Begeben sich Frauen nach einem Herzinfarkt tatsächlich später in die Notaufnahme?
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Frauen meist länger warten, ehe sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. „Bei den über 65-Jährigen dauert es offenbar am längsten: Laut einer Untersuchung aus München begeben sich Frauen in dieser Altersgruppe im Schnitt erst viereinhalb Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome in die Notaufnahme“, erzählt die Kardiologin. „Zum Vergleich: Männer desselben Alters werden bereits nach dreieinhalb Stunden behandelt.“ Das Fatale: Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute. Je länger ein Herzkranzgefäß durch ein Gerinnsel verstopft ist, desto länger wird das Herzmuskelgewebe nicht mit Blut und Sauerstoff versorgt – und stirbt ab.
Warum sind Frauen mit Diabetes durch einen Herzinfarkt besonders gefährdet?
Bei Diabetikerinnen und Diabetikern kann durch eine jahrelange Überzuckerung das Nervensystem gestört sein, sodass Schmerzen als typische Warnsignale eines Herzinfarktes nicht wahrgenommen werden können. Gleichzeitig haben Menschen mit Diabetes ein deutlich erhöhtes Herzinfarktrisiko. Bei Männern ist es zwei- bis vierfach erhöht, bei Frauen sogar um das Sechsfache. „Die Betroffenen merken letztendlich nur, dass es ihnen nicht so gut geht“, sagt Dr. Nentwich. „Erst wenn das Unwohlsein gar nicht besser wird, melden sie sich bei uns mit einer Verzögerung von manchmal vier, fünf oder sechs Stunden.“
Ist die Behandlung eines Herzinfarkts bei Frauen anders als bei Männern?
„Frauen und Männer mit einem Herzinfarkt erfahren die gleiche Behandlung“, sagt Dr. Nentwich. Die Betroffenen bekommen verschiedene Medikamente, die den Blutfluss verbessern, das Herz entlasten und die Schmerzen nehmen sollen. Im Katheterlabor wird das verschlossene Herzgefäß schnellstmöglich wieder geöffnet. „Hier weiß man, dass es bei den Frauen leichter zu Komplikationen kommen kann, weil die Gefäße etwas kleiner und empfindlicher sind als bei Männern“, erklärt die Kardiologin.
Wer hat bessere Chancen, einen Herzinfarkt zu überleben: Männer oder Frauen?
Insgesamt geht die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt kontinuierlich zurück – aber eine aktuelle Studie, die im Mai 2023 beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt wurde, zeigt: Das Risiko, nach einem Herzinfarkt zu sterben, ist bei Frauen mehr als doppelt so hoch wie bei Männern. „Nach 30 Tagen waren knapp 5 Prozent der betroffenen Männer gestorben und knapp zwölf Prozent der Frauen“, sagt Dr. Nentwich. Einer der Hauptgründe ist der zeitlich verzögerte Arztbesuch. „Deshalb sollten Frauen ihre Symptome ernst nehmen und im Zweifel lieber einmal zu viel den Notruf wählen“, sagt die Kardiologin. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache bei Frauen.
Warum sind Frauen nach den Wechseljahren besonders gefährdet, einen Herzinfarkt zu erleiden?
Laut Statistik treten Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen etwa zehn Jahre später auf als bei Männern. Das liegt unter anderem an dem gefäßschützenden Effekt der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene). Sie senken das Cholesterin und wirken erweiternd auf die Blutgefäße. Dadurch haben Frauen vor den Wechseljahren ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach der Menopause sinkt der Östrogenspiegel – und damit steigt das Herz-Kreislauf-Risiko. „Wir erleben hier allerdings auch zunehmend jüngere Frauen mit einem Herzinfarkt“, sagt Dr. Nentwich. „Meist sind es Raucherinnen. Das wird oft unterschätzt: Rauchen ist einer der Hauptrisikofaktoren für einen Herzinfarkt.“ Bei einigen jungen Herzinfarkt-Patientinnen liegt aber auch eine genetische Veranlagung vor – zum Beispiel eine familiäre Hypercholesterinämie, also genetisch bedingt sehr hohe Cholesterinwerte.
Warum können erhöhte Cholesterinwerte einen Herzinfarkt begünstigen?
Für ein gesundes Herz sind gesunde Gefäße wichtig, damit das Blut ungehindert fließen und alle Organe optimal mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen kann. Ein erhöhter Cholesterinspiegel führt zu einer Verkalkung und Verfettung der Gefäßwände, zu einer sogenannten Atherosklerose. Nach der Menopause steigt die Konzentration des schädlichen LDL-Cholesterins, gleichzeitig nimmt das schützende HDL-Cholesterin ab. „Wir wissen, dass Männer durch Sport wesentlich besser ihre Blutfettwerte senken können als Frauen – sogar bis zu 20 Prozent“, sagt Dr. Nentwich. „Das schaffen Frauen nicht.“ Ob eine Therapie zur Senkung des Cholesterinspiegels notwendig ist, sollten Frauen nach der Menopause mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt besprechen.
Können Männer oder Frauen einen Herzinfarkt psychisch besser verarbeiten?
Viele Herzpatientinnen und -patienten entwickeln nach einem kardialen Ereignis depressive Symptome oder Angststörungen. Studien zeigen, dass die Betroffenen ein etwa dreifach erhöhtes Risiko haben, an einer Depression zu erkranken. „Bei meinen Patientinnen und Patienten erlebe ich häufig, dass Frauen in der ersten Zeit zwar geknickter, kränker und depressiver erscheinen. Letztlich können sie ihre Krankheit aber besser bewältigen, während Männer eher in die Verweigerung gehen, weil sie ihren Herzinfarkt als Schwäche empfinden“, sagt Dr. Nentwich. „Was wir dann bei Männern häufiger sehen als bei Frauen: Dass die Männer vor allem im ersten Jahr immer mal wieder in der Notaufnahme auftauchen, weil sie meinen, sie hätten wieder Brustschmerzen und einen Herzinfarkt. Auch die Bewältigung der Krankheit ist ein wichtiger Schritt bei der Genesung.“