alles, was ein Mensch längerfristig nicht lösen kann, führt zu negativem, den Körper und das Herz belastenden Stress“, erklärt Prof. Kahl. Das könne zum Beispiel bei einem von der Schule überforderten Kind sein oder bei jemandem, der den Herausforderungen seines neuen Jobs nicht gewachsen ist. Die Betroffenen kommen in Situationen, die Distress, also langfristig krankmachenden Stress, auslösen.

 

Was passiert bei Stress im Körper?

Bei Stress erhält das Gehirn den Hinweis, dass in der akuten Situation besonders viel Energie benötigt wird, um sie bewältigen zu können. Dadurch werden verschiedene körpereigene Prozesse ausgelöst, um den Organismus zu mobilisieren und Botenstoffe – sogenannte Stresshormone – auszuschütten, darunter Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol. Diese Stresshormone bewirken, dass

 

  • sich die Bronchien weiten, um mehr Sauerstoff aufzunehmen,
  • sich der Atem beschleunigt,
  • die Herzfrequenz steigt,
  • der Blutdruck ansteigt,
  • der Insulinspiegel steigt,
  • die Muskulatur mit Nährstoffen versorgt wird.

 

In akuten Situationen können diese Veränderungen überlebenswichtig sein, da sie den Körper für eine schnelle Reaktion vorbereiten. Doch wenn Stress chronisch wird und der Körper kontinuierlich diesen hormonellen Reaktionen ausgesetzt ist, hat dies langfristige Auswirkungen auf das Herz. „Auch das Immunsystem wird durch Stress negativ beeinflusst“, erklärt Prof. Kahl.

 

Wie hängen Stress und Herzerkrankungen zusammen?

„Eine akute Belastungssituation, die mit hohem Stresslevel verbunden ist, kann zu akuten Herzereignissen führen“, sagt Prof. Kahl. Eine gut bekannte Erkrankung ist die Takotsubo-Kardiomyopathie, auch Stress-Kardiomyopathie oder Broken-Heart-Syndrom genannt, bei der in einer extremen Anspannungssituation das Herz durch die ausgeschütteten Hormone geschwächt wird. Es kann kein Blut mehr transportieren.

 

Chronischer Stress kann ebenfalls Herzprobleme verursachen. „Man darf annehmen, dass akuter und chronischer Stress das Herz schädigen. Die Forschung zeigt überzeugende Hinweise vor allem auf die Verbindung zwischen akutem intensiven Stresserleben und akuten kardialen Ereignissen“, berichtet Prof. Kahl. „Darüber hinaus hat die Forschung der vergangenen 20 Jahre den Schwerpunkt auf die Frage gelegt, ob manifeste psychische Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie einen Zusammenhang zur Entwicklung von Herzerkrankungen haben.“

 

Menschen mit Depression haben beispielsweise eine erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Zu viel Cortisol führt langfristig zu einer vermehrten Fettablagerung, unter anderem an Gefäßen, aber auch im Bauchraum (intra-abdominales Fettgewebe) und um das Herz herum (epikardiales Fettgewebe). Eine Folge davon ist, dass Patienten mit Depression ein höheres Risiko haben, eine Herzerkrankung zu bekommen. Werden die Vorstufen zur Depression, beispielsweise Anpassungsstörungen oder das Burnout-Syndrom, erfolgreich behandelt, noch bevor sie in ein schwereres seelisches Leiden wie eine Depression münden, sind die Chancen deutlich besser, dass das Herz nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.

 

Wie wirkt sich anhaltender Stress auf den Blutdruck aus?

Langanhaltender oder akuter Stress kann zu einem vorübergehenden Anstieg des Blutdrucks führen. Aufgrund des ausgeschütteten Hormons Adrenalin steigt die Spannung der Gefäße (Gefäßtonus), Atmung und Herzfrequenz sind vorübergehend beschleunigt. Bei chronischem Stress kann der Blutdruck dauerhaft erhöht bleiben, was die Blutgefäße belastet. Damit steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle und Herzinfarkte.

Prof. Kai Kahl Prof. Dr. Kai Kahl, Leitender Oberarzt, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie, Leiter des Ausbildungsinstituts für Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover. Bildquelle: privat

Wie lässt sich das Herz in Zeiten mit Stress schützen?

Wer häufig mit Stress jeglicher Art umgehen muss, sollte sich bewusst sein, dass dieser schädliche Folgen, insbesondere für das Herz und das Gehirn, haben kann. „Menschen, die chronischem Stress ausgesetzt sind, haben ein höheres Risiko, eine Schlafstörung, ein ungesundes Bewegungs- und Essverhalten zu entwickeln.“ sagt Prof. Kahl. Auch die vermeintliche abendliche Entspannung vor dem Fernseher ist ein Trugschluss, denn das Fernsehen überspielt häufig die natürliche Müdigkeit und führt dazu, weniger und zu einer anderen Zeit zu schlafen als für die Erholung nötig wäre. Folgende Maßnahmen können dabei helfen, gesünder mit stressigen Situationen umzugehen:

 

  • Entspannungsverfahren sind eine hilfreiche Strategie gegen Stress. „Ich bin ein großer Freund davon, dass man Entspannungsverfahren wieder richtig lernt“, sagt Prof. Kahl. „Meiner Ansicht nach ist speziell die Progressive Muskelentspannung ein sehr wertvolles Verfahren. Die Progressive Muskelentspannung ist leider ein wenig aus der Mode gekommen, obwohl die Methode sich aus der Physiologie heraus entwickelt hat und genau das bietet, was stressgeplagte Patientinnen und Patienten brauchen. Bei der Progressiven Muskelrelaxation lernen Patienten und Patientinnen, eine Entspannungsreaktion zu konditionieren.“ Daneben gibt es hilfreiche Techniken wie autogenes Training, Meditation und Yoga.
  • Schlafhygiene: Ein geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus mit festen Einschlafritualen hilft dabei, ausreichend lang und gut zu schlafen und damit stressresilienter zu werden. Wichtige Aspekte der Schlafhygiene umfassen unter anderem strukturierte Abläufe (jeden Tag zur etwa selben Zeit zu Bett gehen und aufstehen), regelmäßiges Essen (letzte Mahlzeit nicht nach 19 bis 20 Uhr), schlafen gehen, wenn man müde ist, und das Erlernen eines Entspannungsverfahrens.
  • Sport ist besonders wirksam für die Stressbewältigung – vor allem, wenn man sich regelmäßig bewegt. Durch körperliche Bewegung erhalten die Zellen vermehrt Sauerstoff und der Stoffwechsel wird angekurbelt. Blutzucker, Blutfette und der Stresshormonpegel sinken. Die Produktion von Glückshormonen wie Serotonin steigt. „Die meisten Menschen bewegen sich zu wenig“, sagt Prof. Kahl. „Als Faustregel kann gelten, dass man dreimal in der Woche 45 bis 60 Minuten Sport mit moderater Intensität betreibt.“ Bewegung stärkt nicht nur das allgemeine Wohlbefinden und hilft Stress abzubauen, wissenschaftliche Studien zeigen auch, dass Sport stimmungsaufhellend und angstlösend ist. Dabei ist dreimal die Woche spazieren gehen besser als nichts zu tun. Idealerweise sollte die sportliche Intensität aber so gestaltet sein, „dass man ins Schwitzen kommt“. Bei Patienten mit bekannter Herzerkrankung sollte erwogen werden, das Ausmaß der sportlichen Aktivität mit dem behandelnden Kardiologen beziehungsweise Kardiologin oder Hausarzt oder Hausärztin zu besprechen.
  • Eine ausgewogene Ernährung, die den Körper ausreichend versorgt – mit frischen Zutaten, Vollkornprodukten und viel Gemüse – trägt dazu bei, für kommende Anforderungen besser gewappnet und stressunempfindlicher zu sein.

 

Wenn erste Symptome wie eine Stress-bezogene Schlafstörung bestehen: Lassen Sie sich professionell beraten und sprechen Sie über Ihren Stresslevel und die Auslöser mit einer Ärztin oder einem Arzt. Das ist besonders wichtig, wenn Sie schon andere Risikofaktoren für Herzerkrankungen haben, wie etwa Adipositas oder Bluthochdruck. Manchmal hilft schon ein ärztliches Gespräch dabei, den Lebensstil zu ändern und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. „Ärztinnen und Ärzte beraten dabei gern, auch die Krankenkassen stellen auf ihren Internetseiten wertvolle Gesundheitsinformationen bereit“, so Prof. Kahl.

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