Schaufensterkrankheit: Warum ist die PAVK eine Gefahr fürs Herz?

Schmerzen in den Waden oder Füßen zwingen die Betroffenen immer wieder zum Anhalten. Sie sind das klassische Symptom einer PAVK, einer Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Wer bei Beschwerden nicht frühzeitig reagiert, riskiert womöglich den Verlust von Gliedmaßen. Außerdem ist die sogenannte Schaufensterkrankheit auch eine Gefahr für die Herzgesundheit.

Von Kerstin Kropac

 

07.11.2023


Bildquelle (Bild oben): iStock/Fertnig

Was ist eine PAVK oder Schaufensterkrankheit?

Bei der sogenannten Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, kurz PAVK, sind die Blutgefäße der Beine – eher selten: der Arme – durch Ablagerungen verengt. „Durch diese Ablagerungen ist die Blutversorgung irgendwann nicht mehr gewährleistet, sodass die Muskulatur zu wenig Sauerstoff bekommt“, erklärt Kardiologin Prof. Christiane Tiefenbacher vom Marien-Hospital in Wesel. Betroffene spüren nach einer bestimmten Belastungsstrecke dann zum Beispiel Schmerzen in den Beinen und können nicht weiterlaufen. Um das Problem zu verbergen, simulieren viele, sich eine Auslage im Schaufenster anzusehen, während sie tatsächlich darauf warten, dass die Schmerzen nachlassen – daher spricht man auch von der Schaufensterkrankheit. „Die Beschwerden der PAVK treten in der Regel eine Etage tiefer als die eigentliche Verengung auf“, erklärt die Kardiologin und Angiologin. „Wenn man beispielsweise in den Beckenarterien Verengungen hat, spürt man die Schmerzen klassischerweise in der Hüfte oder im Gesäß. Hat man in den Oberschenkelgefäßen Verengungen, merkt man die meistens in der Wade. Probleme im Unterschenkel kann man im Fuß spüren.“

 

Wie kommt es zu einer Durchblutungsstörung in den Beinen?

Eine Durchblutungsstörung in den Beinen hat die gleiche Ursache wie eine Durchblutungsstörung in den Herzkranzarterien: eine Atherosklerose, eine Verengung der Gefäße durch Ablagerungen (Plaques). Diese entstehen oft schon im jungen Erwachsenenalter, sind bei etwa fünf Prozent der 45- bis 50-Jährigen und bei jedem Dritten über 80-Jährigen nachweisbar. Klassische Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, hohe Cholesterinwerte und Diabetes begünstigen die gefährliche Plaque-Bildung. „Was viele nicht wissen: Die Atherosklerose ist eine Systemerkrankung, die alle Gefäße befallen kann – die im Herzen, aber eben auch die in den Beinen“, erklärt Prof. Tiefenbacher.

 

Warum kann die PAVK auch fürs Herz gefährlich werden?

Wenn die Durchblutung in den entfernteren Arterien des Körpers durch eine Atherosklerose gestört wird, ist automatisch auch die Gefahr fürs Herz erhöht. „Viele Menschen haben nicht nur in einem Gefäßareal Probleme, sondern in mehreren“, sagt Prof. Tiefenbacher. Wer unter einer PAVK leidet, ist zum Beispiel häufig auch von einer koronaren Herzkrankheit (KHK) betroffen. „Man kann sagen, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Patienten mit PAVK auch eine KHK haben und von denen mit einer KHK etwa 20 bis 30 Prozent auch eine PAVK“, erklärt die Kardiologin. Untersuchungen zeigen, dass eine PAVK die Lebenserwartung um etwa zehn Jahre verkürzt. „Insgesamt ist die Prognose dieser Erkrankung leider nicht gut“, sagt die Kardiologin. „Die Betroffenen sterben aber in der Regel nicht an den Durchblutungsstörungen der Beine, sondern an einem Herzinfarkt.“

 

Welche Risikofaktoren begünstigen die Entstehung einer PAVK?

Die Entstehung einer Atherosklerose in den Blutgefäßen der Beine wird durch verschiedene Risikofaktoren begünstigt wie Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck, Cholesterin und ein hohes Alter. „Für die Beinarterien gilt das Rauchen aber als der wichtigste Risikofaktor“, sagt Prof. Tiefenbacher. „Woran das liegt, weiß man nicht genau. Da ist noch Forschung nötig.“

 

Warum wird eine PAVK oft mit einem orthopädischen Problem verwechselt?

Viele Menschen mit Beinschmerzen landen erst einmal beim Orthopäden. „Schmerzen in den Beinen können auch durch Wirbelsäulenprobleme verursacht werden. Deshalb sollte man vor einer entsprechenden Behandlung erst einmal eine Durchblutungsstörung als Ursache ausschließen“, sagt Prof. Tiefenbacher. „Das gelingt in der Regel, indem man den Fußpuls tastet oder eine Blutdruckmessung an den Beinen durchführt. Damit ist schon in 95 Prozent der Fälle klar, ob die Schmerzen durch eine Durchblutungsstörung ausgelöst werden oder nicht. Die Symptome einer PAVK sind eigentlich sehr eindeutig.“

 

Wie wird eine PAVK diagnostiziert?

Ist in den Beingefäßen kein Puls zu spüren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Verengung der Gefäße vorliegt. „Möchte man diesen Verdacht untermauern, kann man den Blutdruck in den Beinen messen und diesen Wert dann in Relation zur Blutdruckmessung am Arm setzen“, erklärt Prof. Tiefenbacher. „Üblicherweise ist der Blutdruck in den Beinen beziehungsweise in den Füßen etwas höher als der am Arm.“ Zudem wird eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt – die ist nebenwirkungsarm für die Patientinnen und Patienten und einfach durchzuführen. „Zeigen sich hier entsprechende Gefäßveränderungen, muss man entscheiden, ob man im nächsten Schritt eine Gefäßdarstellung mit bildgebenden Verfahren durchführt oder besser gleich eine Katheteruntersuchung“, sagt die Kardiologin. „Die Katheteruntersuchung bietet den Vorteil, dass man die Verengungen gegebenenfalls gleich behandeln und beispielsweise mit Stents versorgen könnte. Die Entscheidung hängt unter anderem von dem Stadium der Erkrankung ab.“

 

In welchen Stadien verläuft eine PAVK?

In der Regel treten erst im fortgeschrittenen Stadium der PAVK die typischen belastungsabhängigen Beschwerden auf. Insgesamt unterscheidet man vier Stadien.

  • „Im Stadium 1 hat man zwar schon Gefäßveränderungen, aber noch keine Beschwerden“, erklärt Prof. Tiefenbacher.
  • „Im Stadium 2 bekommt man Beschwerden beim Laufen.“
  • „Im Stadium 3 schmerzt es bereits in Ruhe. Das ist ein kritisches Stadium, in dem man sein Bein verlieren kann, wenn man nichts unternimmt.“
  • „In Stadium 4 sind die Beine dann so stark unterversorgt, dass offene Stellen entstehen.“

 

Das bedeutet: Spätestens im dritten Stadium müssen die Betroffenen reagieren und eine Therapie beginnen, um den Verlust von Gliedmaßen abzuwenden!

Prof. Christiane Tiefenbacher Prof. Christiane Tiefenbacher, Chefärztin der Klinik für Kardiologie und Angiologie (Gefäßmedizin) am Marien-Hospital in Wesel. Bildquelle: Marien-Hospital Wesel

Wie lässt sich die Schaufensterkrankheit behandeln?

Die Behandlung einer PAVK ist von ihrem Stadium abhängig. „In den niedrigeren Stadien, insbesondere in Stadium 2, ist es vor allem eine symptomatische Therapie“, sagt Prof. Tiefenbacher. „Die Patienten sollten erst einmal ein halbes Jahr lang möglichst viel laufen, am besten in strukturierten Trainingsprogrammen. Oft reicht das aus, um die Durchblutung zu verbessern.“ Gerade jüngere Betroffene, die berufstätig sind, haben aber häufig keine Zeit oder Lust, so viel zu laufen und entscheiden sich eher für eine Intervention. „Das ist die zweite Schiene: die sogenannte interventionelle Angioplastie. Dazu zählt zum Beispiel die Aufdehnung von Engstellen in den Blutgefäßen und die Versorgung mit Stents. Oder man versucht, die Ablagerung aus den Gefäßen herauszuschneiden.“ Alternativ wäre auch ein Bypass möglich, bei dem körpereigene Venen benutzt werden, um verengte Stellen zu überbrücken. „Im Stadium 2 kann man sich für solche Interventionen entscheiden“, sagt die Kardiologin. „Im Stadium 3 und 4 sollte man sie dann auf jeden Fall durchführen. Denn dann geht es um den Erhalt des Beines und nicht mehr nur um die Verbesserung der Gehstrecke.“ Wichtig für alle Stadien ist eine medikamentöse Therapie mit Behandlung der Risikofaktoren, um ein Fortschreiten der Atherosklerose zu verhindern.

 

Kann bei der PAVK eine Amputation notwendig werden?

Leider kommt es – trotz guter Behandlungsmöglichkeiten – noch viel zu häufig vor, dass aufgrund der Schaufensterkrankheit Amputationen durchgeführt werden müssen. „Durch die kritische Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff und nährstoffreichem Blut können Wunden entstehen, die sich nicht mehr schließen lassen“, erklärt Prof. Tiefenbacher. „Im schlimmsten Fall kann im weiteren Verlauf sogar der Verlust von Extremitäten drohen.“ Das Problem ist, dass viele Betroffene sich zu spät ärztliche Hilfe suchen. „Die kommen dann in einem Stadium, in dem man auch durch eine Operation oder einen Kathetereingriff das Bein nicht mehr retten kann“, sagt Prof. Tiefenbacher: „Daher der Appell: Wenn die geschilderten Beschwerden auftreten, sollte man sofort überprüfen lassen, ob die Durchblutung in Ordnung ist! Es ist wichtig, frühzeitig zu reagieren.“

 

Welche Medikamente sollten Patientinnen und Patienten mit einer PAVK einnehmen?

„In der Regel verordnen wir Patientinnen und Patienten mit einer PAVK Aspirin oder andere blutverdünnende Medikamente“, sagt Prof. Tiefenbacher. „Zudem sollten die Risikofaktoren wie Bluthochdruck, die Blutzuckerkrankheit Diabetes oder hohe Cholesterinwerte medikamentös behandelt werden. Dabei sollten bestimmte Zielwerte erreicht werden.“ Wichtig: Die medikamentöse Behandlung ist die Grundlage der PAVK-Therapie in allen Stadien. Zudem sollten Menschen, die rauchen, eine Beratung zur Nikotinentwöhnung bekommen. Dabei kann auch eine medikamentöse Unterstützung sinnvoll sein.

 

Warum kann ein Gehtraining bei der PAVK helfen?

Sogar Betroffene, die nur noch kürzere Wegstrecken beschwerdefrei laufen können, haben die Chance, durch Gehtraining wieder schmerzfrei zu werden. „Das Training führt dazu, dass sich körpereigene Umgehungskreisläufe bilden. Das heißt: Wenn eines der Hauptgefäße verschlossen oder hochgradig verengt ist, sucht sich das Blut möglicherweise einen Weg über andere, zunächst kleinere Gefäße. Die können sich dann durch die körperliche Aktivität verstärken“, erklärt Prof. Tiefenbacher. „Das kann dazu führen, dass Patientinnen und Patienten irgendwann wieder beschwerdefrei sind, weil sich sozusagen körpereigene Bypässe gebildet haben.“ Optimalerweise findet das Training in einer beaufsichtigten Gehgruppe statt. Allerdings gibt es die nicht überall. Dann sollten die Betroffenen das Training allein durchführen. „Man sollte laufen, bis die Schmerzen kommen, abwarten, bis sie wieder verschwinden und dann weitergehen“, erklärt die Kardiologin. „Und das möglichst jeden Tag. Am Anfang vielleicht nur fünf Minuten, aber später durchaus auch mal eine halbe Stunde oder länger.“

 

Katheterbehandlung oder Bypass – was ist bei der Schaufensterkrankheit sinnvoll?

Ob eine Katheterbehandlung oder ein Bypass bei Betroffenen mit der Schaufensterkrankheit besser geeignet ist, hängt hauptsächlich vom Befund ab. „Tendenziell versuchen wir, eine Katheterbehandlung durchzuführen“, sagt Prof. Tiefenbacher. „Hat man aber einen Gefäßverschluss über viele Zentimeter, verspricht ein Kathetereingriff wenig Erfolg und man entscheidet sich eher für eine Bypass-Operation.“ Der Nachteil beim Bypass ist, dass der sich nach einigen Jahren wieder verengen kann. Für beide Verfahren gilt: Auch wenn man nach der Behandlung beschwerdefrei ist, bedeutet das nicht, dass man die kommenden 20 Jahre von Durchblutungsproblemen verschont bleibt. „Es ist ganz wichtig, gesund zu leben, also nicht zu rauchen, sich regelmäßig zu bewegen und die weiteren Risikofaktoren gut zu behandeln, um das erneute Auftreten einer PAVK zu verhindern“, sagt die Kardiologin.

 

Wie lässt sich der Entstehung oder Verschlechterung einer PAVK vorbeugen?

Für die Vorbeugung einer PAVK gelten dieselben Maßnahmen, die auch das Herz schützen. „An erster Stelle steht immer das Lifestyle-Management. Also: nicht rauchen, sich gesund ernähren und viel bewegen“, sagt Prof. Tiefenbacher. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt täglich mindestens 30 Minuten Bewegung, optimal sind 60 Minuten – und das am besten fünfmal pro Woche. Für Menschen, die viel arbeiten, gibt es aber auch das sogenannte Modell der ‚Weekend-Warrior‘. Eine neue Studie hat gezeigt, dass es genauso effektiv ist, wenn man sich nicht täglich, sondern nur am Wochenende bewegt, um auf mindestens 150 Minuten Sport zu kommen. „Ich erlebe Patientinnen und Patienten, die nach ihrer PAVK-Diagnose ihr komplettes Leben umstellen“, erzählt Prof. Tiefenbacher. „Sie nehmen 20 Kilo ab, hören auf zu rauchen und treiben mehr Sport. Denen gelingt es dann tatsächlich häufig, den Prozess umzukehren. Nach einiger Zeit spüren sie überhaupt keine Beschwerden mehr.“

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